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  • AutorenbildWalter Gasperi

Tenet


Ein Agent soll die Welt vor den Plänen eines russischen Oligarchen retten. Christopher Nolan thematisiert im Gewand eines klassischen Action- und Spionagethrillers die Möglichkeit der Inversion der Zeit. – Großes, temporeiches Kino mit spektakulären Actionszenen, visueller Brillanz, attraktiven Schauplätze, das nach 150 Minuten das Publikum aber auch etwas erschöpft zurücklässt.


"Versuchen sie es nicht zu verstehen – fühlen sie es" sagt eine Wissenschaftlerin zum namenlos bleibenden Protagonisten (John David Washington) angesichts einer Kugel, die nicht aus der Pistole in einen Felsblock fliegt, sondern umgekehrt vom Felsblock in die Pistole zurück. – Diesen Satz, der auch den Trailer zu "Tenet" beendet, kann man auch als Aufforderung an das Publikum lesen, denn mehr auf Immersion als auf Verstehen zielt Christopher Nolans elfter Spielfilm ab.


Spektakuläre Action bietet schon die Auftaktszene mit einem terroristischen Anschlag auf die vollbesetzte Oper von Kiew. Dynamisch geht es weiter über einen Frachter im Nordatlantik zu einem Waffenhändler in Mumbai, in dessen Haus der Protagonist mit seinem Helfer Neil (Robert Pattinson) nur mittels umgekehrtem Bungee-Jumping vordringen kann.


Durchgängig hält Nolan das Tempo enorm hoch, keine Leerstelle gibt es in diesem auf analogem 70mm-Material gedrehten Actionfilm. Nichts erfährt man über die Vorgeschichte oder das Privatleben der Figuren, ganz auf dem Auftrag liegt der Fokus. Mit der bildgewaltigen Inszenierung, bei der die Kameraarbeit von Hoyte van Hoytema, der Schnitt von Jennifer Lame und die dröhnende Musik von Ludwig Göransson perfekt zusammenspielen, bietet "Tenet" dabei wahrhaft atemberaubendes Kino, das nur auf der großen Leinwand und mit seiner Tonkulisse nur in Imax-Kinos seine volle Wirkung entfalten kann.


Zurück zu den Jahrmarktsattraktionen des Kinos der Frühzeit kehrt Nolan mit diesem furiosen, vorwiegend in kalte Blau- und Grautöne getauchten Spektakel und scheint auch mit den James-Bond-Filmen zu spielen. Einerseits werden wie bei OO7 üblich photogene Schauplätze von der Kiewer Oper über die Amalfiküste bis zum Meer vor Vietnam präsentiert. Andererseits konterkariert der Protagonist gezielt das Bond-Image, wenn er keinen Martini, sondern im Dienst nur Antialkoholisches – auch hier fehlt Product-Placement nicht – trinkt und gezielt nicht mit dem Charme und der Verführungskraft Bonds versehen wird. Übermächtig wirkt ihm gegenüber die rund 20 Zentimeter größere Kat (Elizabeth Debicki), die ein Kontrapunkt zum klassischen Bond-Girl ist.


Gleichzeitig wird das Actionspektakel aber auch mit der komplexen philosophischen Thematik der Möglichkeit der Umdrehung der Zeit aufgeladen. Wenn dabei etwa ab der Mitte des Films mehrere Zeitebenen ineinanderfließen und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verschmelzen scheinen, werden die Actionszenen wie eine gleichzeitig vorwärts- und rückwärtslaufende Autoverfolgungsjagd noch aufregender.


Mit dieser Inversion spielt Nolan dabei nicht nur auf der erzählerischen Ebene, sondern auch mit dem Palindrom des Titels "Tenet" ("Grundsatz"), der zunächst als Schlüsselwort genannt wird, das Türen öffnet, dann aber kaum mehr eine Rolle spielt, und den Namen der Figuren. Kein Zufall ist es, dass der russische Oligarch als Antagonist des Protagonisten Andrei Sator (Kenneth Branagh) heißt, ein Kunsthändler Arepo und ein Unternehmen Rotas, sondern eine unübersehbare Anspielung auf das berühmte lateinische Sator-Quadrat, das man horizontal und vertikal, vorwärts und rückwärts lesen kann.


Auch ein mehrmals erwähnter Besuch der versunkenen Stadt Pompeji, kann hier als Hinweis auf das Spiel mit der Zeit gelesen werden, wurde in Pompeji doch über 2000 Jahre das Leben der Römerzeit quasi konserviert. Wissenschaftlich absichern will sich der Brite andererseits bei seiner Inversions-Theorie mit einer Diskussion über die Feynman-Stückelberg-Interpretation und die Umwandlung eines Elektrons in ein Positron.


So spannend aber die Gedanken über die Zeit, die sich freilich durch Nolans gesamtes Werk von "Memento" bis "Interstellar" ziehen, auch sind, so verwirrend wird dieser Actionthriller auch mit zunehmender Dauer. Blass bleiben letztlich auch die Figuren, weil den Schauspielern – wie oft bei diesem Regisseur - kein Raum und keine Zeit gelassen wird, um sie mit Emotionen aufzuladen. Und auch die Dialoge klingen teilweise papieren. – Es gilt eben die eingangs erwähnte Aufforderung zu befolgen: "Nicht verstehen wollen, sondern fühlen". Dann wird man ein filmisches Feuerwerk erleben, das allerdings mit seiner Atemlosigkeit bei einer Länge von 150 Minuten den Zuschauer auch ermüdet und schließlich erschöpft zurücklässt.

Läuft derzeit in den Kinos


Trailer zu "Tenet"



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