Der 1925 geborene Robert Altman war dem europäischen Kino näher als dem amerikanischen. Statt linear zu erzählen, zeichnete dieser begnadete Satiriker in virtuoser Verschränkung mehrerer Erzählstränge und zahlreicher Figuren immer wieder komplexe Gesellschaftsbilder und kratzte an den amerikanischen Mythen. Das Filmpodium Zürich widmet dem 2006 verstorbenen US-Regisseur derzeit eine Retrospektive.
"Es ist keine Tragödie, wenn ein alter Mensch stirbt" stellt tröstend der blonde Todesengel fest, der durch "A Prairie Home Companion" ("Robert Altman´s Last Radio Show", 2006), Altmans letzten Film wandelt. Von der bissigen Gesellschaftskritik seiner früheren Filme ist hier nichts mehr zu spüren.
Wunderbar gelassen philosophiert Altman über Leben und Tod. Was diesen warmherzigen Abschied aber mit den Hauptwerken des am 20. Februar 1925 in Kansas City geborenen Regisseurs verbindet, ist die Souveränität, mit der er ein großes Ensemble, aus dem kein Star besonders herausragt, führt und einzelne kleine Geschichten zu einem homogenen Ganzen fügt.
Im Gegensatz zu seinen rund zehn Jahre jüngeren Kollegen des New Hollywood besuchte Altman nie eine Filmschule. In seiner Heimatstadt lernte er in den 1950er Jahren bei der Produktion von Industrie- und Lehrfilmen das Filmemachen, drehte mit 30 seinen ersten Spielfilm ("The Delinquents", 1955), arbeitete danach aber beim Fernsehen, für das er unter anderem Folgen von "Bonanza" und "Alfred Hitchcock presents" inszenierte. Dem Kino wandte er sich erst wieder 14 Jahre später zu und landete nach "Countdown" ("Countdown – Start zum Mond", 1968) – einem Spielfilm über das damals aktuelle Thema eines bemannten Flugs zum Mond – mit "M.A.S.H." (1970) seinen ersten internationalen Erfolg.
Alle Kennzeichen eines Altman-Films sind hier schon vereint: Die Vorgänge in einem mobilen Armeehospital im Korea-Krieg nützt Altman zur scharfen Kritik am Vietnamkrieg und einer amerikanischen Institution, in diesem Fall dem Mobile Army Surgical Hospital, also einem chirurgischen Feldlazarett. Typisch ist auch das Überlappen der Dialoge.
Fortgesetzt wurde diese Linie in den 1970er Jahren, in denen Altman eine erste Serie von Meisterwerken drehte. Zeitgerecht zur 200-Jahrfeier der USA lieferte dieser große Satiriker mit "Nashville" (1975) eine virtuose Bestandsaufnahme einer Gesellschaft, in der Politik und Show ständig zusammen gehören und ineinander greifen. Dirigierte Altman hier 24 Hauptdarsteller:innen, so waren es in "A Wedding" ("Eine Hochzeit", 1978) sogar 48.
Aber nicht nur an der Gesellschaft und dem Bild von der heilen Welt kratzte Altman, sondern auch an amerikanischen Filmgenres und Kinomythen. Buffalo Bill wird in "Buffalo Bill and the Indians Or Sitting Bull´s History Lesson" ("Buffalo Bill und die Indianer", 1976) zum Schaumschläger und ein desillusionierendes Bild des amerikanischen Westens um 1900 wird in "McCabe and Mrs Miller", 1971) gezeichnet. Jeder Glanz, alles Abenteuerliche und Spektakuläre wird dem Spielerleben in "California Split" (1974) ebenso genommen wie den Gaunern in dem in der Depressionszeit spielenden Gangsterfilm "Thieves Like Us" ("Diebe wie wir", 1974), der sich an der Geschichte von Bonnie und Clyde orientierte.
Mit "Kansas City" (1996) wiederum setzte er seiner Geburtsstadt und dem Jazz ein Denkmal, während er mit seiner Raymond Chandler-Adaption "The Long Goodbye" ("Der Tod kennt keine Wiederkehr", 1973) den klassischen Detektivfilm dekonstruierte.
Am amerikanischen Kino abgearbeitet hat sich Altman auch mit "The Player" (1992), mit dem er nach einem Tief in den 1980er Jahren ein glanzvolles Comeback feierte. Die scharfe Satire auf Hollywood feiert gleichzeitig das amerikanische Kino, wenn in der Eröffnung zwei Filmschaffende über die legendäre Plansequenz in Orson Welles´ "Touch of Evil" diskutieren und Altman die Szene in einer nicht minder virtuosen Plansequenz inszeniert.
Auf der Höhe seiner Kunst zeigte er sich auch mit "Short Cuts" (1993), in dem er souverän rund zehn parallele, einzig durch den Schauplatz L.A. zusammengehaltene Erzählungen von Raymond Carver virtuos verknüpfte. – Schwer vorstellbar sind ohne dieses Vorbild Filme wie Paul Thomas Andersons "Magnolia" oder die Filme von Alejandro González Iñárritu. "Erzählen à la ´Short Cuts´" wurde in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren praktisch zum stehenden Begriff, zum Synonym für komplexe Verschränkung mehrerer Figuren und Erzählstränge.
Dieses polyphone Erzählen, das Antippen von vielen Geschichten, das Pendeln von einer Figur zur anderen kennzeichnet auch das Gesellschaftspanorama "Gosford Park" (2001), in dem sich Altman für einmal nicht den USA, sondern der britischen Klassengesellschaft um 1930 widmete. Wie dieser Film ein Gegenstück zu Jean Renoirs "La regle du jeu" (1939) darstellt, so scheint ein Frauenfilm wie "Three Women" (1977) von Ingmar Bergman beeinflusst.
Immer blieb Altman mit seinem mehr in die Breite als vorwärts drängenden Erzählstil, mit seinem satirischen Blick auf die Menschen näher dem europäischen Kino als dem amerikanischen. Von Hollywood hat er sich nie vereinnahmen lassen, hat aber als Produzent eigenwillige Regisseure wie Alan Rudolph und Robert Benton gefördert.
Geschätzt wurde Altman aber vor allem in Europa, wo er in Cannes für "M.A.S.H." mit der Goldenen Palme und in Venedig für "Short Cuts" mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Oscar gewann er aber wie viele große Regisseure von Hawks über Hitchcock bis Kubrick für keinen seiner Filme, wurde aber immerhin von Hollywood wenige Monate vor seinem Tod am 20. November 2006 mit einem Ehrenoscar für sein Lebenswerk gewürdigt.
Weitere Informationen zur Filmreihe im Filmpodium Zürich und den Spielterminen finden Sie hier.
Video-Essay zu Robert Altman
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