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  • AutorenbildWalter Gasperi

Red Rocket


Nach 17 Jahren Abwesenheit kehrt ein abgehalfterter Pornostar in seine texanische Heimatstadt zurück. – Mit genauem Blick für das Milieu und einem famosen Cast zeichnet Sean Baker ein atmosphärisch dichtes Porträt des White Trash und eines narzisstischen Losers, der glaubt mit seinem Charme alles zu erreichen.


Hautnah ist die Kamera am Gesicht von Mikey "Saber" Davies (Simon Rex), wenn er im Bus in seine Heimatstadt Texas City fährt. Der Wechsel zwischen Blicken auf ihn und seinen Blicken auf das triste Ambiente von Ölraffinerien und heruntergekommener Vorstadt versetzt, verstärkt durch den Song "Bye Bye Bye" der Boyband NSYNC, unmittelbar in Mikeys Perspektive.


Dokumentarischer Blick auf das Milieu und fiktive Geschichte fließen bei Sean Baker ganz selbstverständlich ineinander. An Andreas Dresen ("Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush") erinnern seine Filme im sozialrealistischen Blick, aber auch im humoristischen Akzent, mit dem immer wieder die Tristesse abgefedert wird.


Besonders für die am Rande der Gesellschaft stehende Szene der Sexarbeiter interessiert sich der 51-jährige Filmemacher bisher. Erzählte er in "Starlet" (2012) von einer jungen Frau, die in L.A. im Pornogeschäft das große Geld machen will, so blickte er in dem zur Gänze mit i-phone-Kameras gedrehten "Tangerine L.A." (2015) auf die Transgender-Szene von L.A.. Und im Mittelpunkt von "The Florida Project" (2017) stand eine junge, völlig überforderte arbeitslose Mutter, die sich mit Kleinkriminalität und Prostitution durchschlägt.


Wie der Traum von einer besseren Welt und Zeit wirkt in "Red Rocket" das Porno-Geschäft. Darin soll Mikey im fernen Hollywood ein Star gewesen sein. Wie viel er bei seinen Erzählungen jedoch erfindet, bleibt offen. Jetzt ist er jedenfalls abgebrannt und versucht in Texas, City bei Lexi (Bree Elrod), mit der er immer noch verheiratet ist, und deren Mutter Lil (Brenda Deiss) Unterschlupf zu finden.


Er weiß genau, dass diese Frauen nicht gut auf ihn zu sprechen sind, doch mit seinem Charme gelingt es ihm, sie umzustimmen: Er darf auf der Couch schlafen, muss Hausarbeiten verrichten und Miete zahlen. Doch nach 17 Jahren ohne offiziellen Job eine Arbeit zu finden ist schwierig. Zu erklären, dass man in dieser Zeit Pornodarsteller war, ist eher kontraproduktiv und auch der Hinweis auf einschlägige Videos hilft nicht.


Also steigt Mikey - wieder - ins Drogengeschäft ein und verkauft für die Afroamerikanerin Londrie wie schon einst Marihuana. Und während Livs Gefühle für den entfremdeten Mikey wieder zu erwachen beginnen, beginnt er sich für die 17-jährige Schülerin Strawberry (Suzanna Son) zu interessieren, die in einem Donut-Laden jobbt. Nochmals groß ins Porno-Geschäft will er mit ihr einsteigen und die blutjunge Frau zum Star machen.


Nicht aus einer großen Geschichte entwickeln die Filme Bakers ihre Kraft, sondern aus ihrer Verankerung im Milieu und aus der Verbindung von Milieu- und Charakterstudie. Immer ist so "Red Rocket" untrennbar mit den dicht eingefangenen Schauplätzen vom schäbigen Haus Lexis und Lils über die Ölraffinerie im Hintergrund bis zum Donut-Laden verbunden. Verstärkt wird der schäbige Look durch den Dreh auf 16mm-Filmmaterial. Keinen Hochglanz bietet Kameramann Drew Daniels ("Waves") so, sondern die Bilder wirken leicht unscharf und die Farben verwaschen.


Dazu kommt über Radio- und TV-Meldungen die zeitliche Verankerung während des Präsidentschaftswahlkampfs zwischen Donald Trump und Hillary Clinton 2016. Trumps "Make America Great Again", das einmal auf einem Plakat zu sehen ist, stehen die prekären Lebensbedingungen der Protagonist*innen gegenüber. Gleichzeitig kann man in Mikey eine kleine Parallelfigur zu Donald Trump sehen: Beide wollen sich immer ins beste Licht stellen, machen große Versprechungen und gestehen nie Fehler ein. Und beide verstehen es mit ihrem Charme die Leute zu manipulieren und für sich zu gewinnen.


Tendiert "Red Rocket" in der Schilderung des recht monotonen Alltags von Mikey teilweise selbst zur Monotonie, so gewinnt das Porträt dieses Losers gegen Ende wieder an Dichte. Offen entlarvt dann Baker die Feigheit und das fehlende Verantwortungsgefühl Mikeys, doch man darf annehmen, dass er an seinem Traum von einem Comeback dennoch festhalten wird.


Wo sich bei "The Florida Project" freilich tiefstes Mitgefühl für die vernachlässigte Tochter der Protagonistin einstellte, da kommt bei "Red Rocket" kein Mitleid auf. Trotz der Nähe der Kamera und der Fokussierung auf Mikey ist Bakers Blick wertfrei und unsentimental: Die Zuschauer*innen bleiben distanzierte Beobachter*innen.


Da man so kaum Sympathien für Mikey entwickelt, bleibt die emotionale Kraft von "Red Rocket" eher gering. Dass man den Aktionen dieses Narzissten dennoch interessiert folgt, liegt vor allem an Hauptdarsteller Simon Rex, der einst selbst Porno-Darsteller war. Er scheint diesen Mikey nicht zu spielen, sondern zu leben, vermittelt ebenso dessen Charme und Eloquenz wie dessen Selbstsucht und Feigheit.

Perfekt gecastet sind aber auch die übrigen Rollen wie Bree Elrod als Lexi, Brenda Deiss als Mutter Lil oder der Teenager Suzanna Son als Strawberry. Wie Rex agieren sie ganz natürlich und mit großer Präsenz und halten trotz dramaturgischer Schwächen das Interesse hoch.


Red Rocket USA 2021 Regie: Sean Baker mit: Simon Rex, Suzanna Son, Bree Elrod, Brittany Rodriguez, Ethan Darbone, Shih-Ching Tsou Länge: 131 min.


Läuft am Donnerstag, den 11.8. um 21 Uhr beim Filmfest des Skino Schaan


Trailer zu "Red Rocket"




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