top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

Padrenostro


Claudio Noce erzählt, von persönlichen Erfahrungen inspiriert, aus Kinderperspektive von der Beklemmung, die die terroristischen Anschläge im Italien der 1970er Jahre auslösten: Ein atmosphärisch dichtes und stark gespieltes Drama, bei dem auch Einiges bewusst im Unklaren bleibt.


Etwas über ein Jahr alt war Claudio Noce, als sein für die Terrorismusbekämpfung in der Region Lazio zuständiger Vater im Dezember 1976 bei einem terroristischen Anschlag verletzt wurde. Als die Bleiernen Jahre gelten in Italien die 1970er und 1980er Jahre, in denen Terroranschläge der linken Roten Brigaden, Attentate neofaschistischer Extremisten und rivalisierende Mafiaclans das Land in Atem hielten. Von persönlichen Erfahrungen ist Noces Drama so inspiriert, doch er nimmt sich beispielsweise die Freiheit sein Alter Ego zehn Jahre älter zu machen, als er selbst es damals war, und die Ereignisse vom Winter in Frühjahr und Sommer zu verlegen.


Im Mittelpunkt steht der zehnjährige Valerio (Mattia Garaci), der mit seinen Eltern und seiner Schwester in einer großbürgerlichen Wohnung in Rom lebt. Während sich der Junge der Mutter gegenüber distanziert verhält, liebt er seinen Vater (Pierfrancesco Favino) über alles, auch wenn dieser als Vize-Polizeipräsident nur selten zuhause ist. Immer wieder zieht sich so Valerio auf dem Dach des Hauses in eine Fantasiewelt zurück, doch eines Morgens wird er Zeuge eines terroristischen Anschlags auf seinen Vater.


Statt diese traumatischen Erfahrungen mit dem Jungen aufzuarbeiten, schweigt die Mutter aber lieber darüber. Von Nachrichten über die Ereignisse wird Valerio abgeschottet und, als der Vater aus dem Krankenhaus zurückkehrt, will die Familie der beklemmenden Stimmung in Rom durch einen Urlaub bei der väterlichen Familie im ländlichen Kalabrien entkommen. Dort angekommen, taucht aber auch bald der etwa 14-jährige, geheimnisvolle Christian (Francesco Gheghi) auf, den Valerio zuvor in Rom kennengelernt hat.


Ganz aus der Perspektive Valerios erzählt Noce, versetzt den Zuschauer in die Wahrnehmung und Gefühlswelt dieses Jungen, für den vieles unklar und beunruhigend ist. Ausgeschlossen wird er aus der Welt der Erwachsenen, kann nur beobachten und seine Schlüsse ziehen. Seine Verunsicherung und Beklemmung macht Noce dabei immer wieder mit einer schwankenden und torkelnden Kamera erfahrbar.


Verstärkt wird diese Beklemmung durch den Gegensatz von Innen und Außen. Während auf der einen Seite nämlich sommerlich warme, von Braun- und Gelbtönen bestimmte Bilder eine friedliche Urlaubsstimmung beschwören, bestimmt andererseits Angst und Unsicherheit die Menschen. Gleichzeitig arbeitet Noce aber auch mit dem Gegensatz von schützender Familie und privatem Raum und Bedrohung in der Öffentlichkeit.


Immer wieder wird nicht nur bei Valerio und seinem Vater das Gefühl aufgebaut, dass ein Anschlag droht, sondern intensiv auch beim Zuschauer, wenn beispielsweise bei einer Autofahrt sich ein Motorrad von hinten nähert oder die Familie mit dem Auto in einem Tunnel im Stau steckt.


Auch die Figur des Christian als Fremder, der langsam in die Familie von Valerio einbricht, sorgt für einige Irritation. Ist zunächst offen, ob dieser Freund real oder Imagination ist, kann man zwar bald ahnen, in welcher Beziehung er zu Valerios Vater steht, doch Noce geizt mit Informationen, lässt den Zuschauer letztlich im Ungewissen und irritiert auch mit dem Ende.


Nicht nur durch das gesellschaftliche Klima baut sich hier Beklemmung auf, sondern auch durch die Unfähigkeit in der Familie über Ereignisse zu sprechen. Nicht nur der Anschlag wird so von den Eltern quasi unter den Tisch gekehrt, auch später wird eine verstörende Aktion Valerios nicht weiter thematisiert.


Erzählerisch überzeugt hier nicht alles, allzu viel bleibt doch im Unklaren und auch die Rahmenhandlung wirkt aufgesetzt, die wohl metaphorisch die Aussöhnung Italiens beschwören soll. Eindrücklich und intensiv evoziert Noce aber die Stimmung dieser Zeit und vertrauen kann er auch auf sein Ensemble. Bewegend vermittelt Mattia Garaci die Gefühlswelt Valerios zwischen traumatischen Erinnerungen, Eifersucht und Liebe zum Vater. Und auch Pierfrancesco Favino, der zuletzt schon als Kronzeuge gegen die Mafia in Marco Bellocchios "Il traditore" und in Gabriele Muccinos breitem Gesellschaftsfresko "Gli anni più belli" brillierte, gelingt es hinter der gefassten und ruhigen Oberfläche des Vaters immer wieder die Angst und Beklemmung dieses geschockten und verunsicherten Polizisten erfahrbar zu machen.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino in Schaan


Trailer zu "Padrenostro"




bottom of page