Marco Bellocchio zeichnet in dynamischer Erzählweise die Geschichte des Mafiosi Tommaso Buscetta nach, der Mitte der 1980er Jahre sein Schweigen brach und in den sogenannten Maxi-Prozessen als Kronzeuge gegen die sizilianische Mafia aussagte. – Ein wuchtiger und kraftvoller Film, fern jeder Glorifizierung der „ehrenwerten Gesellschaft“, der mit seiner Fülle den Zuschauer aber auch fast erschlägt.
Wie Francis Ford Coppolas legendärer „Der Pate“ mit einer Hochzeit beginnt, so setzt Marco Bellocchios zweieinhalbstündiges Epos 1980 mit einer Feier am Festtag der Heiligen Rosalia, der Stadtheiligen von Palermo, ein. Mit diesem großen Fest soll die Zusammenarbeit zweier bisher verfeindeter sizilianischer Mafia-Clans besiegelt werden.
Ein Gruppenfoto nützt Bellocchio, um die Namen der Protagonisten einzublenden. Mitten unter ihnen ist der 1928 geborene Tommaso „Don Masino“ Buscetta (Pierfrancesco Favino), der seit seiner Jugend dazugehört und als „einfacher Soldat“ Befehle ausführt, aber nie aufsteigen wollte, da ihm nach eigener Aussage im Gegensatz zum Mafiaboss Toto Riina immer Frauen und Lebensgenuss wichtiger waren als Geld und Macht. Nicht nur zahlreiche Morde gehen auf sein Konto, sondern er hat auch schon seinen eigenen Sohn an die Drogen verloren.
Von Sizilien setzt er sich kurz nach diesem Fest mit seiner Familie nach Brasilien ab, taucht dort unter falschem Namen unter und organisiert den Drogenhandel von Lateinamerika nach Europa. In seiner Abwesenheit bricht aber ein Krieg unter den Banden aus.
In treibendem Rhythmus und mit Inserts zur bald über 100 steigenden Zahl der Toten greift Bellocchio einige dieser Morde heraus und vermittelt dabei mitreißend die Brutalität dieser Auseinandersetzung. - Hier gibt es keine Glorifizierung. Jedes Pathos ist diesem Film durch seinen reportagehaften, nüchternen Erzählstil ausgetrieben.
Vier Jahr später fliegt aber Buscettas Tarnung auf. Mit Hilfe des Militärs wird er in Brasilien verhaftet, gefoltert und versucht erfolglos, sich mit einem Selbstmordversuch der Auslieferung an Italien zu entziehen. Entschlossen weigert er sich zunächst mit der Justiz zu kooperieren, will kein „Pentito“, kein Verräter, sein, der die Omertà, bricht, sondern sieht sich als Ehrenmann, dem das Schweigegelübde gegenüber der Cosa Nostra heilig ist. Schließlich packt er aber gegenüber dem Richter Giovanni Falcone (Fausto Russo Alesi) doch aus, weil er dadurch dem Gefängnis entgehen und Frau und Kinder, die inzwischen in den USA leben, wiedersehen kann.
Über 400 Seiten umfasst sein Geständnis und leitet den größten Prozess gegen die Mafia ein. 366 Mafiosi werden verhaftet und angeklagt, den Gerichtssaal verwandeln sie aber förmlich in einen Affenzirkus, wenn einer sich den Mund zunäht, ein anderer sich nackt auszieht, ein dritter einen epileptischen Anfall vortäuscht oder ihn wirklich erleidet, ein Zeuge nur sizilianisch spricht, sodass ihn niemand versteht. Wie Tiere in Käfige gepfercht bringen die Angeklagten mit ihren Zwischenrufen immer wieder Unruhe in den Prozess und machen ihn zur Farce.
Zahlreiche langjährige Haftstrafen werden ausgesprochen, Buscetta kehrt zu seiner Familie in die USA zurück. Trotz der Distanz lebt er aber ständig in Unsicherheit, fürchtet Rache für seinen Verrat. Diese trifft aber seine Familie in Sizilien und auch seine Schwester wendet sich von ihm ab, verflucht ihn, als ihr Mann wegen Buscettas Verrat ermordet wird.
Aber auch gegen Richter Falcone schlägt die Mafia zurück, jubelt als er 1992 mit einem Stück Autobahn in die Luft gesprengt wird. Für Buscetta ist das aber ein Grund nach Italien zurückzukehren, Ministerpräsident Andreotti auf die Anklagebank zu zerren, doch dessen Anwalt stellt den Sizilianer als Lügner hin, sodass es zu keiner Verurteilung kommt.
Über 20 Jahre, von 1980 bis zu Buscettas Tod im Jahr 2000, spannt Bellocchio den Bogen. Ungemein kraftvoll erzählt der 81-jährige Altmeister, entwickelt einerseits die dichtbepackte Handlung dynamisch nach vorne, streut andererseits immer wieder Rückblenden ein.
Mit zahlreichen Inserts zu Ort und Zeit werden die Ereignisse historisch verankert, zur großen Oper steigert sich "Il Traditore" nicht nur, wenn die Urteilsverkündung vom Gefangenenchor aus Verdis „Nabucco“ begleitet wird.
Zusammengehalten wird dieser wuchtige Film aber durch den von Pierfrancesco Favino vielschichtig gespielten Tommaso Buscetta. Auch wenn dieser sich immer wieder als Ehrenmann bezeichnet, der nicht familiäre Probleme vor Gericht ansprechen will und dem die Familie über alles geht, verklärt ihn Bellocchio nicht.
Nie sieht er seine Kooperation mit der Justiz als Verrat, sondern sieht den Verräter vielmehr in dem Mafiaboss Toto Riina und seinen Kollegen, die die ehrwürdigen Regeln der in Buscettas Sicht einst guten Mafia mit dem Einstieg in den Drogenhandel verraten haben.
Eine schillernde und ambivalente Figur wird so gezeichnet. Daran, dass aber auch er zu den Tätern gehörte und ein brutaler Mörder war, erinnert Bellocchio nochmals nachdrücklich im Finale, wenn sich der alte Buscetta kurz vor seinem Tod an seinen Jahrzehnte zurückliegenden ersten Mord erinnert.
Meisterhaft verknüpft Bellocchio das Porträt dieses Mafiosi, der eine enge Beziehung zu Richter Falcone entwickelte, mit den verbrecherischen Machenschaften der Mafia, die sich bis in höchste politische Kreise erstrecken, und dem Kampf der Justiz dagegen. Wie Bellocchio diese Fülle an genau recherchierten Fakten in seinem zweieinhalbstündigen Film unterbringt, nie die Übersicht verliert, sondern klar strukturiert erzählt, zeigt die Handschrift eines Meisters. Gleichzeitig geht dabei aber auch letztlich Fülle über Tiefgang, denn wenig Profil gewinnen abgesehen von Buscetta die Figuren und Hintergründe und Zusammenhänge bleiben für den mit den Ereignissen nicht Vertrauten vielfach unklar.
Läuft ab Freitag, 14.8. in den österreichischen Kinos
FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 28. 10, 18 Uhr + Do, 29.10, 19.30 Uhr
Trailer zu "Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra"
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