top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

Smile - Siehst du es auch?

Aktualisiert: 19. Dez. 2022


Eine Psychiaterin fühlt sich von einem Geist verfolgt. – Klingt abgedroschen, doch Parker Finn macht daraus nicht zuletzt mit fulminantem Sounddesign einen extrem spannenden Psycho-Horrorthriller um äußeren Schein und tief verwurzelte Schuldgefühle.


Mit 17 Millionen Dollar Produktionskosten war Parker Finns Langfilmdebüt als kleiner Film angelegt, doch sukzessive entwickelte er sich zum Kassenschlager und bringt es inzwischen auf ein Einspielergebnis von über 200 Millionen Dollar. Klein gehalten ist auch die Geschichte, für die Finn sein Kurzfilm "Laura Hasn´t Slept" (2020) als Vorlage diente. Im Grunde passiert nichts Spektakuläres, doch die Handlungsführung ist so stringent, das Sounddesign so brillant, dass über 115 Minuten nervenzerrende Spannung geboten wird.


Nicht unwesentlich trägt dazu auch bei, dass Finn konsequent aus der Perspektive der Psychiaterin Rose Cotter (Sosie Bacon) erzählt. In jeder Szene ist die junge Frau, die in der psychiatrischen Ambulanz eines Krankenhauses arbeitet, zu sehen, hautnah folgt ihr die Kamera, sodass man intensiv in ihre Erfahrungen und Gefühlswelt eintaucht.


Vom ersten Bild an terrorisiert Finn dabei das Publikum, setzt schon vor dem Vorspann einen blutigen Akzent, wenn sich eine junge Patientin direkt vor den Augen Cotters mit einem Lächeln die Kehle durchschneidet. Auf Slasher-Momente wird Finn aber im Folgenden weitgehend verzichten, zu Body-Horror wird er nur kurz im Finale greifen.


Im Alltäglichen entwickelt sich hier extreme Spannung, denn Cotter fühlt sich bald nach dem Selbstmord der Patientin wie zuvor diese selbst von einem unheimlichen Wesen verfolgt. Immer wieder sieht sie die lächelnde junge Frau. Doch zuhören will ihr niemand, zeigt kaum Verständnis für ihre Situation. Mit Stress und Überarbeitung wird ihr Verhalten abgetan, weder ihr Verlobter noch ihre Schwester können damit umgehen, der Leiter der Klinik schickt sie in Urlaub.


Souverän spielt Finn mit dem Gegensatz von rationaler Welt und dem Irrationalen von Geistern oder einer psychischen Erkrankung, aber auch Schuldgefühle kommen ins Spiel, denn die Psychiaterin war als Kind Zeugin des Selbstmords ihrer Mutter. Ist das, was sie sieht nur Folge eines nie verarbeiteten Traumas oder sind die dämonischen Wesen real?


Eindrücklich vermittelt Sosie Bacon, die Tochter von Kevin Bacon, mit ihrem intensiven Spiel, wie ihre Welt und ihre Beziehungen durch die psychische Krise sukzessive zerbrechen. Gleichzeitig beginnt sie aber auch mit Hilfe eines Polizisten, mit dem sie einst befreundet war, über die verstorbene Patientin zu recherchieren. Dabei stößt sie auf eine ganze Serie von Selbstmorden, bei denen sich der oder die Betroffene immer mit einem teuflischen Lächeln auf drastische Weise das Leben nahm.


Mit größter Effizienz entwickelt Finn durch Fokussierung auf der Protagonistin die Handlung. Keine Nebengeschichten gibt es hier, aber Schritt für Schritt steigert der 35-jährige Amerikaner die Erschütterung und Krise. Einstellungen aus God´s Eye View und auf dem Kopf stehende Bilder sorgen ebenso für Verunsicherung wie gekippte Einstellungen und langsam gleitende Kameraschwenks.


Vor allem ist es aber das brillante Sounddesign, das die Zuschauer:innen förmlich terrorisiert. Klassische Filmmusik gibt es im Grunde nicht, sondern einen stets beunruhigenden Soundteppich. Ganz banale Geräusche wie das Klingeln eines Telefons oder das Öffnen einer Dose Katzenfutter sorgen so für Schockmomente und auch ein heiterer Kindergeburtstag kann in Schrecken kippen.


Dazu kommt eine sukzessive Zunahme der Wahnvorstellungen der Psychiaterin. Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit eignet sich freilich bestens für Spannungsaufbau und Schocks. Denn immer wieder entpuppen sich scheinbar reale Bedrohungen und irritierende Momente im Nachhinein als Imagination der psychisch schwer angeschlagenen Frau.


So verhandelt Finn in seinem meisterhaften Genrefilm die Frage der Nachwirkung von jahrelang verdrängten Schuldgefühlen, die schließlich doch wieder durchbrechen, aber auch den heutigen selbst auferlegten Zwang zu Selbstoptimierung und glücklicher Fassade. Erscheint nämlich die Psychiaterin zunächst als glückliche junge Frau, so bricht nach dem Selbstmord der Patientin das zuvor über Jahre verdrängte Trauma mit aller Macht wieder durch.


Immer wieder mag sie sich zwar sagen, dass das, was sie sieht, sich nur in ihrer Psyche abspielt und nicht real ist, verdrängen lässt sich das aber zunehmend weniger und bestimmt immer mehr ihr für die Umwelt verstörendes Handeln. Das in der Wohnung des befreundeten Polizisten auffallend präsente italienische Filmplakat "Gli Spericolati" des amerikanischen Skifahrerfilms "Downhill Racer" mit Robert Redford (Donald Ritchie, 1969) verweist dabei laut Finn auf den Abwärtsstrudel, in den die Psychiaterin stürzt.


Am Ende übertreibt es Finn zwar mit den Twists und eine Raffung hätte hier nicht geschadet. Etwas billig ist auch die Offensichtlichkeit, mit der schließlich eine potentielle Fortsetzung schon vorbereitet wird, doch insgesamt ist dem Debütanten mit "Smile" ein kleines Meisterstück des Psycho-Horror gelungen, das nach Filmen wie Scott Derricksons "The Black Phone" und Ti Wests "X" ein weiteres Beispiel für die derzeitige Blüte des Horrorgenres abseits von ausgetretenen Bahnen ist.


Smile – Siehst du es auch? USA 2022 Regie: Parker Finn mit: Sosie Bacon, Kyle Gallner, Jessie T. Usher, Gillian Zinser, Robin Weigert, Kal Penn Länge: 117 min.


Derzeit noch in den Kinos und am 16. und 29.12. am Spielboden Dornbirn


Trailer zu "Smile - Siehst du es auch?"






bottom of page