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AutorenbildWalter Gasperi

Im Zeichen der "equality" – 6th HUMAN VISION film festival am Spielboden Dornbirn


Stark beeinträchtigt wurde das HUMAN VISION film festival in den letzten Jahren durch die Corona-Pandemie. Heuer findet die Veranstaltung aber vom 4. bis 12. März wieder als reine Präsenzveranstaltung statt – wenn auch mit eingeschränktem Programm. Der Fokus liegt auf dem Thema "equality", dessen unterschiedlichen Aspekte wie Gleichheit, Gleichstellung und Gleichberechtigung die Filme thematisieren.


Musste das HUMAN VISION film festival 2020 aufgrund des Lockdowns nach drei Tagen abgebrochen werden, so wurde es im vergangenen Jahr von März auf Juni verschoben. Aufgrund der Beschränkung der Besucher*innenzahl wurde das Festival dabei als Mix aus physischen Vorführungen und Online-Screenings durchgeführt.


Heuer findet HUMAN VISION wieder zum gewohnten Zeitpunkt statt, allerdings musste das Programm aufgrund der langen Unsicherheit hinsichtlich Sperrstunde und anderen Corona-Regeln reduziert werden: Der Kinosaal des Spielbodens wird so nur an den beiden Samstagen bespielt, an den anderen Tagen gibt es nur jeweils eine Filmvorführung im Großen Saal.


Auf das Festival einstimmen sollen drei Filme, die an den beiden Tagen vor der offiziellen Eröffnung gezeigt werden. So wird Peter Madsen & CIA den Stummfilm "Michael" (1924) musikalisch live begleiten. Im Zentrum dieses frühen Films des großen dänischen Asketen Carl Theodor Dreyer, der drei Jahre später mit "La passion de Jeanne d´Arc" einen Klassiker der Filmgeschichte schuf, steht ein Maler, der sich in sein Modell Michael verliebt. Doch statt die Liebe zu erwidern, beginnt der junge Mann in diesem Drama, das "nicht nur die Stellung des Künstlers, sondern auch den Niedergang des Adels zu Beginn des 20. Jahrhunderts reflektiert" (filmdienst.de), eine Beziehung mit einer verarmten Fürstin.


Am Samstag folgt als "Familienfilm" mit "Ein bisschen bleiben wir noch" Arash T. Riahis freie Adaption von Monika Helfers Roman "Oskar und Lilli". Der gebürtige Iraner macht dabei aus dem jugendlichen Geschwisterpaar tschetschenische Flüchtlinge, die aufgrund eines Krankenhausaufenthalts ihrer Mutter zu unterschiedlichen Pflegeltern kommen.


Zentral für das HUMAN VISION film festival, für das der Spielboden 35 Kooperationspartner*innen wie Amnesty International Vorarlberg, ifs Kinderschutz Vorarlberg, Verein Vindex, Go West und Südwind Vorarlberg gewinnen konnte, sind Filmgespräche im Anschluss an die Vorführungen. So werden nach dem Dokumentarfilm "I am Samuel", für den Peter Murimi fünf Jahre lang einen jungen homosexuellen Kenianer begleitete, Expert*innen über Diskriminierung und Kriminalisierung von LGBTIQ+-Menschen in Kenia diskutieren.


Offiziell eröffnet wird das Festival am Sonntag, den 6. März mit einem vielfältigen Programm. Auf einen Begegnungsaustausch für menschenrechtliche Themen folgt der VISION Bāzār, bei dem die Geschichtenerzählerin Hertha Glück in fremde Welten eintauchen lässt, eine georgische Bohnensuppe serviert wird und der Spielbodenchor musikalisch unterhält. Für optische Genüsse wird der Künstler Lorenz Helfer sorgen. Der gebürtige Hohenemser will sich von den Eindrücken des Festivals und den Gesprächen inspirieren lassen und während der Festivalwoche drei Wände im Obergeschoss des Spielbodens bemalen. Aber auch für Gespräche und Führungen wird der Künstler zur Verfügung stehen.


Auf Begrüßungsworte folgt als Höhepunkt des Eröffnungstages der georgisch-schweizerische Spielfilm "Wet Sand". Bewegend erzählt Elene Naveriani darin in langsamem Rhythmus, der jeder Einstellung Raum lässt, vor der bildstarken Kulisse des Schwarzen Meers am Beispiel einer über Jahrzehnte geheim gehaltenen Liebe zwischen einem Restaurantbesitzer und einem Matrosen von Homophobie und aggressiver, männlich-machistischer Dorfbevölkerung in Georgien. Zum Podiumsgespräch wird nicht nur die Regisseurin, sondern auch die Produzentin Cornelia Seitler und die Schauspieler*innen Bebe Sesitashvili und Gia Agumava in Dornbirn erwartet.


Neben Homophobie thematisieren die ausgewählten Filme auch häusliche Gewalt in der Türkei ("Dying to Divorce") und bieten Einblick in das Leben von Transsexuellen ("TRANS – I Got Life"). Der Österreicher Lukas Ladner porträtiert in "Eva-Maria" eine Frau, die aufgrund spastischer Zerebralparese auf den Rollstuhl angewiesen ist, aber nie ihre Träume von Beruf und Familie aufgegeben hat.


Zu den Höhepunkten im Programm ist sicher auch der vielfach preisgekrönte und für drei Oscars nominierte "Flee" zu zählen. Gespannt sein darf man auf diesen – im Grunde ein Widerspruch in sich – animierten Dokumentarfilm, in dem Jonas Poher Rasmussen mit Animation und Archivaufnahmen den Alltag im Afghanistan der 1970er Jahre und die Flucht seines Freundes nach Europa nachzeichnet.


Großes Kino bietet auch Maria Speths Dokumentarfilm "Herr Bachmann und seine Klasse": 217 Minuten lang begleitet die Filmemacherin einen unkonventionellen Lehrer und eine multikulturelle Klasse einer kooperativen Gesamtschule durch ein Schuljahr. Auf jeden Kommentar verzichtet Speth ebenso wie auf Interviews und Filmmusik. In bester Direct Cinema-Tradition beschränkt sie sich darauf den Unterricht mit der Kamera einzufangen. Nichts Spektakuläres passiert, doch der neugierig entdeckende und geduldig beobachtende, immer einfühlsame Blick, der auch dem Blick des Lehrers entspricht, nimmt von Anfang an für Herrn Bachmann und seine Schüler*innen ein und lässt die dreieinhalb Stunden wie im Flug vergehen.


Schlusspunkt setzt ein Treffen der Welten, bei dem virtuell Delegierte des Prozesses Young Leaders Guardians of the Atrato River, die in Kolumbien indigene, afrokolumbianische und bäuerliche junge Menschen stärken, und Vertreter von Fridays for Future Vorarlberg ihre Erfahrungen und ihr Wissen austauschen. Dazu kommt der Dokumentarfilm "Bajo Fuego", der Einblick in die schwierige Situation von Bauern im Südwesten Kolumbiens bietet.

Während der Festivalwoche, aber auch danach können Schulen die Filme auch individuell als Schulvorstellungen buchen. Bei Interesse kann der Spielboden kontaktiert werden.


Weitere Informationen unter www.spielboden.at und www.humanvision.at


(Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift KULTUR, 03/2022)




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