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  • AutorenbildWalter Gasperi

Was ist Zeit? – Christopher Nolan wird 50

Aktualisiert: 30. Juli 2020


Wie kein zweiter Regisseur der Gegenwart versteht es Christopher Nolan spektakuläres Blockbuster-Kino mit komplexen Erzählstrukturen und persönlichen Themen zu verbinden. – Der Start von Nolans neuem Film "Tenet" (voraussichtlich) am 12. August sowie sein 50. Geburtstag am 30. Juli bieten sich für einen Streifzug durch das Werk des Briten, wiederkehrende Themen und Strukturen an.


Das Ticken einer Uhr zieht sich beinahe durch den ganzen Weltkriegsfilm "Dunkirk" (2017). Nicht nur den Strand von Dünkirchen, an dem britische Soldaten evakuiert werden sollen, ein über der niederländischen Küstenstadt kreisendes Kampfflugzeug und die Überfahrt eines Kutters über den Ärmelkanal verbindet Christopher Nolan damit, sondern auch drei unterschiedlich lange zeitliche Vorgänge.


Denn während das Flugzeug etwa eine Stunde kreist, dauert die Überfahrt des Kutters einen Tag und die Evakuierung in etwa eine Woche. Aufgehoben werden aber in der Verschränkung der drei Handlungen die zeitlichen Differenzen und das Ungleichzeitige wird gleichgeschaltet.


Kein Einzelfall ist diese Auseinandersetzung mit der Zeit freilich in Nolans Werk. So geht es im Science-Fiction-Film "Interstellar" (2014) ausgehend von einem Weltraumflug um die Relativität der Zeit und die verlangsamte Alterung im All, die dazu führt, dass schließlich bei der Rückkehr die Mutter jünger ist als ihre inzwischen greisenhafte Tochter.


Die Frage nach der Zeit wirft Nolan freilich auch mit den komplexen Erzählstrukturen seiner Filmen auf, die immer wieder mit Rückblenden arbeiten oder auch mit einem Wechsel zwischen Traum und Wirklichkeit ("Inception", 2010) oder Zaubertrick und Realität ("Prestige – Die Meister der Magie", 2006). Und Zeitschleifen sind auch bei Nolans neuerstem Film zu erwarten, handelt es sich doch schon bei dessen Titel "Tenet" um ein Palindrom.


Immer wieder geht es im Werk des am 30. Juli 1970 in London als Sohn eines britischen Werbetexters und einer US-amerikanischen Stewardess geborenen Regisseurs so um Fragen der Realität und der Wahrnehmung, aber auch der Identität. Schon in seinem nach dem um nur 6000 Pfund gedrehten Debüt "Following" (1998) zweiten Spielfilm "Memento" (2000) brach Nolan konsequent mit klassischen Erzählweisen und versetzte den Zuschauer in den Zustand eines gedächtnislosen Mannes, der Schritt für Schritt vergangene Ereignisse zu rekonstruieren versucht. Vom Ende entwickelt sich so "Memento" zum Anfang zurück und der Zuschauer ist gefordert im Kopf die Geschichte wieder in die richtige Chronologie zu bringen.


Wie "Memento" über den Gedächtnisverlust auch von einem Identitätsverlust erzählt, so kreisen viele Filme Nolans um Traumata und labile Identitäten. Während der von Al Pacino gespielte Polizist in "Insomnia" (2002), der in Alaska einen Mord aufklären soll, durch eine Schlaflosigkeit, die sich im 24 Stunden taghellen nördlichsten Bundesstaat der USA sukzessive verstärkt, in eine Krise schlittert, leidet nicht nur Batman alias Bruce Wayne ("Batman Begins", 2005) sondern auch der Protagonist von "Inception" (2010) schwer unter Schuldgefühlen und Traumata.


Frauen spielen in den Filmen Nolans nur Nebenrollen, im Zentrum stehen immer Männer. Getrieben von Obsessionen sind diese Protagonisten immer wieder, förmlich besessen von Verlangen Licht in die Vergangenheit zu bringen ("Memento"), einen Mörder zu fassen ("Insomnia") oder als Zauberer vom Publikum gefeiert zu werden ("Prestige"). Leicht kann, wie Nolan in "The Dark Knight" zeigt, das Böse auch scheinbar unbescholtene Bürger infizieren, wenn sie vom Joker nur geschickt manipuliert und instrumentalisiert werden.


Der Film noir ist entsprechend diesen gebrochenen Charakteren das Genre, dessen sich Nolan vorzugsweise bedient, aktualisiert es aber, lädt es mit philosophischen Themen auf und baut beispielsweise in seine "Dark Knight"-Trilogie auch aktuelle gesellschaftspolitische Bezüge ein. Wie er sich bei der visuellen Gestaltung von "Gotham City" am düsteren Los Angeles von Ridley Scotts "Blade Runner" orientierte, so ist beim Science-Fiction-Film "Interstellar" der Einfluss von Stanley Kubricks "2001" nicht zu übersehen.


Der digitalen Aufnahmetechnik verweigert er sich dabei, dreht auf analogem Film, vorzugsweise auf IMAX-70mm-Format, und verzichtet auch auf den Einsatz von 3D. Auch computergenerierte visuelle Effekte sind nicht nach seinem Geschmack, wenn irgendwie möglich arbeitet er mit echten Sets und Kulissen.


Mit dem Perfektionisten Kubrick verbindet Nolan nicht nur die Fähigkeit eine Großproduktion zu stemmen und doch gleichzeitig einen sehr persönlichen Film zu drehen, sondern auch der zumeist kalte Blick auf die Menschen. Eine Beziehung kann man im Grunde nur zu dem von Matthew McConaughey gespielten Astronauten in "Interstellar" aufbauen.


Fern bleiben einem in den anderen Filmen die Protagonisten, denn Nolan scheint sich als Regisseur quasi als Nachfolger seiner Zauberer in "Prestige" zu sehen: Die Inszenierung ist für ihn auch ein großer Zaubertrick, bei dem er mit gewaltigem Aufwand mit spektakulären Bildern begeistert, mit komplexer Erzählstruktur und Wendungen immer wieder überrascht, aber auch die Konzentration des Zuschauers fordert, und mit packenden existentiellen Fragestellungen zum Denken anregt. – Etwas auf der Strecke bleibt bei aller inszenatorischen Virtuosität und Bildmacht allerdings die emotionale Komponente.


Gesammelte Filmrezensionen zu den Filmen von Christopher Nolan finden Sie hier.

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