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  • AutorenbildWalter Gasperi

Diagonale ´24: Vom Massentourismus bis zum menschlichen Körper

Aktualisiert: 8. Apr.

Mit "Vista Mare" von Julia Gutweniger und Florian Kofler sowie "Corpus Homini" von Anatol Bogendorfer gibt es auf der Diagonale in Graz zwei starke Dokumentarfilme zu entdecken. Während Gutweniger / Kofler in sorgfältig kadrierten Einstellungen die vielfältigen Arbeitsprozesse einfangen, die einen reibungslosen Massentourismus ermöglichen, begleitet Bogendorfer eine Hebamme, eine praktische Ärztin, eine Sexarbeiterin und ein Bestatterehepaar bei ihrer Arbeit.


An Ulrich Seidls "Rimini" erinnern die ersten Einstellungen von Julia Gutwenigers und Florian Koflers "Vista Mare": In sorgfältig komponierten, statischen Totalen fangen sie einen nebelverhangenen, winterlich-kalten und menschenleeren Badeort an der italienischen Adria ein.


Doch die Vorbereitungen für die Sommersaison laufen schon. Am Strand wird Sand ausgebaggert, um einen perfekten Strand zu schaffen, bald werden auch die Sonnenschirme geflickt. Mit Beginn der Saison vervielfältigen sich die Arbeiten. Hotelzimmer müssen gereinigt werden, die Unmengen an Bettwäsche gewaschen werden, Hochbetrieb herrscht in der Küche, während am Strand Animateur:innen für Unterhaltung sorgen und Jets an den blauen Himmel die italienische Flagge sprühen.


Nicht fehlen dürfen natürlich der Eisverkäufer, der sein Gelati zwischen den dicht gedrängten Sonnenschirmen anpreist, und der afrikanische Strandverkäufer, mit dem um den Preis von Sonnenhüten gefeilscht wird, sowie eine Tretboot-Fahrt durch ein nur aus Fassaden bestehendes Klein-Venedig oder eine Delphin-Show.


Während Sofia Exarchou im Spielfilm "Animal" ganz auf die Arbeit der Animateur:innen in einem griechischen Urlaubsort fokussierte, wollen Gutweniger, die auch für die Kamera verantwortlich zeichnet, und Kofler ein möglichst umfassendes Bild der vielfältigen Arbeitsprozesse vermitteln, die nötig sind, um einen reibungslosen Massentourismus in einem Badeort zu ermöglichen.


Auf jeden Kommentar und Interviews verzichtet das Regie-Duo und beschränkt sich auf die Beobachtung. Unbehagen und gewisse Verstörung erzeugen dabei nicht nur die kühl-distanzierten, weitgehend statischen Einstellungen, sondern auch wiederkehrende Totalen des mit Sonnenschirmen und Badegästen überfüllten Strands sowie der in ihrer Gleichförmigkeit hässlichen Hotelfassaden und die kalte und teils dissonante Musik von Gabriela Gordillo.


Der Fokus liegt auf den Arbeitsprozessen, kein Profil gewinnen in den kurzen Szenen die Saisonarbeiter. Sichtbar wird aber, was von ihnen geleistet werden muss und wie sie ausgebeutet werden, wenn Gutweniger/Kofler auch eine Demonstration einfangen, bei der sie gegen die niedrigen Löhne, überlange Arbeitszeiten und fehlende freien Tage protestieren. Relativ kurz mag auch diese Szene sein, prägt sich aber doch ein und wirkt nach, weil sie den Preis sichtbar macht, den die einen bezahlen, damit die anderen ihren Urlaub genießen können.


Ganz auf die Menschen fokussiert dagegen Anatol Bogendorfer in "Corpus Homini". Die Pole des Lebens treffen dabei schon in den ersten Szenen aufeinander, wenn dem Geburtsvorbereitungskurs einer Hebamme die Aufnahme eines Sterbefalls durch eine Bestatterin gegenüberstellt wird.


In Parallelmontage zeichnet Bogendorfer nicht nur ein Bild dieser beiden Berufe, sondern begleitet auch eine praktische Ärztin und eine Sexarbeiterin, die ihre Dienste vor allem Menschen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung anbietet, mit der Kamera. Wie Gutweniger / Kofler verzichtet auch der Oberösterreicher auf jeden Kommentar und Interviews und beschränkt sich auf eine begleitende Beobachtung, mit der er den Bogen von der Geburt über Sehnsüchte nach körperlicher Nähe bis zur Verletzlichkeit, Hinfälligkeit und Tod des Menschen spannt.


Leicht hätte dieser Film in Voyeurismus abgleiten können, doch Bogendorfers Blick ist immer nicht nur von Respekt und echtem Interesse, sondern auch von Mitgefühl und Empathie geprägt. So bietet "Corpus Homini" nicht nur einen vielschichtigen Einblick in vier ganz unterschiedliche Berufe, sondern wirft im genauen Blick auf den Geburtsvorgang ebenso wie auf das Waschen eines Toten, die vielfältigen Krankheiten, mit denen die Ärztin konfrontiert wird, und die Zärtlichkeit, mit der die Sexarbeiterin mit ihren Kunden umgeht, auch Fragen nach dem Menschsein und dessen Schönheiten ebenso wie den bedrückenden Aspekte auf. – Unklar bleibt einzig der Titel, müsste es doch "Corpus Hominis" und nicht "Corpus Homini" heißen, wenn der "Körper des Menschen" gemeint sein sollte.



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