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  • AutorenbildWalter Gasperi

Im Kino: Neues aus der Welt


Texas, 1870: Ein ehemaliger Captain der Südstaaten-Armee soll ein deutsches Mädchen, das vor Jahren von den Kiowas verschleppt wurde, zu seinen rund 600 Kilometer entfernt lebenden Verwandten bringen. – Gerade die Einfachheit der Geschichte und die unspektakuläre, aber von Ernst getragene Inszenierung von Paul Greengrass machen den Reiz und die Schönheit dieses mit Tom Hanks und Helena Zengel in den Hauptrollen auch ideal besetzten Western aus.


Für hautnahes und druckvolles Kino, das mit unglaublich schnellen Schnitten und teilweise quasidokumentarischer Inszenierung den Zuschauer unmittelbar ins Geschehen hineinzieht ist der Brite Paul Greengrass seit seinem 2002 bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten "Bloody Sunday" bekannt. Zeichnete er dort die Vorgänge am nordirischen "Blutsonntag" am 30. Januar 1972 nach, so versetzte er in "United 93" ("Flug 93") die Zuschauer*innen unmittelbar in das Flugzeug, das Al-Qaida-Terroristen am 11. September 2001 entführten und das schließlich in Pennsylvanien abstürzte.


Kassenerfolge landete Greengrass aber vor allem mit seinen drei Agenten-Thrillern um Jason Bourne ("Die Bourne Verschwörung", 2004; "Das Bourne Ultimatum", 2007; "Jason Bourne", 2016), die ebenfalls von hohem Tempo und packenden Actionszenen leben. Als Meister des Spannungskinos bewies er sich aber auch mit "Captain Phillipps", in dem Tom Hanks den Kapitän eines Frachters spielt, der von somalischen Piraten gekapert wird.


Hanks spielt auch in "Neues aus der Welt" die Hauptrolle. Zuerst sieht man nur den vernarbten Oberkörper, der auf Wunden aus dem amerikanischen Bürgerkrieg verweist. Auch wenn sich dieser ehemalige Captain der Südstaaten-Armee Jefferson Kyle Kidd anzieht, gewährt Greengrass dem Zuschauer durch die Nähe der Kamera keinen Überblick. Erst als Kidd durch einen Schlitz in der Plane in den Zuschauerraum blickt, sieht man dem alternden Captain direkt ins Gesicht. Gegen ein geringes Eintrittsgeld liest er hier Interessierten - vor allem wohl Analphabeten - aus Zeitungen Nachrichten aus der weiten Welt vor und zieht damit von Stadt zu Stadt.


Einen desolaten Eindruck hinterlässt freilich Wichita Falls mit seinen Holzbaracken und strömendem Regen. Auf dem Weiterweg stößt Kidd auf die zehnjährige blonde Johanna (Helena Zengel), deren indianischer Begleiter von rassistischen Weißen gehenkt wurde. Vor Jahren wurde ihre Familie von den Kiowa ermordet und sie entführt. Nun wurde ihre Kiowa-Ersatzfamilie ermordet und sie selbst soll zu ihren 600 Kilometer entfernt lebenden Verwandten gebracht werden.


Johanna selbst ist davon wenig begeistert, fühlt sie sich doch ganz als Kiowa, spricht nur noch deren Sprache und will zurück zu ihren Leuten. An John Fords "Zwei ritten zusammen" erinnert dieses Motiv der Schwierigkeit der Wiedereingliederung einst entführter Weißer in die weiße Gesellschaft und die Figur von Hanks wirkt wie ein sanfter Nachfolger von John Waynes bitterem Ethan Edwards in Fords Meisterwerk "The Searchers" ("Der schwarze Falke").


