Aufregendes und frisches Kino bietet Trey Edward Shults mit seinem in Südflorida spielenden afroamerikanischen Familiendrama. Nicht zu übersehen ist aber auch, dass die bildmächtige, ebenso selbstbewusste wie selbstverliebte Inszenierung die Handlung und die Charaktere teilweise in den Hintergrund drängt.
Schon mit den ersten Tönen und Bildern nimmt Trey Edward Shults´dritter Spielfilm das Publikum gefangen. Wenn man zu Schwarzfilm das schwere Atmen einer jungen Frau hört und dann die Kamera der mit dem Fahrrad durch eine Allee fahrenden jungen Emily (Taylor Russell) fließend folgt, wird man schon auf einen ganz ungewöhnlichen und aufregenden filmischen Trip eingestimmt.
Abrupt wechselt die Szene zu Jugendlichen, die im Auto unterwegs sind, bald zu hartem Fitnesstraining, bei dem der junge Afroamerikaner Tyler Williams (Kelvin Harrison Jr.) und seine Ringerkollegen mit dem Satz "Ich bin eine Maschine" geradezu militärisch gedrillt werden, dann zu einer Schulszene und schließlich zu einer Party am Strand.
Unglaublichen Drive entwickelt dieser Auftakt durch die stets kreisende oder fließend dahingleitende Kamera von Drew Daniels – man merkt, dass Shults bei Terrence Malick Praktikant war - und den elektrisierenden Synthesizer-Musik von Trent Reznor und Atticus Ross, die schon zu den letzten Filmen von David Fincher fulminante Soundtracks beisteuerten.
Zunehmend rückt nach diesem furiosen Auftakt Tyler in den Mittelpunkt, der die Abschlussklasse der Highschool besucht und mit seiner jüngeren Schwester Emily und seinen Eltern in einem luxuriösen Haus wohnt. Wie beim Training wird er auch von seinem strengen Vater (Sterling K. Brown), der keinen Widerspruch duldet, zu maximaler Leistung angetrieben. Seinem Sohn erklärt er, dass sie sich den Luxus nur durchschnittlich zu sein, nicht leisten können, sondern immer viel besser als die Weißen sein müssen, um das Gleiche zu bekommen.
Intensives physisches Körperkino bietet Shults, der selbst weiß ist, wenn er die muskelbepackten jungen Afroamerikaner ins Bild rückt und erzählt dabei von einem Männlichkeitswahn, mit dem versucht wird, Kränkungen und Benachteiligungen zu kompensieren. Keine Schwäche wollen sich die Männer zugestehen, wie Tylers Vater mit harter Hand die Familie lenkt, verheimlicht Tyler eine Schulterverletzung und nimmt heimlich zunehmend mehr Schmerztabletten, um weiter ringen zu können.
Auch gegenüber seiner Freundin Alexis (Alexa Demie) will er zeigen, dass er das Sagen hat und will für sie entscheiden, als sie ihm erklärt, dass sie schwanger ist. Durch den Einfluss der Schmerztabletten wird er so zunehmend aggressiver, wobei auch der Wechsel von Breitwandformat zu engem 4:3 seine Beklemmung und sein quasi zwanghaftes Verhalten vermittelt.
Wie der Priester bei der Messe, die die Familie am Anfang besuchte, von der Macht der Liebe, aber auch von Hass predigte, erzählt auch "Waves" von diesen beiden Polen. So weitet sich das Bild auch wieder, als der Film nach einem tragischen Ereignis neu einsetzt und mit der Geschichte von Tylers Schwester Emily zart und sanft von Liebe und Versöhnung erzählt.
Nicht nur in den gegenläufigen Charakteren und Geschichten von Bruder und Schwester wird dieses Spannungsfeld verhandelt, sondern Shults vermittelt dies auch in der Inszenierung, bei der lange Schwarzblenden immer wieder Zäsuren und Zeitsprünge markieren. Da steht nicht nur der Maskulinität und Körperlichkeit Tylers die Sanftheit und Zerbrechlichkeit Emilys gegenüber, sondern immer wieder stehen auch kräftigem Rot markantes Blau gegenüber und langen kreisenden und gleitenden Kamerabewegungen statische Einstellungen bei Dialogen.
Zweifellos furios ist das inszeniert, besticht auch durch die Frische und Natürlichkeit der abgesehen von Luke Hedges weitgehend unbekannten jungen Schauspieler und die geographische Verankerung im sommerlichen Florida, doch nicht zu übersehen ist auch die Überinszenierung. Pures Kino bietet der erst 31-jährige Regisseur zwar im Spiel mit der Kamera, mit Licht und Farbe und dem mit zahlreichen Songs angereicherten Soundtrack und beschwört ganz im Stil der Filme von Wong Kar-wai oder Barry Jenkins´ "Moonlight" damit intensiv Gefühle und Atmosphäre.
Gleichzeitig drängt die offen ausgestellte formale Meisterschaft aber auch immer wieder die menschlichen Schicksale in den Hintergrund, während die gesellschaftliche Komponente fast gänzlich ausgeklammert bleibt. Dass hier einer zeigen will, was er filmisch alles drauf hat, stört den Gesamteindruck, gleichzeitig lässt diese formale Virtuosität hoffen, dass man von Schults noch einiges hören wird, wenn er sich bei kommenden Filmen als Regisseur etwas mehr in Zaum hält und zurücknimmt.
Läuft derzeit im Cinema Dornbirn
Trailer zu "Waves"
Comentarios