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Oslo Stories: Sex (Sehnsucht)

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 17 Stunden
  • 3 Min. Lesezeit
"Oslo Stories: Sex (Sehnsucht): Zwei Schornsteinfeger reflektieren über Geschlechtsidentität, Sexualität und Liebe
"Oslo Stories: Sex (Sehnsucht): Zwei Schornsteinfeger reflektieren über Geschlechtsidentität, Sexualität und Liebe

Im dritten Teil von Dag Johan Haugeruds "Oslo Stories" lässt ein wiederkehrender Traum beziehungsweise ein einmaliger homosexueller Kontakt zwei glücklich verheiratete heterosexuelle Schornsteinfeger über Geschlechtsidentität, Sexualität und Liebe sowie die Rolle der Freiheit in einer Beziehung reflektieren: Ein von sanftem Witz durchzogener, federleichter und doch tiefschürfender Dialogfilm.


Stehen in "Oslo Stories: Liebe" eine heterosexuelle Frau und ein homosexueller Mann und die Frage nach fester oder offener Beziehung im Zentrum und geht es in "Oslo Stories: Träume" um die erste schwärmerische Liebe einer Schülerin, so fokussiert Dag Johan Haugerud in "Oslo Stories: Sex" auf zwei glücklich verheirateten, heterosexuellen Schornsteinfegern.


Der Originaltitel "Sex" ist dabei wesentlich treffender als der deutsche Titel "Sehnsucht", denn Sexualität spielt im Film eine zentrale Rolle. Wer aber Sexszenen erwartet, ist hier am falschen Ort, denn körperlichen Kontakt gibt es kaum zu sehen, sondern es wird "nur" darüber geredet.


Stark ist der Auftakt mit einer rund zehnminütigen Einstellung, in der die Kamera von Cecilie Semec in halbnaher Einstellung zunächst auf dem Gesicht eines Schornsteinfegers (Jan Gunnar Røise) fokussiert, der von einem überraschenden sexuellen Abenteuer mit einem Kunden erzählt. Unsichtbar bleibt der Kollege, der Zwischenfragen stellt und beispielsweise wissen will, ob er denn nun schwul sei. Erst mit einem langsamen Schwenk kommt dieser zweite Schornsteinfeger (Thorbjørn Harr) ins Bild, der nun seinerseits von einem Traum erzählt, in dem ihm David Bowie erschien, der ihn lüstern wie eine Frau ansah.


Wie Haugerud bei diesem Auftakt durch die punktgenauen Dialoge und seine hervorragenden Schauspieler:innen Intensität aufbaut, so bestimmen auch später immer wieder solche Gespräche mit den Ehepartnerinnen oder auch mit einer Gesangslehrerin und einer Ärztin den Film. In flüssigem Rhythmus wird dabei zwischen den Diskussionen der Paare und neuerlichen Begegnungen der beiden Protagonisten gewechselt.


Obwohl die beiden Schornsteinfeger sich als heterosexuelle Männer fühlen – und auch ihr Beruf vorwiegend männlich konnotiert ist – wirft ihre Begegnung beziehungsweise ihr Traum Fragen nach der Geschlechtsidentität auf. Gleichzeitig werden in den Gesprächen des einen Schornsteinfegers mit seiner Frau, der er offen von seinem einmaligen homosexuellen Seitensprung erzählt, Fragen von Intimität und Untreue verhandelt.


Während er nämlich in seiner Aktion keine Untreue sieht, da er seiner Frau (Siri Forberg) ja offen von seinem Seitensprung erzählt habe, sieht diese das ganz anders. Und während für sie Sex das Intimste ist, sind es für ihn die sehr persönlichen Gespräche mit ihr.


Beim zweiten Schornsteinfeger, der wie alle Figuren namenlos bleibt, regen wiederum körperliche Reaktionen wie eine reale oder vermeintliche Veränderung der Stimme sowie der Haut Reflexionen über die Ursachen an. Im Treffen mit einer Gesangslehrerin kommt dabei der Gedanke der Freiheit ins Spiel, der letztlich im Zentrum des Films steht. So werden Fragen aufgeworfen, wie viel Freiheit in einer Beziehung nötig und möglich ist und ob man einem sexuellen Verlangen nachgeben oder es unterdrücken soll.


Die beiden Schornsteinfeger verkörpern dabei zwei Pole. Denn während der eine dem Verlangen nachgibt und damit eine Ehekrise auslöst, wirkt sich beim anderen das gesellschaftskonforme Verhalten und die Verdrängung des Begehrens und der Sehnsüchte körperlich aus. Zentral scheint folglich das richtige Mittelmaß von Selbstverwirklichung und Rücksichtnahme auf den/die Partner:in.


Wie die anderen Teile der Oslo Stories" wird auch "Sex / Sehnsucht" ganz vom Dialog bestimmt, bleibt aber doch immer federleicht. Mehr noch als "Liebe" und "Träume" ist dieser Teil nämlich von sanftem Witz durchzogen und geschickt setzen auch immer wieder Stadtaufnahmen, die von jazziger Musik unterlegt sind, Pausen zwischen den intensiven Dialogszenen.


In diesen Stadtaufnahmen erweitert Haugerud nochmals das Bild der norwegischen Hauptstadt. Denn zeichnete er in "Liebe" mit den häufigen Überfahrten mit der Fähre das Bild einer Küstenstadt und bewegten sich die Protagonisten in "Träume" vorwiegend durch Fußgängerzonen oder auch durch den nahen Wald, so werden hier immer wieder Stadtautobahnen oder Großbaustellen ins Bild gerückt. In diesen Baustellen kann man auch eine Metapher für die Beziehungen sehen, an denen stets aufs Neue gearbeitet werden muss.


So unabhängig die drei Filme der "Oslo Stories" so auch sind, so fügen sie sich doch einerseits zu einem Bild Oslos und andererseits zu einem vielschichtigen Bild der Sehnsüchte und Beziehungsmöglichkeiten in der heutigen Welt. Gesellschaftlichen Zwängen erteilt Haugerud dabei eine Absage, plädiert für eine Öffnung der Menschen hinsichtlich Geschlechter- und Beziehungsrollen und für Freiheit des Individuums, fordert mit dem Blick auf die Partner:innen aber auch Rücksichtnahme - und vor allem eine Gesprächskultur, bei der die unterschiedlichen Ansichten offen und ehrlich ausdiskutiert werden.

 


Oslo Stories: Sex / Sehnsucht

Norwegen 2024

Regie: Dag Johan Haugerud 

mit: Jan Gunnar Røise, Thorbjørn Harr, Siri Forberg, Birgitte Larsen, Theo Dahl

Länge: 118 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen. FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 23.7., 18 Uhr + do 24.7., 19.30 Uhr (norweg. O.m.U.)



Eine Rezension zu "Oslo Stories: Liebe" finden Sie hier und zu "Oslo Stories: Träume" hier.


Trailer zu "Oslo Stories: Sex (Sehnsucht)"


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