Ideal besetzt ist dieses Mädchen mit Johanna Zengel, die hier am Beginn nochmals die Wildheit, mit der sie "Systemsprenger" zum explosiven Kinoerlebnis machte, an den Tag legen kann, ehe sie langsam ruhiger wird. Will Kidd sie nämlich zunächst bei einer Familie zurücklassen, bis der für Indianerfragen zuständige Beamte Zeit hat, sie zu ihren Verwandten zu überstellen, entschließt er sich dann doch Johanna selbst durch das fünf Jahre nach Ende des Bürgerkriegs innerlich immer noch gespaltene Land zu Onkel und Tante zu bringen.

Das klassische Motiv vom Odd Couple, das langsam zueinander findet, bedient Greengrass mit diesem Duo. Fast nur mit Blicken und Gesten kann Zengel dabei kommunizieren, doch Hanks lernt von ihr auch einige Sätze Kiowa. Zu den Stärken zählt zweifellos, wie Greengrass immer wieder Raum für Mimik und Gestik lässt und Dialog nur reduziert einsetzt.


In klassischer Manier solcher Roadmovies wechseln auch ruhige Momente zwischen dem alten Soldaten und dem Mädchen und Actionszenen. Da gibt es sowohl Gangster, die Johanna mit Gewalt rauben und verkaufen wollen, als auch einen brutalen Landlord, der nicht nur ein County terrorisiert und reihenweise Büffel abschlachtet, sondern auch Afroamerikaner und Indianer massakriert. Unschwer kann man in diesem Mob und ihrem Anführer eine Anspielung auf Donald Trump und seine gewaltbereiten Anhänger sehen. Aber auch ein mächtiger Sandsturm fehlt so wenig wie ein spektakulärer Unfall mit dem Pferdekarren.


So sehr Greengrass in diesen Szenen auch demonstriert, wie meisterhaft er packende Action inszenieren kann, so kennzeichnet "Neues aus der Welt" insgesamt doch ein wunderbar ruhiger und unaufgeregter Erzählrhythmus. Abgesehen von zwar großartigen, aber doch zu exzessiv eingesetzten Drohnenaufnahmen der weiten Prärie verzichtet der Brite auf alle Spielereien, erzählt funktional und kontrolliert und lässt immer spüren, dass er hinter dieser Geschichte und seinen Figuren steht.


Wie Kidd immer vom geraden Blick nach vorne spricht, so geradlinig und nach vorne gerichtet ist "Neues aus der Welt" auch erzählt. Da gibt es keine Nebengeschichten und die traumatischen Erinnerungen, die beide mit sich tragen und die erst langsam durchbrechen, werden auch nicht visualisiert, sondern fast nur beiläufig angesprochen.


Der langsame Stimmungswechsel wird dabei auch durch die großartige Kameraarbeit von Dariusz Wolski spürbar, wenn die dunklen Bilder des Beginns gegen Ende zunehmend von hellen und lichtdurchfluteten abgelöst werden.


Und wie dieser vielleicht menschlich wärmste Film Greengrass´ von gegenseitigem Verständnis und Verarbeitung der eigenen Traumata erzählt, so erzählt er auch nicht nur eine Geschichte, sondern reflektiert gleichzeitig über die Nachrichtenstunden von Kitt über die Funktion von Geschichten. Denn da sieht man sowohl wie Anordnungen von Präsident Grant für Texas die Bevölkerung erregen und wie Kitt mit einem Bericht über Grubenarbeiter in Pennsylvania, die sich gegen den Mineneigentümer erhoben, auch einfache Texaner zum Aufbegehren gegen den brutalen Landlord anstacheln kann und schließlich gibt es auch noch Geschichten, die einfach nur unterhalten und die Leute zum Lachen bringen.


Wie aus der Zeit gefallen wirkt dieser Film in seiner Einfachheit und Geradlinigkeit, aber gerade diese selbstverständliche Behauptung des Unzeitgemäßen und das große Understatement der Inszenierung, das für Leichtigkeit sorgt, sind Stärken dieses schönen Western.


Läuft derzeit im Cinema Dornbirn und im Kino Bludenz


Trailer zu "Neues aus der Welt"




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