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One Battle After Another

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 2 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit
"One Battle After Another": Furioses Kino über die USA zwischen Rassismus und Widerstand
"One Battle After Another": Furioses Kino über die USA zwischen Rassismus und Widerstand

Viva la revolución: Eine Widerstandsgruppe kämpft mit radikalen Aktionen gegen die Abschiebepraxis der rassistischen US-Behörden. - Inspiriert von Thomas Pynchons Roman "Vineland" gelingt Paul Thomas Anderson ein 161 Minuten, atemloser und auf jeder Ebene brillanter Film, der sowohl am Puls der Zeit als auch höchst unterhaltsam ist.


Seit seinem zweiten Film "Boogie Nights" (1997) zählt Paul Thomas Anderson zu den großen Regisseuren der Gegenwart. Zumindest mit "Magnolia" (1999) und dem Epos "There Will Be Blood" (2007) gelangen ihm Meisterwerke, aber auch die Komödie "Punch-Drunk Love (2003), der Sektenführerfilm "The Master" (2012), das Schneiderdrama "The Phantom Thread" (Der seidene Faden", 2017) oder der Teenager-Film "Licorice Pizza" (2021) ragen aus der aktuellen Filmlandschaft weit heraus und zählen jeweils zu den besten Filmen ihres Jahres.


Schon 2014 hat Anderson mit "Inherent Vice" Thomas Pynchons als unverfilmbar geltenden Roman "Natürliche Mängel" verfilmt und daraus eine hinreißend schräge Hommage an und Demontage des Film noir der 1940er Jahre mit deutlichen Reminiszenzen an Robert Altmans "The Long Goodbye" ("Der Tod kennt keine Wiederkehr", 1973) gedreht.


Schon seit 20 Jahren beschäftigt den 55-jährigen Kalifornier der Plan einer Verfilmung von Thomas Pynchons während er Reagan-Zeit der 1980er Jahre spielenden Roman "Vineland" (1990) zu verfilmen. Mit einem Budget von je nach Quelle 130 bis 170 Millionen Dollar konnte er dieses Projekt nun umsetzen. Höchst beunruhigend soll aber Warner Bros. gewesen sein, als der erste Rohschnitt präsentiert wurde, denn ein ausgesprochen schräges und wildes Werk wurde da vorgelegt.


Vom Sommer wurde der Filmstart in den Herbst verschoben, auf alle Festivalteilnahmen wurde verzichtet, doch alle Befürchtungen erweisen sich nun zumindest für die Kinobesucher:innen als unbegründet, während andererseits freilich fraglich bleibt, ob "One Battle After Another" angesichts seiner Wildheit und Eigenwilligkeit seine Kosten einspielen wird.


Kein Bestseller dürfte der Film werden, den Anderson dem während der Produktion an einer Krebserkrankung verstorbenen ersten Regieassistenten und Mitproduzenten Adam Somner gewidmet hat, aber wohl ein Longseller, der ähnlich wie der Coen-Film "The Big Lebowski" (1998) die Zeit überdauert und Kultcharakter entwickelt.


Ohne jeden Vorspann wirft Anderson die Zuschauer:innen in eine Aktion der Widerstandsgruppe "French 75" hinein, bei der Migrant:innen, die aus einem Internierungslager der ICE nach Mexiko abgeschoben werden sollen, aus dem Gewahrsam der US-Behörden befreit werden. Während der Revolutionär Pat "Ghetto Pat" Calhoun (Leonardo DiCaprio) mit Leuchtraketen für Ablenkung sorgt, trifft seine schwarze Geliebte Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor) im Lager auf Colonel Steven J. Lockjaw (Sean Penn), den sie sexuell so provoziert und erregt, dass er ihr verfällt.


Als Perfidia bei einer der folgenden Aktionen gefasst wird, lässt Lockjaw sie so gegen Bekanntgabe von Mittäter:innen wieder frei, doch "Ghetto Pat" muss mit seiner kleinen Tochter untertauchen. Mit einem Schnitt werden 16 Jahre übersprungen, doch immer noch ist Lockjaw hinter Vater und Tochter her, die unter falscher Identität an einem geheimen Ort leben…


Furios ist, wie leichthändig Anderson es schafft angesichts der Handlungs- und Figurenfülle stets den Überblick zu bewahren und die einzelnen Teile so zusammenzufügen, dass "One Battle After Another" ein zwar komplexer, aber immer übersichtlicher Film bleibt. Vom ersten Moment an lädt er dabei seinen Film auch mit einer Energie und einer Kraft nach, die nie nachlassen.


