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AutorenbildWalter Gasperi

Vorschau auf die 60. Solothurner Filmtage (22. – 29.1. 2025)

Die Jubiläumsausgabe der Solothurner Filmtage (22. – 29.1. 2025) bietet mit 91 Lang- und 71 Kurzfilmen wieder einen Überblick über das aktuelle Schweizer Filmschaffen. Dazu kommen Spezialprogramme zum Jura im Film sowie in der Sektion Fokus Biografien von Menschen.


Als die Solothurner Filmtage vor 60 Jahren gegründet wurden, wehte durch den Schweizer Film – wie auch durch andere nationale Kinematographien – ein frischer Wind. An die Stelle von Heimatfilmen und Dialektkomödien traten zunehmend Dokumentar- und Spielfilme, die die eidgenössische Gesellschaft kritisch hinterfragten. Westschweizer Regisseure wie Alain Tanner und Claude Goretta fanden ebenso bald internationale Beachtung wie ihre Deutschschweizer Kollegen von Fredi M. Murer bis zu Markus Imhoof.


Ein genereller Aufbruch und eine geschlossene Bewegung lässt sich im aktuellen Schweizer Kino wohl kaum ausmachen, doch immer wieder kann man bei den Solothurner Filmtagen junge Regisseur:innen entdecken. Eröffnet werden die Filmtage aber mit einem bekannten Namen. Thomas Haemmerli, der vor 17 Jahren im Dokumentarfilm "Sieben Mulden und eine Leiche" auf Basis der Hinterlassenschaft seiner Mutter seine Familiengeschichte aufarbeitete, zeichnet in "Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini" das Leben des sammelwütigen Immobilienunternehmers nach, der bei seinem Tod 100.000 Objekte hinterließ.


Haemmerlis Film konkurriert mit vier weiteren Dokumentarfilmen und drei Spielfilmen um den mit 20.000 Schweizer Franken dotierten "Prix du Public". Freuen darf man sich hier auch auf Simon Baumanns beim Filmfestival von Locarno begeistert aufgenommenen und mit dem Grand Prix Semaine de la Critique ausgezeichneten Dokumentarfilm "Wir Erben". In diesem autobiographischen Werk geht der Regisseur der Frage nach, was mit dem Hof passieren soll, den seine Eltern vor 20 Jahren in Südwestfrankreich gekauft haben.


Anna Thommen porträtiert dagegen in "Naima" eine 46-jährige Venezolanerin, die in der Schweiz eine Ausbildung als Pflegefachfrau beginnt. Nicola Bellucci wiederum widmet sich in "Quir" einem ungewöhnlichen Lederwarengeschäft in Palermo, das mit seinem schwulen Paar als Besitzer zu einem wichtigen Treffpunkt der lokalen LGBTQI+-Szene geworden ist. In den hohen Norden entführt dagegen Corinna Gamma, die in "Der Eismann" ein Porträt des Schweizer Polarforschers Konrad Steffen zeichnet, der 2020 in Grönland spurlos verschwand.


In Olga Dinnikovas Spielfilm "Behind the Glass" fliehen dagegen eine Mutter und ihre Tochter vor der Polizei von Lettland in die Schweiz, doch der Neuanfang wird durch den Widerstand der Tochter gefährdet. In Kerstin Poltes "Blindgänger" sorgt dagegen der Fund eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg in einem Hamburger Viertel für Unruhe, während in Marie Nicolliers "Road´s End in Taiwan" ein junger Genfer nach Taiwan aufbricht, wo er das Erbe seines ihm unbekannten Vaters antreten will. Bevor dies möglich ist, muss er aber mit seinem taiwanesischen Halbruder auf der Insel noch zwei weitere Erben ausfindig machen.


Im Wettbewerb um den mit 60.000 Schweizer Franken dotierten "Prix de Soleure" konkurrieren vier Dokumentar- und zwei Spielfilme. Gespannt sein darf man hier beispielsweise auf die Schweizer Premieren von Piet Baumgartners schon beim Filmfestival von San Sebastian ausgezeichnetes Spielfilmdebüt "Bagger Drama" und von "Hotel Silence", dem neuen Film der schweizerisch-kanadischen Regisseurin Léa Pool. Während Baumgartner in seinem Film, nach dem Wert der Familie fragt, schickt Pool einen lebensmüden Kanadier nach Europa, wo er sich im titelgebenden Hotel das Leben nehmen möchte.


