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Karla

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 1 Tag
  • 3 Min. Lesezeit
"Karla": Aufrüttelndes Drama um eine 12-Jährige, die in den 1960er Jahren ihren Vater wegen sexuellen Missbrauchs anzeigt.
"Karla": Aufrüttelndes Drama um eine Zwölfjährige, die in den 1960er Jahren ihren Vater wegen sexuellen Missbrauchs anzeigt.

Im Deutschland des Jahres 1962 zeigt die zwölfjährige Karla ihren Vater wegen sexuellen Missbrauchs an: Christina Tournatzés entwickelt in ihrem Langfilmdebüt mit großartigen Schauspieler:innen und konzentrierter Inszenierung ein aufwühlendes Drama über den Kampf der jugendlichen Protagonistin um Anerkennung und Würde in einer Zeit, in der Kinder schweigen sollten.


Fast scheint es, als ob dieses von einem wahren Fall inspirierte Drama, das die Drehbuchautorin Yvonne Görlach der 1992 geborenen deutsch-griechischen Regisseurin Christina Tournatzés voschlug, geradezu auf eine Verfilmung gewartet hat.

Das stringente Drehbuch, in dem Görlach den Fall eines nahestehenden Familienmitglieds verarbeitet, ist die Basis dieses beeindruckenden Langfilmdebüts, das beim Filmfest München 2025 mehrfach ausgezeichnet wurde, aber Tournatzés konzentrierter Inszenierung ist es zu verdanken, dass "Karla" Dichte und aufwühlende Kraft entwickelt.


Keine Abschweifungen und Nebengeschichten gibt es. Der Fokus liegt ganz auf der zwölfjährigen Karla (Elise Krieps), die im Jahr 1962 von ihrer Familie flieht und nachts auf einer Münchner Polizeistation auftaucht. Beharrlich wiederholt sie gegenüber dem Beamten, dass sie einen Richter sprechen wolle. Als dieser (Rainer Bock) schließlich kommt, erklärt sie, dass sie ihren Vater nach § 176 des Strafgesetzbuchs wegen sexuellen Missbrauchs anzeigen wolle.


Wenig Interesse zeigt der wortkarge Richter zunächst am Fall des Mädchens, das in einem katholischen Mädchenheim untergebracht wird. Doch mit ihrer Hartnäckigkeit bewegt Karla den vor der Pensionierung stehenden Mann. Intensiv, aber feinfühlig befragt er sie über die väterlichen Übergriffe, über die sie nicht sprechen, sondern nur mit Übelkeit und Erbrechen reagieren kann. In einer Stimmgabel finden sie ein Mittel, mit dem sie auf das für sie Unaussprechliche jeweils hinweisen kann.


Ganz aus der Perspektive der von Elise Krieps intensiv gespielten Protagonistin erzählt Tournatzés. Aufwühlend macht die Tochter der Schauspielerin Vicky Krieps die schweren Nachwirkungen des Missbrauchs, aber auch den Mut und das Selbstbewusstsein dieses Mädchens erfahrbar.


Zurückhaltend bleibt die Inszenierung, wenn die Übergriffe nur in verschwommenen Bildfetzen angedeutet werden. Aber gerade der Verzicht auf Ausformulierung der Taten, macht sie auch für die Zuschauer:innen quälend, während Bilder vom Untertauchen im Wasser oder eines leuchtend roten Mohnfelds zu einprägsamen Metaphern für Ohnmacht und Beklemmung auf der einen und imaginierte Flucht aus der Gewalt in eine heile Welt auf der anderen Seite werden.


Wohl auch einem kleinen Budget geschuldet ist, dass "Karla" als Kammerspiel angelegt ist, das bis zum finalen Prozess weitgehend nur im Büro des Richters sowie dem kargen Zimmer im Mädchenheim, das an eine Gefängniszelle erinnert, spielt. Die Reduktion, zu der auch der Verzicht auf Filmmusik gehört, erweist sich aber als eine der großen Stärken des Films, sorgen diese Beschränkungen doch für große Konzentriertheit und Schnörkellosigkeit.


Gleichzeitig evoziert Tournatzés mit der sorgfältigen Ausstattung, der Dominanz von Brauntönen und dem verrauchten Büro des Richters dicht die Atmosphäre der 1960er Jahre. Patriarchale Strukturen werden dabei auch an Details sichtbar. Da dominieren nämlich nicht nur Männer die Gerichtswelt, sondern Karla ist auch nach ihrem Vater Karl benannt, während der Name Adolfine (Carlotta von Falkenhayn) ihrer etwas älteren Mitbewohnerin im Mädchenheim einiges über die Gesinnung von deren Eltern vermuten lässt. Beide Mädchen distanzieren sich aber von diesen Zuschreibungen, wenn Karla erklärt, dass sie lieber Klara hieße, und Adolfine sich nur Ada nennt.


Aber auch die filmsprachliche Präzision und Prägnanz der Inszenierung sorgen dafür, dass die Spannung in den Gesprächen zwischen dem Richter und Karla nie nachlässt. In langen Einstellungen wird hier Krieps immer wieder viel Raum gelassen, um Karlas Sprachlosigkeit und Traumatisierung spürbar zu machen, während sich Rainer Bocks zunächst kühler Richter auch unter dem Einfluss seiner resoluten Sekretärin (Imogen Kogge) zum mitfühlenden und Initiative entwickelnden Zuhörer wandelt.


Konsequent führt "Karla" damit schließlich vom Büro des Richters in den Gerichtssaal, wo Aussage gegen Aussage steht, Karla ihre Glaubwürdigkeit beweisen muss, aber ohne weitere Zeugenaussagen keine Verurteilung des Vaters erfolgen kann. Aus dem Kammerspiel wird damit ein Gerichtsfilm, der auch beklemmend von der Schwierigkeit der Beweisführung gerade bei Gewalt und Missbrauch im familiären Raum erzählt.


Universell und zeitlos prangert Tournatzés so am Einzelfall aufrüttelnd sexuellen Missbrauch an und erinnert mit Inserts im Nachspann nicht nur an deren weite Verbreitung, sondern auch daran, dass diese Taten von den Opfern nur zu einem geringen Teil zur Anzeige gebracht werden. Gleichzeitig erinnert "Karla" mit der Auflehnung einer jungen Frau gegen männliche Übergriffigkeit in den 1960er Jahre an das sizilianische Drama "Primadonna – Das Mädchen von morgen", in dem – ebenfalls nach einem wahren Fall – von einer Sizilianerin erzählt wird, die ihren Vergewaltiger vor Gericht brachte.



Karla

Deutschland 2025

Regie: Christina Tournatzés

mit: Elise Krieps, Rainer Bock, Imogen Kogge, Torben Liebrecht, Katharina Schüttler

Länge: 105 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kino GUK Feldkirch. Spielboden Dornbirn: Sa 10.1. + Di 27.1. - jeweils 19.30 Uhr

Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mo 23.2., 18 Uhr + Mi 4.3., 20 Uhr



Trailer zu "Karla"



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