Erschöpfend könnte so ein 161-minütiger atemloser Ritt sein, doch die Leichtigkeit der Erzählweise, die souveräne Verbindung von Thriller und absurder Komödie, von bissiger Gesellschaftskritik und großartig inszenierten Verfolgungsjagden nehmen diesem wilden Mix alles Schwere. Ansteckend wirken vielmehr Leidenschaft, Verve und Lust, mit denen "One Battle after Another" inszeniert ist. Nie spürt man, welche Planung, Anstrengung und Arbeit hinter diesem Film steckt, wie aus dem Ärmel geschüttelt, kommt er daher.


Ein Lehrstück in filmischem Erzählen ist bei dem auf analogem 35-mm-Material in VistaVision gedrehten Film, wie hier die durch die Räume gleitende Kamera von Michael Bauman und der Schnitt von Andy Jurgensen, der immer wieder parallele Handlungen verbindet, für Drive und Erzählfluss sorgen. Das Meisterstück ist aber wohl die Filmmusik von Radio Head-Mitglied Johnny Greenwood, mit dem Anderson seit "There Will Be Blood" zusammenarbeitet. Praktisch jede Szene ist hier mit einer jeweils eigenen Musik unterlegt, die bald die Spannung steigert, bald mit dem Weihnachtssong "A new king is born" satirische Akzente setzt.


Spektakulär gefilmte Autoverfolgungen zunächst durch Los Angeles und schließlich durch die Wüste, bei der man wie bei einer Achterbahnfahrt in die Fahrerposition eintaucht und bei den Kuppen abzuheben und in die Senken einzutauchen meint, fehlen so wenig wie brillant-absurde Dialoge bei einem Telefonat, bei dem "Ghetto Pat" ein Passwort nennen sollte. Überquellend an Einfallsreichtum und nie vorhersehbar ist dieser Film und gleichzeitig wieder am Puls der Zeit und von fast dokumentarischem Realismus, wenn auf der Straße bewaffnete Polizei und Demonstrant:innen aufeinanderprallen, wenn evangelikale weiße Spitzenpolitiker von Rassenhygiene sprechen und sinngemäß Sätze fallen wie "um die Welt zu retten, muss man mit der Bekämpfung der Migration beginnen".


Den gesellschaftlichen Riss, der durch die heutigen USA geht, personifiziert Anderson im bekifften und deutlich vom Dude aus "The Big Lebowski" inspirierten "Ghetto Pat" auf der einen Seite und Colonel Lockjaw, der mit seinem Rassenhass und seiner Angst, dass ihm durch Sex mit einer Afroamerikanerin seine Kraft entzogen wird, an Brigadegeneral Jack D. Ripper (Sterling Hayden) in Stanley Kubricks "Dr. Strangelove ..." (1964) erinnert.


Wesentlich zum großen Spaß, den "One Battle After Another" bereitet, trägt aber auch das lustvoll spielende Ensemble bei. Großartig ist einfach Leonardo DiCaprio als vergammelter Revolutionär, herrlich fies spielt Sean Penn Colonel Lockjaw und Benicio del Toro brilliert ebenso in einer kleinen Rolle als Karatemeister wie in ihrem Kinodebüt Chase Infiniti als DiCaprios Tochter.


Auf welcher Seite Anderson bei dieser Konfrontation von Revoluzzern und Behörden steht, ist keine Frage. Mehr noch als durch die Figurenzeichnung feiert er durch die wild fabulierende Erzählweise, die sich um Hollywood-Konventionen nicht schert, Freiheit, Widerstand und Anarchismus.


Während die rassistische weiße Elite dabei ihr Fett abbekommt,wird die Humanität und Solidarität der Minderheiten von Afroamerikaner:innen über Mexikaner:innen bis zu einem Indigenen gefeiert. Aber auch die private Ebene kommt mit der intensiven Beziehung zwischen dem Alt-Revoluzzer und seiner Tochter nicht zu kurz. Da verbreitet dann auch das Ende die Hoffnung, dass die Fackel des Widerstands und der Revolution von der nächsten Generation weitergetragen wird – und fordert damit auch die Zuschauer:innen dazu auf.

 

One Battle After Another

USA 2025

Regie: Paul Thomas Anderson

mit: Leonardo DiCaprio, Sean Penn, Benicio del Toro, Regina Hall, Teyana Taylor, Chase Infiniti, Alana Haim, Wood Harris

Länge: 161 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems, Kino Bludenz und Skino Schaan (O.m.U.).



Trailer zu "One Battle After Another"


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