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Oslo Stories: Love / Liebe

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 17. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit
"Oslo Stories: Liebe": Sehnsüchte und Beziehungen abseits der gesellschaftlichen Norm
"Oslo Stories: Liebe": Sehnsüchte und Beziehungen abseits der gesellschaftlichen Norm

Dag Johan Haugerud spürt anhand einer Ärztin, die sich fragt, ob sie eine feste Beziehung mit einem geschiedenen Geologen eingehen soll, und einem Krankenpfleger, der per App flüchtige Begegnungen mit Männern sucht, dem Verhältnis von individuellen Sehnsüchten und gesellschaftlichen Normen ebenso wie dem Verhältnis von Liebe und Sexualität nach: Die unaufgeregte Erzählweise und die Offenheit gegenüber dem Thema sorgen dafür, dass der stark gespielte Film nachwirkt.


In seinen "Oslo Stories" will sich der Norweger Dag Johan Haugerud in drei voneinander unabhängigen Filmen mit zentralen menschlichen Gefühlen, mit Sexualität und Identität auseinandersetzen. Wie in einer Versuchsanordnung werden dabei die Gefühle ausgelotet, gleichzeitig sorgen präzise Dialoge, hervorragende Schauspieler:innen und die Einbettung der Handlung im Ambiente der norwegischen Hauptstadt dafür, dass die Geschichten mit Leben erfüllt werden und berühren.


Im Mittelpunkt von "Liebe", dem zweiten Teil der Trilogie, stehen die Urologin Marianne (Andrea Bræin Hovig) und der Krankenpfleger Tor (Tayo Cittadella Jacobsen). Sie arbeiten im gleichen Krankenhaus, gehen privat aber getrennte Wege. Zufällig begegnen sie sich nachts auf einer Fähre. Während sie auf dem Heimweg von einer kleinen Feier bei dem geschiedenen Geologen Ole (Thomas Gullestad) ist, mit dem ihre Freundin sie verkuppeln will, nützt er die Überfahrt, um mit der App Grindr nach Männern für eine flüchtige Begegnung zu suchen.


Das offene Gespräch bringt Marianne zum Nachdenken. Obwohl sie sich weiterhin mit dem Geologen trifft, lässt sie sich so während der nächsten Überfahrt auf schnellen Sex mit einem verheirateten Handwerker ein. Tor dagegen entwickelt über die Begegnung in der Fähre hinaus tiefere Gefühle für den Psychologen Bjørn (Lars Jacob Holm), dem er als Patienten im Krankenhaus wieder begegnet.


Dag Johan Haugerud erzählt in langen, weitgehend statischen Einstellungen, in denen er seinen Charakteren viel Raum und Zeit gibt, um über das Verhältnis von Liebe und Sexualität, aber auch über Beziehungen jenseits der gesellschaftlichen Norm zu diskutieren. Nie wird so ein großes Drama aufgebaut, sondern die Erzählweise bleibt immer unaufgeregt.


Leichthändig verknüpft der 60-jährige Norweger dabei nicht nur durch Parallelmontage die Geschichten der beiden Protagonist:innen, sondern baut mit ihren Begegnungen auch ein breites Netz auf, das immer wieder neue Fragen aufwirft. Da geht es mit Prostata-Operationen im Krankenhaus ebenso um deren Auswirkungen auf die Sexualität und Psyche wie um die Frage der Rolle Mariannes im Leben des Geologen, für den seine beiden Töchter das Wichtigste im Leben sind.


Aber auch die Frage nach der Beständigkeit einer Ehe und den Auswirkungen einer Scheidung werden mit der alkoholsüchtigen Ex-Frau des Geologen aufgeworfen. Dazu kommt mit Tors wachsender Liebe zu Björn die Frage von Grenzziehung und Grenzüberschreitung, ist sein Geliebter doch gleichzeitig sein Patient.


Gleichzeitig gibt es mit Mariannes Freundin Heidi aber auch eine Figur, bei der ihre Ehe keine Rolle spielt und die ganz für ihren Beruf zu leben scheint. In diesem soll sie als Projektleiterin eine große Veranstaltung für die Feier anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Staates Norwegen organisieren. Dass sie dabei mit ihrem Plan, auf der Rolle der weiblichen Sexualität in der norwegischen Geschichte zu fokussieren, bei den Verantwortlichen nicht gut ankommt, verweist wiederum auf das Verhältnis zwischen dem Ausleben der Gefühle und der Einengung durch gesellschaftliche Normen.


Nicht nur mit Heidis Erklärungen zu Friesen und Skulpturen Oslos, bei denen sie den Blick vor allem auf die Darstellung der Frauen und der sexuellen Freiheit lenkt, oder später einem Modell zum geologischen Untergrund Oslos verankert Haugerud seinen Film stimmungsvoll in der norwegischen Hauptstadt. Denn immer wieder werden die ausführlichen Dialoge auch von Schwenks über die Stadt oder das nächtliche Lichtermeer während der Überfahrt mit der Fähre zur Halbinsel Nesodden sowie Blicken auf die beiden markanten backsteinernen Türme des Rathauses unterbrochen.


Diese Stadtansichten setzen so nicht nur Pausen, sondern verstärken ebenso wie die Musik mit wiederholtem Einsatz eines Flügelhorns die Sanftheit und Gelassenheit von "Oslo Stories: Liebe". Gleichzeitig korrespondieren die Fahrten mit der Fähre auch mit der inneren Bewegung und Wandlung der beiden Protagonist:innen.


Große Stärke dieses Films ist aber auch die Offenheit und Neutralität Haugeruds gegenüber den unterschiedlichen Positionen und Gedanken, die in den Gesprächen vertreten werden. So werden die Zuschauer:innen nicht in eine Richtung gelenkt und manipuliert, sondern zum Nachdenken und zur Übernahme dieser Offenheit und Toleranz angeregt.

 

 

Oslo Stories: Love

Norwegen 2024

Regie: Dag Johan Haugerud  mit: Andrea Bræin Hovig, Tayo Cittadella Jacobsen, Thomas Gullestad, Lars Jacob Holm, Marte Engebrigtsen Länge: 119 min.



Läuft jetzt in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.

FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 21.5., 18 Uhr + Do 225., 19.30 Uhr



Trailer zu "Oslo Stories: Love / Liebe"




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