Kevin MacDonald zeichnet den Kampf einer US-Anwältin um die Freilassung des Mauretaniers Mohamedou Ould Slahi nach, der nach 9/11 vom US-Geheimdienst festgenommen und nach Guantanamo verschleppt wurde.
Ansatzlos zieht Kevin MacDonald das Publikum mit der Verhaftung Mohamedou Ould Slahis (Tahar Rahim) im November 2001 – drei Monate nach dem Anschlag von 9/11 – während einer Familienfeier in seiner nordafrikanischen Heimat ins Geschehen hinein.
Mit dem Vorspann werden gut drei Jahre übersprungen und die Handlung setzt mit der Menschenrechtsanwältin Nancy Hollander (Jodie Foster) neu ein. Diese will auf Drängen von Slahis Familie ein Haftprüfungsverfahren einleiten. Parallel dazu strebt der Militärstaatsanwalt Stuart Couch (Benedict Cumberbatch), der fest davon überzeugt ist, dass Slahi Leute für die Al-Kaida, darunter auch die Attentäter vom 11. September 2001, rekrutierte, einen Prozess an, der mit dem Todesurteil für den Mauretanier enden soll.
In geschicktem Aufbau kann MacDonald nach diesem unvermittelten Einstieg einerseits mit Erinnerungen des Häftlings, andererseits auch mit den Recherchen von Anklage und Verteidigung in durch engeres Bildformat klar abgehobenen Rückblenden nicht nur schlaglichtartig Einblick in die Vorgeschichte Slahis mit Kindheit in Mauretanien und Studium in Deutschland, sondern auch in dessen Haft in Guantanamo bieten. Auf zivile Verhöre folgt dabei schließlich brutale Folter durch Militärs mit unter anderem Waterboarding, Schlafentzug und Schlägen, bis der Häftling zusammenbrach und gestand, was immer die Folterer wollten.
Heftige und schwer zu verdauende Szenen sind dies und MacDonald schont das Publikum nicht, aber nötig ist wohl dieser schonungslose Realismus, um der Anklage gegen diese Vorgangsweise, die jeder Rechtsstaatlichkeit widerspricht, Nachdruck zu verleihen. Möglich war so ein Vorgehen durch die Verschleppung der Verhafteten in den auf Kuba gelegenen US-Marinestützpunkt Guantanamo, da dieser außerhalb oder zumindest fern der US-Gerichtsbarkeit liegt.
Nüchtern und schnörkellos zeichnet MacDonald, unterstützt von Zeitinserts, die Geschichte nach. Auf einen privaten Background verzichtet er bei der Anwältin völlig, baut ihn bei Slahi aber fragmentarisch ein, um eine stärkere emotionale Beziehung zu der Figur herzustellen. Auf Action wird dabei verzichtet, im Zentrum steht das mühsame Studium der Dokumente, bei dem der Anwältin von den Behörden immer wieder Prügel in den Weg gelegt werden.
Gegenpol zu ihrer professionellen Sachlichkeit ist ihre Mitarbeiterin (Shailene Woodley), die wesentlich emotionaler agiert und sich für den Häftling nur einsetzt, weil sie an dessen Unschuld glaubt, während Hollander davon überzeugt ist, dass auch ein allenfalls Schuldiger ein Recht auf eine angemessene und bestmögliche Verteidigung hat. Während Hollander freilich ihren Weg geht, wird beim Ankläger mit zunehmender Erkenntnis der Sachlage der Glaube an den amerikanischen Rechtsstaat erschüttert.
Routiniert, aber auch ziemlich konventionell ist das inszeniert. Sicher spielen auch Jodie Foster und Benedict Cumberbatch, aber Raum um vielschichtige Charaktere zu zeichnen, lässt ihnen das Drehbuch kaum. Wirklich stark ist dagegen der algerischstämmige Franzose Tahar Rahim, der Slahi mit Leidenschaft und großem Körpereinsatz spielt, dessen Leiden vermitteln kann und gleichzeitig immer wieder Hoffnung und sogar Humor durchschimmern lässt.
Andererseits geht "The Mauritanian" aber auch nie über das klassische Muster solcher politisch engagierten Filme hinaus. Starke Anklage an die Machenschaften von US-Regierung, Geheimdienst und Militär ist das zwar. Mit der sich über gut fünf Jahre spannenden Handlung bürdet MacDonald seinem Thriller aber auch etwas viel auf und muss eine Agenda abarbeiten, statt einzelne Figuren oder Szenen wirklich verdichten zu können.
Dieses Manko zeigt sich speziell im Nachspann, bei dem nicht nur – wie üblich – durch Archivmaterial von Slahi der Bogen zur Realität geschlagen wird, sondern bei dem auch wieder Inserts die Geschichte zu Ende erzählen müssen. Denn meint man, dass mit Slahis Ausruf "Freiheit" im Frühjahr 2010 der Fall abgeschlossen sei, so informieren Texttafeln, dass seine Haft damit längst noch nicht beendet war. Dennoch konnte er 2015 seine Erfahrungen unter dem Titel "Guantanamo-Tagebücher" veröffentlichen, die sich zu einem Bestseller entwickelten und als Vorlage für MacDonalds Film dienten.
Zudem macht der Nachspann bewusst, dass dieses Schicksal kein Einzelfall war, sondern dass 779 Menschen in Guantanamo inhaftiert waren, von denen nur acht verurteilt wurden und drei davon wiederum nach Berufung freigesprochen wurden. Deutlich macht dies, dass es in Guantanomo nie darum ging, Schuldige festzuhalten, sondern Sündenböcke wegzusperren und Rache für Terroranschläge zu üben. Abgeschlossen ist dieses dunkle Kapitel der US-Geschichte immer noch nicht, denn immer noch sind in Guantanomo 40 Menschen inhaftiert.
Läuft derzeit in den Schweizer und österreichischen Kinos
Trailer zu "The Mauritanian"
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