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Oslo Stories: Träume

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 15. Mai
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 29. Mai

"Oslo Stories: Träume": Fein gewobenes Drama über die Schönheit und den Schmerz einer ersten großen Liebe
"Oslo Stories: Träume": Fein gewobenes Drama über die Schönheit und den Schmerz einer ersten großen Liebe

Im zweiten Teil seiner "Oslo Stories" erzählt Dag Johan Haugerud intensiv von den Schönheiten und dem Schmerz einer ersten großen Liebe: Ein durch sein Voice-over und die Dialogdichte sehr literarisches und durch seine Perspektivenwechsel vielschichtiges und fein gewobenes zartes Drama, das bei der heurigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde.


In welcher Reihenfolge man die Filme von Dag Johan Haugeruds "Oslo Trilogie" sieht, ist egal. Die erzählten Geschichten sind voneinander unabhängig, gemeinsam sind den Filmen nur die Themen Liebe, Sehnsucht und Sex, Oslo als Schauplatz sowie der Schauspieler Lars Jacob Holm, der in allen drei Filmen in Nebenrollen mitwirkt und zumindest in "Liebe" und "Träume" einen Psychologen spielt.


Obwohl "Sehnsucht / Sex" als erster Film 2024 bei der Berlinale seine Premiere feierte und "Träume" als letzter bei der Berlinale 2025 im Wettbewerb lief und mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, kam nun im deutschsprachigen Raum "Liebe" zuerst in die Kinos und der zuletzt vorgestellte "Träume" folgt als zweiter Film. Haugerud selbst sieht dagegen "Liebe" als Abschluss der Trilogie an und in Norwegen startete dieser Film erst nach "Sehnsucht / Sex" und "Träume".


Mögen auch "Liebe" und "Träume" (und auch "Sehnsucht / Sex") in Oslo spielen, so rücken sie doch ganz unterschiedliche Viertel der Stadt ins Bild. Denn während in "Liebe" die wiederholte Überfahrt mit der Fähre auf eine vorgelagerte Insel eine wichtige Rolle spielt, streifen die Protagonistinnen in "Träume" durch ein Wohnviertel ebenso wie durch die nahen Wälder.


Im Gegensatz zu "Liebe" ist "Träume" auch ein Film, in dem praktisch nur Frauen vorkommen, und mit der 17-jährigen Johanne (Ella Øverbye) steht keine Erwachsene, sondern ein Teenager im Zentrum. Statt der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Beziehungsmöglichkeiten in "Liebe" geht es so in "Träume" um die Freuden und Leiden der ersten großen Liebe.


Mit dem Voice-over des Teenagers wird von Beginn an die Erzählperspektive festgelegt, gleichzeitig wird in diesem sich durch den Film ziehenden Kommentar und den ausführlichen Dialogen wie auch in "Liebe" Haugeruds literarischer Hintergrund als erfolgreicher Romanautor und Bibliothekar spürbar.


Wenn "Träume" einsetzt ist die Liebe von Johanne schon vorüber und rückblickend erzählt sie die Geschichte. Damit die Erfahrungen, die ebenso schön wie schmerzhaft waren, nicht verblassen, hat der Teenager sie nämlich niedergeschrieben.


Intensiv beschreibt sie, wie sie von der ersten Sekunde an von ihrer neuen Französisch- und Norwegischlehrerin Johanna (Selome Emnetu) fasziniert war, wie sie die Gefühle sich zunächst nicht erklären konnte, aber bei jedem Blick auf die junge Frau immer aufblühte und ständig an sie dachte, sie aber nie wirklich anzusprechen wagte.


Mit warmen Farben und Lichtführung beschwört Haugerud das Gefühl dieser Liebe auch über die visuelle Ebene. Auch in der Wohnung der geliebten Johanna, die auch über den fast identischen Namen mit Johanne verbunden wird, lässt der Norweger mit Gelb-, Braun- und Rottönen die Wärme spüren, die der Teenager durch die Nähe zur Lehrerin empfindet.


Hatte Johanne die Erlebnisse zunächst freilich nur für sich niedergeschrieben, gibt sie das Manuskript dann doch ihrer Großmutter (Anne Marit Jacobsen), um von dieser Schriftstellerin ein Feedback zu bekommen. Diese gibt den Text wiederum Johannes Mutter (Ane Dahl Torp) weiter und angesichts der detaillierten Beschreibungen des Körpers der Lehrerin kommen Fragen des Missbrauchs auf.


Andererseits wechselt die Mutter auch abrupt ihre Position, sieht im Buch Johannes ein feministisches Juwel und, weil sowohl Großmutter als auch Mutter von der literarischen Qualität begeistert sind, wird bald auch über eine mögliche Veröffentlichung diskutiert. Dazu muss aber auch der Lehrerin das Manuskript zur Durchsicht gegeben werden, die wieder eine ganz andere Sicht der Beziehung hat.


Wenn Johanne Johanna besucht, um stricken zu lernen, kann man darin auch einen Verweis auf die filmische Struktur sehen. Denn wie ein Kleidungsstück ist auch "Träume" selbst sehr fein gewoben. Fließend sind hier nicht nur die Übergänge zwischen Voice-over und direkten Dialogen, sondern bruchlos werden auch die Perspektiven gewechselt, die immer wieder neue Sichtweisen zu Tage fördern.


Wo Johanne nämlich schwärmerisch eine große Liebe sieht, sieht Johanna die Beziehung deutlich nüchterner, sodass sich auch die Frage stellt, wo in Johannes Schilderung die Realität endet und eine geträumte und ersehnte Beziehung beginnt. Gleichzeitig lösen die tiefen Gefühle des Teenagers bei Großmutter und Mutter eine Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Liebesleben aus und machen ihnen die im Alter verdrängten oder nicht gestillten Sehnsüchte bewusst.


Im Gegensatz zu den horizontalen Fährüberfahrten in "Liebe" spielt Haugerud dabei von der ersten Einstellung an wiederholt mit einer schier in den Himmel führenden endlosen Treppe und später mit den verschachtelten Stiegenhäusern in der Schule und in Wohnblöcken. Spätestens wenn in einer traumartigen Szene zahllose Menschen auf dieser Himmelsleiter in die Höhe streben, werden diese Stiegen unübersehbar zur Metapher für das Sehnen des Menschen nach etwas, das er vielleicht dann doch nicht erreicht.


So durchzieht auch Melancholie über eine unerfüllte (erste) Liebe dieses sanfte und immer Leichtigkeit bewahrende Drama, aber Haugerud deutet am Ende auch optimistisch nicht nur ein Verblassen der scheinbar so unauslöschlichen Erfahrung an, sondern auch einen gelösten Neubeginn.

 

Oslo Stories: Träume

Norwegen 2024 Regie: Dag Johan Haugerud  mit: Ella Øverbye, Selome Emnetu, Ane Dahl Torp, Anne Marit Jacobsen, Andrine Sæther, Ingrid Giæver Länge: 111 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.

FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 25.6., 18 Uhr + Do 26.6., 19.30 Uhr


Eine Rezension zu "Oslo Stories: Liebe" finden Sie hier und zu "Oslo Stories: Sex / Sehnsucht " hier.


Trailer zu "Oslo Stories: Träume"


 

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