Svetlana Rodina und Laurent Stoop blicken in ihrem Dokumentarfilm "Dom" auf junge russische Oppositionelle, die in einer Notunterkunft in der georgischen Hauptstadt Tiflis leben, während Zijad Ibrahimovic in "Il ragazzo della Drina" einen Bosnier begleitet, der 30 Jahre nach der Flucht in seine Heimat zurückkehrt. Maja Tschumi wiederum porträtiert in "Immortals" junge Iraker, die nach der Revolution von 2019 für eine bessere Zukunft kämpfen und Damaris Lüthi lässt in "Unter Mangobäumen" Frauen aus den verfeindeten sri-lankischen Bürgerkriegsgruppen sich an den Krieg erinnern, kontrastiert Täterinnen und Opfer und gibt Einblick in Traumata und Überlebensstrategien.


Auffallend ist, dass die meisten Filme sowohl im Wettbewerb um den "Prix du Public" als auch um den "Prix du Soleure" nicht auf die Schweizer Gesellschaft und Politik fokussieren, sondern den Blick vielfach in die Ferne richten. Erklären lässt sich das freilich mit der omnipräsenten Globalisierung.


Sieben erste und zweite Filme konkurrieren schließlich im Wettbewerb um den mit 20.000 Schweizer Franken dotierten Preis "Visioni". Eleonora Camizzi lässt in ihrem Dokumentarfilm "Bilder im Kopf" einen Vater und seinen Sohn sich in einem weißen Raum begegnen, wo sich nach jahrzehntelangem Schweigen ein Dialog entwickelt. Nina Fritz, Lola Scurlock, Felix Scherer und Lasse Linder spüren dagegen im gerade mal 48 Minuten langen "Galaxi Urnäsch 3000" den Träumen der Appenzeller Jugend nach, während Beat Oswald, Lena Hatebur und Samuel Weniger in "Tamina – Wann war es immer so?" mit der Kamera einen Städter begleiten, der im Taminatal versucht, einen Wolf aufzuspüren.


Radikal subjektiv dürfte "Osteria all´undici" sein, dokumentiert der Regisseur Filippo Demarchi darin doch, wie er nach einem Burn-out seine berufliche Wiedereingliederung als Kellner anstrebte. Max Carlo Kohal bietet dagegen in "Vracht" einen Einblick in das harte Leben auf einem Frachtschiff auf dem Rhein, erzählt aber gleichzeitig auch eine Coming-of-Age-Geschichte.


Sophia Bösch entführt dagegen in ihrem Spielfilm "Milchzähne" in eine dystopische Zukunft, in der Misstrauen und Aberglaube eine isolierte Gemeinschaft von Überlebenden beherrschen, und im Mittelpunkt von Lorenz Suters "Norma Dorma" steht eine alleinerziehende Mutter, die sukzessive den Bezug zur Realität zu verlieren scheint.


Zu diesen drei Wettbewerben, die fast ausschließlich Schweizer und teilweise sogar Weltpremieren bieten, kommen im "Panorama" zahlreiche Filme, die teilweise schon in den Schweizer Kinos liefen. Klaudia Reynickes Coming-of-Age-Geschichte "Reinas" kann man hier ebenso nachholen wie Ramon Zürchers "Der Spatz im Kamin", aber auch noch nicht gestartete Filme wie Lisa Brühlmanns "When We Were Sisters" oder Pia Marais´ "Transamazonia" kann man hier entdecken.


Dazu kommen Schwerpunkte zum Jura und zu biographischen Filmen. Die Bandbreite der Filme zum Jura spannt sich von Alain Tanners "No Man´s Land" (1985) bis zu Claire Denis´ "L´Intrus" (2004) und von Marie-Anne Colson-Mallevilles "Le châtelot" (1953) bis zu Louise Courvoisiers "Vingt Dieux" ("Könige des Sommers", 2024). Dazu gibt es nicht nur Gespräche und Diskussionen, sondern auch eine Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn.


Spannend verspricht aber auch die Sektion zu den "Biographien" zu werden, treffen hier doch beispielsweise Kirill Serebrennikovs "Limonov: The Ballad" auf Anja Salomonowitz´ eigenwilligen Maria Lassnig-Film "Mit einem Tiger schlafen" oder Thomas Heises "Barluschke" auf Andreas Dresens "Gundermann". Auch diese Sektion wird selbstverständlich mit Gesprächsreihen vertieft.


Bei den Solothurner Filmtagen kann man aber im "Panorama Andere Erzählformen" auch einen Blick in eine mögliche Zukunft des Films werfen. Hier werden nämlich ausgewählte Projekte gezeigt, die jenseits der großen Leinwand auf die Vielgestaltigkeit der Gegenwart eingehen und mit neuen Medien, anderen Dramaturgien und interaktiven Formaten Geschichten erzählen. - Einer spannenden Festivalwoche scheint somit nichts im Wege zu stehen.


Weitere Informationen sowie das gesamte Programm zum Download finden Sie hier.


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