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  • AutorenbildWalter Gasperi

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Ende der 1970er Jahre will ein kleines Filmteam auf einem Bauernhof in Texas einen Pornofilm drehen, doch das alte Ehepaar, das ihnen die Location vermietet, weiß nichts von diesem Plan. – Ziemlich abgefahrener und sehr spannender Horrorfilm, der auch über christlichen Puritanismus, Sex und Gewalt und die Gier nach Ruhm und ewiger Jugend reflektiert.


Wenn ein Polizeiteam in den späten 1970er Jahren auf einem Bauernhof in Texas, an dem mehrere bestialische Morde geschehen sind, ermittelt, ist der Gedanke an Tobe Hoopers legendären "The Texas Chainsaw Massacre" (1974) nicht weit. Geschickt spielt Ti West nicht nur mit diesem Klassiker, sondern arbeitet auch mit Reminiszenzen an Hitchcocks "Psycho" oder Spielbergs "Der weiße Hai", verliert sich aber nicht im epigonenhaften Zitieren, sondern baut diese Anspielungen geschickt in die Handlung ein.


Vom Schauplatz des Verbrechens blendet West einen Tag zurück und lässt die Handlung mit dem Aufbruch eines kleinen Filmteams von Houston, Texas einsetzen. Auf einem Bauernhof, auf dem Produzent Wayne (Martin Henderson) ein Nebengebäude gemietet hat, will das sechsköpfige Team einen Pornofilm mit dem Titel "The Farmer´s Daughter" drehen.


Der greise Farmer, der sich Sorgen um seine angeblich kranke Frau macht, weiß freilich nichts von diesem Plan. Und während im Fernsehen in Schwarzweiß ständig evangelikale Sendungen über die Sünde und die nötige Hinwendung zu Jesus laufen, dreht das Filmteam Sexszenen.


Doch nicht nur diesen Gegensatz lässt West aufeinanderprallen, sondern arbeitet auch mit dem Kontrast von Alt und Jung. Aufregend kontrastiert und verschränkt er so das alte Ehepaar und das junge Filmteam immer wieder, indem er im engen Format gehaltene Film-im-Film-Sex-Szenen und "reale" Szenen parallel führt und teilweise auch ineinanderfließen lässt. Auf die Spitze treibt er diese Verknüpfung mit einer ebenso kühnen wie verstörenden Gleichsetzung, die sich eindeutig erst durch die Besetzungsliste im Nachspann klärt.


Wie die beiden jungen Porno-Schauspielerinnen von Ruhm träumen, so sehnt sich offensichtlich die alte Farmerin nach der verlorenen Jugend und einstiger Schönheit. Vor allem aber bricht ihr immer noch großes sexuelles Verlangen, das von ihrem offensichtlich unter Potenzproblemen leidenden Mann nicht mehr gestillt werden kann, zunehmend durch, als sie heimlich die Dreharbeiten beobachtet.


West lässt sich viel Zeit mit der Schilderung der Aktivitäten des Filmteams, das zunächst nur geringfügig vom alten Paar gestört wird. Gleichwohl gelingt es dem 42-jährigen Amerikaner von Beginn an hohe und sukzessive sich steigernde Spannung aufzubauen. Denn auch wenn es bis zum ersten Mord rund eine Stunde dauert, sorgen die Verschränkung der Ebenen und ein perfekter Soundtrack, der einerseits mit 70er-Jahre Songs, andererseits mit typischer Horrormusik arbeitet, und aufregende Kameraperspektiven für ein latentes Klima der Verunsicherung und Beunruhigung. Nervenzerrend ist so beispielsweise eine lange Einstellung aus der Vogelperspektive auf einen See, auf dem die junge Maxine (Mia Goth) schwimmt, während sich ihr langsam ohne deren Wissen ein Alligator nähert.


Nicht wohlige Spannung will West erzeugen, sondern das Publikum im Stil der 1970er Jahre Splatterfilme regelrecht terrorisieren. – Und dies gelingt meisterhaft. Souverän steigert er Schritt für Schritt das Klima der Beunruhigung, führt die getrennten Welten zusammen und lässt die Gewalt eskalieren. Wie dabei mit dem Haupthaus und dem Nebengebäude mit dem Setting von Hitchcocks "Psycho" gespielt wird, so orientiert sich auch die Wende gegen Mitte des Films an diesem Klassiker und selbstreflexiv thematisiert das Filmteam auch solche überraschenden Brüche.


Nicht unwesentlich zur Intensität dieses kompromisslosen und konsequenten Genrefilms alter Schule, der geschickt auch mit den Parallelen von Porno- und Horrorfilm spielt, trägt auch die Konzentration auf einen Tag, den Bauernhof als einzigen Schauplatz und wenige Protagonist*innen bei. Auch ist hier kein großes Spektakel nötig, sondern mit wenigen, aber gezielt und wirkungsvoll gesetzten Effekten kommt West aus. Mehr Schauder als die blutigen Mordszenen lösen so wohl die Szenen aus, in denen die runzlige Greisin ein Mitglied des Filmteams umarmt oder still und heimlich sich neben der jungen Maxine ins Bett legt.


So perfekt West aber auch auf der Klaviatur des klassischen Genrekinos spielt und schwarzen Humor dabei nicht zu kurz kommen lässt, so kann man in "X" doch gleichzeitig auch einen bissigen Kommentar auf die USA lesen. Nicht nur mit Fernsehpredigern und deren Aufruf zur Abkehr von Sünde wird hier abgerechnet, sondern auch die Heuchelei der US-Gesellschaft wird angeprangert, wenn die sexuellen Begierden des scheinbar prüden alten Ehepaares schließlich eine zentrale Rolle spielen. Aber auch Jugend- und Schönheitswahn, die Gier nach Ruhm und einem besseren Leben bekommen in dieser starken Genreperle ihr Fett ab.


X USA 2022 Regie: Ti West mit: Jenna Ortega, Mia Goth, Brittany Snow, Martin Henderson, Kid Cudi Länge: 106 min.


Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems


Trailer zu "X"



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