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  • AutorenbildWalter Gasperi

Nostalgia


Nach 40 Jahren kehrt ein Mann aus dem Ausland in seine Heimatstadt Neapel zurück, um sich seiner Vergangenheit zu stellen: Mario Martone erzählt langsam und mäandernd, lässt aber mit einem großartigen Pierfrancesco Favino in der Hauptrolle und atmosphärisch dichten Bildern in das zwischen Verbrechen und sozialen Bemühungen eines Priesters zerrissene Stadtviertel Sanità eintauchen.


40 Jahre war Felice Lasco (Pierfrancesco Favino) im arabischen Ausland. Als Teenager hat ihn der Onkel nach Beirut mitgenommen, in Kairo hat er ein Baugeschäft aufgebaut und lebt mit seiner Frau in einer schicken Wohnung. Jetzt kehrt er in seine Heimatstadt Neapel – oder genauer ins Viertel Sanità – zurück, um nochmals seine Mutter zu besuchen.


Bewegend ist die Begegnung mit dieser alten Frau. Man spürt in den zärtlichen Berührungen und Umarmungen, wie sehr sie sich vermisst haben, wie glücklich sie das Wiedersehen macht. Sofort mietet Felice für seine Mutter eine größere und hellere Wohnung, kauft Hygieneartikel und badet sie zärtlich, obwohl sie sich zunächst schämt, sich vor ihrem Sohn auszuziehen.


Wenig später ist die Mutter aber tot. Felice aber denkt nicht daran abzureisen, obwohl sein Motorrad in Brand gesteckt wird und ihn eine Schmiererei in seiner Wohnung zum Verlassen der Stadt auffordert.


Der Priester des Viertels spürt, dass ihn etwas bedrückt, doch erst nach längerem Zögern erzählt Felice von einer Jugendfreundschaft und einem traumatischen Erlebnis. Sein Jugendfreund ist inzwischen aber im Viertel der Boss der Camorra. Er kontrolliert die Prostitution und den Drogenhandel und auch Morde und Überfälle gehen auf sein Konto.


Dieser Oreste ist damit der schärfste Feind des Priesters, der die Jugendlichen mit Sport-Angeboten und einem Orchester vom Verbrechen fernhalten und ihnen einen anderen Weg in die Zukunft weisen will. Mit diesem Priester taucht Felice in das verwinkelte Viertel mit seinen engen Gassen und barocken Bauten, Kirchen und Plätzen ebenso ein wie in die lange geschlossenen Katakomben, knüpft aber auch Kontakt zu den Jugendlichen.


Immer mehr fühlt sich Felice in seiner alten Heimatstadt wieder zuhause, kauft ein Haus und bereitet sich auf die Ankunft seiner Frau vor. Doch zentral bleibt für ihn auch eine Aussprache mit seinem einstigen Jugendfreund, von dem er seit seiner Abreise nichts mehr gehört hat.


Auf Schritt und Tritt folgt Mario Martone in seiner Verfilmung von Ermanno Reas 2018 erschienenem Roman "Nostalgia" Felice. Eine Paraderolle ist das für Pierfrancesco Favino, der zuletzt in Marco Bellocchios "Il Traditore" als Mafiakiller, der das Schweigegelübde bricht, und in Garbiele Mucchinos sich über 40 Jahre spannenden Freundschaftsgeschichte "Aus alles, was uns glücklich macht" brillierte. Mit seinen Blicken und Gesten, die stets Wohlwollen und Güte ausstrahlen, sorgt er dafür, dass man schnell Sympathie für den wortkargen Mann entwickelt, der in Ägypten zum Islam konvertiert ist.


Spürbar wird auch, wie er den Bezug zu seiner Heimatstadt verloren hat, wenn er nach seinem seltsamen Akzent gefragt wird, oder wenn ihm beim Einkauf bestimmte italienische Worte nicht mehr einfallen. Doch langsam wächst er wieder in diese Welt hinein. Immer wieder lösen so auch Gassen und Plätze Erinnerungen und damit Rückblenden aus, die durch das enge 4:3-Format von der Gegenwartshandlung abgehoben sind.


Kein verklärend-nostalgischer Blick auf die Jugend ist das aber, sondern vielmehr ein melancholischer. Durchzogen von dieser Melancholie ist auch der Blick der Kamera von Paolo Carnero auf das gegenwärtige Viertel Sanitá. Atmosphärisch dicht werden die engen Gassen, die einfachen und teils auch baufälligen Wohnungen eingefangen, die aber immer auch durch ihre Bewohner:innen Lebensfreude und Vitalität ausstrahlen.


Mit dem Blick Felices auf diese von ihm neu entdeckte Welt gewinnt man aber auch ein präzises Bild vom Spannungsfeld dieses Milieus zwischen allgegenwärtiger Gewalt auf der einen Seite und engagiertem sozialem Agieren des Priesters auf der anderen.


Langsam und mäandernd entwickelt Martone die Handlung, doch durch die sorgfältige und runde Erzählweise, die atmosphärische Dichte und nicht zuletzt den fast in jeder Szene präsenten Pierfrancesco Favino zieht "Nostalgia" die Zuschauer:innen immer tiefer in seinen Bann. Nur in kurzen Szenen und eher im Hintergrund mag die Camorra konkret präsent sein, doch immer scheint ihr Schatten über dem Film und Felice zu lasten. Immer scheinen hier die Menschen auf den Straßen von Leuten auf den Balkonen beobachtet zu werden und jederzeit scheint ein Anschlag auf Felice möglich, sodass sich die Spannung vor allem im Finale sukzessive steigert.


Nostalgia Italien / Frankreich 2022 Regie: Mario Martone mit: Pierfrancesco Favino, Francesco Di Leva, Tommaso Ragno, Aurora Quattrocchi, Sofia Essaïdi, Nello Mascia Länge: 117 min.

Läuft jetzt in den deutschen und österreichischen Kinos. FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 14.6., 18 Uhr + Do 15.6., 19.30 Uhr

TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Fr 23.6. bis Mo 26.6.

Trailer zu "Nostalgia"


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