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  • AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Der Deutsche Film – 1895 bis Heute

Zur Ausstellung "Der Deutsche Film" im Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist ein Katalog erschienen, der in einer großartigen Mischung von Texten und Bildern bestechend die Geschichte des deutschen Films von den Anfängen bis zur Gegenwart nachzeichnet: Ein Prachtband, der sich auch als Geschenk bestens eignet.


Noch bis 15. September 2024 kann man die Ausstellung "Der Deutsche Film" in der Völklinger Hütte besuchen. Der vom Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Ralf Beil und Rainer Rother dazu erschienene Katalog begeistert aber auch ohne deren Kenntnis und wird weit darüber hinaus Bestand haben.


Auf 400 Seiten bietet das großformatige Buch mit über 1000 Abbildungen und fundierten Texten einen ebenso knappen wie anschaulichen Überblick über die deutsche Filmgeschichte. Auf eine Einleitung von Herausgeber Ralf Beil, der Querverbindungen in der deutschen Filmgeschichte und über Deutschland hinaus aufzeigt und Einblick in Aufbau von Ausstellung und Katalog vermittelt, bietet Herausgeber Rainer Rother auf acht Textseiten in prägnanter Darstellung einen Überblick über die Entwicklung von 1895 bis 1923.


Die Gliederung dieses Abschnitts in Kaiserzeit, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Nachkriegszeit und Teilung Deutschland bis zum wiedervereinigten Deutschland bestimmt dabei auch die folgende Darstellung. Auf jeweils rund sechs Seiten bieten die Autoren Horst Peter Koll und Daniela Sannwald einen kurzen Überblick über die jeweilige Epoche, auf den dann jeweils die Vorstellung einzelner markanter Filme folgt. Auf einer Textseite mit einer kurzen Einführung und einem längeren Auszug aus einer – meist zeitgenössischen – Rezension, die teilweise auch amerikanischen Medien entnommen ist, und einer Bildseite werden dabei insgesamt 116 Filme vorgestellt.


Nicht nur herausragende Meisterwerke wurden dafür ausgewählt, sondern eine möglichst breite Vielfalt soll geboten werden. So bekommt Alice Guys "La fée aux choux" (1896) als erster Frauenfilm ebenso eine Doppelseite wie "Anders als die Anderen" (1919) als Beispiel für die Thematisierung von Homosexualität im frühen Film oder die Komödien "Ich möchte kein Mann sein" (1918) und "Der Fürst von Pappenheim" (1927) als frühe Beispiele für befreite Weiblichkeit bzw. Crossdressing.


Dieses Streben nach Breite kennzeichnet alle Kapitel. So werden zum Beispiel im Abschnitt zum Film im Nationalsozialismus neben den prototypischen Propagandafilmen "Hitlerjunge Quex" (1933), "Triumph des Willens" (1935), "Feuertaufe" (1940) und "Jud Süß" (1940) auch das Melodram "Die große Liebe" (1942) und die eskapistischen Filme "Münchhausen" (1943) und "Wir machen Musik" (1942) vorgestellt und im Kapitel über den deutschen Film seit der Wiedervereinigung werden beispielsweise nicht nur Tom Tykwers "Lola rennt" (1998), Florian Henckel von Donnersmarcks "Das Leben der Anderen" (2006), Michael Hanekes "Das weiße Band" (2009), Maren Ades "Toni Erdmann" (201&) und İlker Çataks "Das Lehrerzimmer" (2023) präsentiert, sondern auch Christoph Schlingensiefs "Das deutsche Kettensägenmassaker" (1990) als Kommentar zur Wiedervereinigung, Katja von Garniers "Bandits" (1997) als Beispiel für befreites Frauenkino, Tim Fehlbaums "Hell" (2011) als Beispiel für einen deutschen Science-Fiction-Film, Leo Aladags "Zwischen Welten" (2014) als Film zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr oder Fatih Akins "Aus dem Nichts" (2017) und Julia von Heinz´ "Und morgen die ganze Welt" (2020) als Filme zu den erstarkenden rechtsradikalen Strömungen und den möglichen Reaktionen darauf.


Den größten Raum nehmen zwar die Abschnitte "Deutscher Film in Ost und West, 1962 – 1989 und "Neuorientierung, 1990 – 2023" ein, dafür wird speziell beim Kino der Weimarer Republik und auch beim Film im Nationalsozialismus auf so genannten "Echoseiten" immer wieder die Rezeption deutscher Klassiker sichtbar gemacht. Da wird nicht nur der Einfluss von Fritz Langs "Metropolis" (1927) auf Ridley Scotts "Blade Runner" (1982) und Mamoru Oshiis Animé "Ghost in the Shell" (1995) aufgedeckt und Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu" (1922) Werner Herzogs Remake (1979) gegenübergestellt, sondern auch die Rezeption von Lotte Reinigers Animationsfilm "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" (1926) in "Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1" (2010), von "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920) in Tim Burtons "Edward Scissorhands" (1990), von "Der blaue Engel" (1930) im Musical "Cabaret" (1972) und von Leni Riefenstahls Propagandafilm "Triumph des Willens" in "Star Wars: The Force Awakens" (2015) wird sichtbar gemacht.


Eingeschoben sind aber auch vor allem im Abschnitt zum frühen Kino und zum Kino der Weimarer Republik immer wieder doppelseitige, mit Originaltexten, Skizzen und Bildern versehene Porträts von Filmschaffenden wie dem Filmpionier Guido Seeber, den Schauspieler:innen Asta Nielsen, Marlene Dietrich, Kurt Gerron und Hildegard Knef, den Filmarchitekten Erich Kettelhut und Robert Herlth sowie der Kostümbildnerin Aenne Willkomm, den Komponisten Herbert Windt und Michael Jary, dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase oder zur entfesselten Kamera.


Eigene Kapitel gibt es zum expressionistischen Film und zu "Metropolis" (1927), bei dem ausführlich die Geschichte der Restauration nachgezeichnet wird, sowie am Beispiel von "Mädchen in Uniform" (1958) zu einem Filmstudio der 1950er Jahre. Bei letzterem wird dabei auch anschaulich aufgezeigt, wie gegenüber der Erstverfilmung von 1931 im Remake die Kritik am preußischen Militarismus entschärft wurde.


Insgesamt stellt dieser Katalog so einen echten Prachtband dar, von dem man zwar keine tiefschürfende Analyse der deutschen Filmgeschichte erwarten darf, der aber einen vorzüglichen prägnanten Überblick bietet und neben den fundierten Texten auch durch seine großartige Bebilderung begeistert.

 

 

Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Ralf Beil, Rainer Rother (Hg.), Der Deutsche Film – 1895 bis Heute, Sandstein Verlag, Dresden 2024, 424 S, € 54, ISBN 978-3-95498-787-0



Buchvorstellung durch den Herausgeber Ralf Beil




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