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The Mastermind

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 3 Stunden
  • 4 Min. Lesezeit
"The Mastermind": Vom entschleunigten Heist-Movie zur Studie eines Orientierungslosen
"The Mastermind": Vom entschleunigten Heist-Movie zur Studie eines Orientierungslosen

Kelly Reichardt inszeniert die Geschichte eines orientierungslosen jungen Familienvaters, der durch einen missglückten Kunstraub ins gesellschaftliche Abseits driftet, als unaufgeregt-entschleunigte Studie und zeichnet dabei auch ein desillusionierendes Bild der USA des Jahres 1970.


Wie Kelly Reichardt in "Meek´s Cutoff" (2010) und "First Cow" (2019) mit dem Western-Genre oder in "Night-Moves" (2013), in dem Umweltaktivist:innen einen Staudamm sprengen, mit dem Thriller spielte, so spielt sie in "The Mastermind" mit Motiven und Strategien des Heist-Movies. Nur ironisch ist der Titel "The Mastermind" gemeint, denn alles andere als ein genialer Drahtzieher ist der arbeitslose Tischer J.B. Mooney (Josh O´Connor), der sein Kunststudium nie abgeschlossen hat.


Im beschaulichen Farmingham, Massachusetts des Jahres 1970, in dem das herbstliche Blättermeer und braune Backsteinmauern eine warme Stimmung evozieren, bringt J.B.s Frau Terri (Alana Haim) als Angestellte das Geld in die vierköpfige Familie, ihm selbst scheint dagegen jede Orientierung zu fehlen. In die bürgerliche Welt seiner Eltern will er sich nicht einfügen und statt ernsthaft einen Job zu suchen, bettelt er lieber seine Mutter (Hope Davis) unter dem Vorwand, eine Stelle in Aussicht zu haben, um Geld an. In Wahrheit will er aber mit dem Raub von vier Gemälden des abstrakten amerikanischen Künstlers Arthur Dove (1880 – 1946) aus dem örtlichen Museum den großen Coup landen.


Die Gemälde mögen dort zwar nicht gut gesichert sein und die Aufsichtsperson zudem noch meistens schlafen, doch andererseits machen die drei Komplizen, die J.B. dafür findet, auch nicht gerade den fähigsten Eindruck. Zudem springt einer davon noch am Tag des Raubs ab, sodass er selbst als Fahrer einspringen muss, obwohl er sich gleichzeitig ums seine beiden etwa achtjährigen Söhne kümmern sollte, da diese überraschend schulfrei haben.


Auch der Überfall läuft nicht ganz nach Plan und bald steht die Polizei im Haus der Familie Mooney. Die beiden Beamten kann J.B. zwar noch mit dem Hinweis, dass sein Vater Bezirksrichter sei, zum Abzug bewegen, doch einer der Komplizen setzt ein paar Gangster auf ihn an, sodass er die Gemälde herausrücken muss, und bald wird er auch in Zeitungsschlagzeilen mit dem Raub in Verbindung gebracht.


Während seine Frau mit den beiden Kindern zu seinen Eltern zieht, versucht er unterzutauchen, sucht Zuflucht bei einem befreundeten Ehepaar, das ihn aber bald wieder wegschickt, da die Frau eine Gefährdung ihres bürgerlichen Lebens befürchtet…


Was durchaus komödiantisch beginnt, wird so zunehmend zu einer melancholischen Studie eines der Mittelschicht angehörenden Mannes, der zunehmend ins gesellschaftliche Abseits driftet. Die Genre-Konventionen unterwandert Kelly Reichardt dabei schon dadurch, dass sie dem Tempo klassischer Heist-Movies die für ihre Filme typische ausgesprochen entspannte und langsame Erzählweise entgegensetzt.


Action spart die 61-jährige US-Independent-Regisseurin weitgehend aus, konzentriert sich vielmehr auf die unaufgeregte Beobachtung der Menschen und ihrer Handlungen. In einer ungeschnittenen, langen Einstellung filmt sie so beispielsweise, wie J.B. die gestohlenen Gemälde in einer Scheune in Kisten verpackt und lässt den Figuren auch bei ihren Gesprächen immer wieder viel Raum und Zeit.


Bald tritt dabei auch der Krimiplot in den Hintergrund und der Fokus richtet sich – wie in "Wendy & Lucy" und "Meek´s Cutoff - auf die zunehmend ziellose Reise J.B.s und die Zeichnung eines Stimmungsbilds der USA abseits der Metropolen und von Menschen am Rand der Gesellschaft.


Die warme Herbststimmung, die den Anfang von "The Mastermind" kennzeichnet, wird mit dem Aufbruch dabei langsam von kälterem Licht und verwaschenen Farben abgelöst, die auch mit einem Übergang in den nahenden Winter korrespondieren. Großartig evoziert Reichardts Stamm-Kameramann Christopher Blauvelt so eine melancholische Atmosphäre, die durch den jazzigen Soundtrack von Rob Mazurek hervorragend verstärkt wird.


Gleichzeitig sorgen die Ausstattung mit den für die 1970er Jahren unentbehrlichen großen Autos, aber auch mit Kostümen und Wohnungseinrichtung für eine dichte Verankerung des Films im Jahr 1970.


Die historische Situierung bleibt dabei nicht nur Hintergrund, sondern spielt zunehmend intensiver in die Handlung hinein. Von Beginn weg wird zwar mit Radio- und TV-Nachrichten über den Vietnamkrieg und Anti-Kriegs-Protesten auf den Straßen das Bild eines zerrissenen Landes gezeichnet, doch J.B. scheint sich in seiner Selbstbezogenheit nicht dafür zu interessieren.


Aber auch seine Freunde, die einst wohl Teil der Gegenkultur waren, haben sich inzwischen entweder ins bürgerliche Leben eingefunden oder sind nach Kanada emigriert, während er mit der Flucht aus seiner Heimatstadt nicht befreiter, sondern nur zielloser und auch gewaltbereiter wird.


Seine Orientierungslosigkeit erscheint in Reichardts meisterhaft entspanntem und ruhigem Film dabei aber nicht nur als individuelle Verlorenheit, sondern verweist auch auf eine gesellschaftliche Stimmung, die wohl nicht nur historisch gelesen werden soll, sondern sich auch auf die gegenwärtige USA übertragen lässt.


Einprägsam macht dabei der abrupte Schluss deutlich, dass man sich auf Dauer nicht der Umwelt entziehen kann, sondern auch ein Individualist wie J.B. - wenn auch durch Zufall - schließlich in die gesellschaftlich-politischen Ereignisse hineingezogen wird.  


 

The Mastermind

USA 2025

Regie: Kelly Reichardt

mit: Josh O'Connor, Alana Haim, John Magaro, Gaby Hoffmann, Hope Davis, Bill Camp, Amanda Plummer, Eli Gelb, Cole Doman, Javion Allen

Länge: 110 min.



Läuft derzeit in den deutschen und österreichischen Kinos, z.B. im Kino GUK in Feldkirch.



Trailer zu "The Mastermind"

 


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