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  • AutorenbildWalter Gasperi

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush


Unermüdlich kämpft die Deutschtürkin Rabiye Kurnaz, unterstützt von ihrem Anwalt, um die Freilassung ihres Sohns Murat, der im Oktober 2001 in Pakistan verhaftet und als angebliches Al-Kaida-Mitglied nach Guantanomo verschleppt wurde. Mit einer herausragenden Meltem Kaptan in der Hauptrolle macht Andreas Dresen aus diesem schweren Stoff eine mitreißende Dramödie um Mutterliebe und Kampf für Gerechtigkeit, bei der auch Kritik am Versagen der deutschen Behörden geübt wird.


Schon mehrfach wurde der Fall des 1982 in Bremen geborenen und aufgewachsenen Türken Murat Kurnaz medial verarbeitet. Kurnaz selbst zeichnete in seiner Autobiographie "Fünf Jahre meines Lebens" seine Haft in Guantanamo nach, wo er nach 9/11 vom Januar 2002 bis zum August 2006 gefangen gehalten und gefoltert wurde. 2013 verfilmte Stefan Schaller dieses Buch und auch John Le Carré ließ sich bei seinem Spionagethriller "Marionetten" (2008) vom Schicksal Murat Kurnaz´ inspirieren.


Stoff für einen Thriller wie Kevin Macdonalds "The Mauretanian" (2021) bietet eine so schockierende Geschichte. Bei Andreas Dresen aber bleibt das amerikanische Gefangnenenlager in der kubanischen Guantanamo Bay, das aufgrund der Lage außerhalb der USA einen rechtsfreien Raum darstellt, an dem Gefangene ohne Anklage und Prozess beliebig lange festgehalten werden können, außen vor. Auch die dortigen Folterungen werden nur kurz angesprochen, der Fokus liegt von der ersten Einstellung an ganz auf Murats Mutter Rabiye, die von Meltem Kaptan mit Verve gespielt wird.


Von der Erkenntnis im Oktober 2001, dass ihr 19-jähriger Sohn nicht in seinem Schlafzimmer, sondern auf dem Weg nach Pakistan ist, bis zu dessen Freilassung im August 2006 spannt Dresen den Bogen. Nicht als Drama legt er seinen Film an, sondern als Dramödie. Von der ersten Szene an schafft der 59-jährige Deutsche dabei mit beweglicher Handkamera und beiläufiger, aber präziser Einbettung ins Milieu Nähe zu seiner Protagonistin.


Von Anfang an spürt man so auch Dresens Liebe zu dieser einfachen, aber temperamentvollen und entschlossenen Bremer Hausfrau. Wärme und tiefe Menschlichkeit entwickelt "Rabiye Kurnaz …" dabei aber auch durch das leidenschaftliche Spiel von Kaptan. Mehr noch als mit ihrer Körperfülle macht sie mit ihrem bestimmten Auftreten oder ihren rasanten Fahrten mit dem Mercedes klar, dass sie kaum etwas stoppen kann.


Keine Hemmungen kennt sie, geht offen auf die Menschen zu, legt aber ihnen gegenüber auch immer ein Einfühlungsvermögen an den Tag, das das Gegenüber rasch für Rabiye einnimmt. So gewinnt sie auch den Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) dafür, für ihre Sache zu kämpfen.


Wie schon der Titel ahnen lässt, ist dies die Geschichte des Kampfs eines Underdogs gegen einen übermächtigen Gegner und selbstverständlich hat bei diesem Kampf gegen den Goliath George W. Bush der weibliche David das Publikum auf seiner Seite.


Wenn Dresen mit Inserts vom Tag 1 im Oktober 2001 bis zum Tag 1786 im August 2006 seinen Film gliedert, macht er damit einerseits die Länge der Haft erfahrbar, andererseits führt diese große Spanne aber auch dazu, dass einzelne Szenen nicht detaillierter ausformuliert werden können. Mehr angerissen als packend verdichtet wird so der gerichtliche Kampf, der Rabiye und ihren Anwalt mehrfach in die USA führt. Auch das beschämende Agieren und Versagen der deutschen und der türkischen Behörden wird zwar mehrfach angesprochen, gewinnt aber kaum Profil und rückt gegenüber dem Porträt der herzensguten deutschtürkischen Mutter in den Hintergrund.


Einen treffenden Kontrapunkt hat diese vitale Frau in ihrem nüchtern-zurückhaltenden Anwalt, den Alexander Scheer wunderbar trocken-lakonisch spielt. Ein ungleiches Paar ist das, das an Judi Dench und Steve Coogan in Stephen Frears "Philomena" erinnert. An Facetten gewinnt die Protagonistin dabei, wenn Dresen zeigt, wie der Kampf um die Freilassung ihres Sohnes schließlich bei ihr doch Spuren hinterlässt, sie einerseits erkennt, dass sie ihre beiden anderen Söhne zu sehr vernachlässigt, und sie andererseits körperlich Tribut zollt.


Aber auch das furiose Spiel von Meltem Kaptan, die bei der heurigen Berlinale dafür als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, kann nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass sich nicht nur die Zeit bis zur Freilassung Murats, sondern auch der Film gegen Ende hin zieht. Da lässt nicht nur der Schwung Rabiyes, sondern auch der Schwung des Films nach.


Und insgesamt bleiben auch Zweifel, ob man denn einen so leichten und komödiantischen Film zu einem so ernsten und erschütternden Thema wie Guantanamo und den damit verbundenen Folterungen machen darf. Andererseits bringen vielleicht Optimismus und Lebensfreude mehr als schonungsloser Realismus und unbestritten ist, dass Dresen und sein Team mit ihrem entschiedenen Engagement für Rechtsstaatlichkeit und gegen illegale Inhaftierung und bürokratische Winkelzüge das Herz am rechten Fleck haben.


Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush Deutschland 2022 Regie: Andreas Dresen mit: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kirik, Sevda Polat Länge: 119 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: 12.5., 19.30 Uhr Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: 16.6., 20 Uhr TaSKino Feldkirch im Kino Rio: 27.6. - 30.6.


Trailer zu "Rabiye Kurnaz gegen George W. Busch"



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