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Filmbuch: Für den Bruchteil einer Sekunde – Das bewegte Leben von Eadweard Muybridge

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 1 Tag
  • 3 Min. Lesezeit
"Für den Bruchteil einer Sekunde": Spannende Graphic Novel über das Leben des Filmpioniers Eadweard Muybridge und den Weg zur ersten Filmvorführung.
"Für den Bruchteil einer Sekunde": Spannende Graphic Novel über das Leben des Filmpioniers Eadweard Muybridge und den Weg zur ersten Filmvorführung.

Im Reprodukt Verlag ist Guy Delisles Graphic Novel über den Foto- und Filmpionier Eadweard Muybridge erschienen, die gleichzeitig ein eindrückliches Bild der filmtechnischen Entwicklung bis zu den ersten Filmvorführungen 1895 zeichnet.


Bekannt wurde der Kanadier Guy Delisle mit journalistischen Graphic Novels über seine Aufenthalte in China ("Shenzhen", 2006), Nordkorea ("Pjöngjang", 2007), Myanmar ("Aufzeichnungen aus Birma", 2009) und Israel ("Aufzeichnungen aus Jerusalem", 2012). In "Lehrjahre" (2021) verarbeitete er dann seine Studentenzeit und blickt nun in "Für den Bruchteil einer Sekunde. Das bewegte Leben von Eadweard Muybridge" auf den langwierigen Weg der Fotografie zum Film im 19. Jahrhundert.


Gegen Ende des Buches (S. 196) bringt sich Delisle dabei selbst ins Spiel, wenn er von seiner Begeisterung für ein Fotobuch von Eadweard Muybridge erzählt, das er 1987 kaufte, und auf die Bedeutung Muybridges für die Entwicklung des Zeichentrickfilms hinweist.


Weltberühmt sind Muybridges Fotos von galoppierenden Pferden, mit denen er 1878 bewies, dass ein Pferd im Galopp für einen Sekundenbruchteil alle vier Beine in der Luft hat. Nur wenigen bekannt dürfte dagegen die Biographie des 1830 geborenen Briten sein.


Dies ändert nun Delisle mit seiner Graphic Novel. Kindheit und Jugend von Muybridge spart er zwar aus und lässt die Erzählung 1850 mit der Abreise des 20-jährigen Buchhändlers in die USA einsetzen, erzählt von da an aber durch Jahreszahlen strukturiert bis zum Tod des leidenschaftlichen Tüftlers und Forschers im Jahr 1903.


Passend zur Vor- und Frühzeit des Films ist der Comic in Schwarzweiß gehalten, gleichwohl werden einige wenige Momente mit kräftig roten, blauen oder gelben monochromen Panels akzentuiert. Prunkstück sind aber Kopien von Muybridges eigenen Fotografien oder auch von Gemälden von Ernest Meissonier, die quasi auch die Historizität des Geschilderten belegen.


Wenn Muybridge in den USA die Fotografie entdeckt, baut Delisle aber auch einen Rückblick auf deren Geschichte von Nicéphore Niépce zu Louis Daguerre ein und stellt auch später das Schaffen des Briten in einen größeren Kontext wie den der Entwicklungen in Frankreich, aber auch der Erfindungen Thomas Alpha Edisons.


Gleichermaßen unterhaltsam wie informativ zeichnet die Graphic Novel den Weg Muybridges vom Buchhändler zum Fotografen nach, der sich bald von der Porträtfotografie abwendet und mit Landschaftsbildern des Yosemite Valley, bei denen er auch seine Entschlossenheit und seinen Mut an den Tag legt, Erfolge feiert.


Eindrücklich zeigt Delisle dabei auf, wie Muybridge mit seinen Fotos vom Krieg gegen die indigenen Medoc in Oregon oder der Leuchttürme am Pazifik einerseits die Welt dokumentiert, andererseits mit Bildern von Alaska aber auch das vor kurzem von der US-Regierung erworbene Land bei der Bevölkerung beliebt machen soll.


Zentrale Bedeutung für die berufliche Entwicklung Muybridges bringt die Begegnung mit dem Eisenbahnmagnaten Leland Stanford, der beweisen will, dass Pferde im Galopp kurzzeitig alle Beine in der Luft haben. Sukzessive nähert sich der Fotograf der Lösung dieses Problems, wenn er die zwölf parallelen Kameras, mit denen er Panoramafotos von San Francisco macht, bald auf der Pferdebahn aufstellt, die Belichtungszeit schrittweise verkürzt und schließlich mit elektrischem Auslöser eine Serienaufnahme erstellen kann, die die Bewegung des Pferds im Detail einfängt.


Verweist Delisle hier darauf, dass Muybridge damit die Technik erfand, die mehr als 100 Jahre später als Bullet Time Shot in "Matrix" berühmt wurde, so zeichnet er auch die Entwicklung erster Projektoren wie des Phenakistiskops und des Zootrops in Frankreich und schließlich des Zoopraxiskops durch Muybridge nach.


Eingebettet ist diese Biographie, in der es auch zu einem Mord mit überraschendem Gerichtsurteil kommt, so in die filmtechnische Entwicklung dieser Zeit bis zu den Brüdern Lumière und den ersten Spielfilmen von Georgès Méliès, aber auch an die Filmpionierin Alice Guy wird erinnert.


Beeindruckend dicht wird dabei auch das Bild einer Zeit gezeichnet, in der auch der Eisenbahnbau eine entscheidende Rolle spielte, Magnaten in prunkvollen Palästen lebten, Edison Nicola Teslas Eintreten für den Wechselstrom bekämpfte, bei den Weltausstellungen von Paris (1989) und Chicago (1893 neue Erfindungen bis hin zum Riesenrad präsentiert wurden. Platz hat hier aber auch ein Blick auf die Entstehung der Universität von Stanford.


So einfach "Für den Bruchteil einer Sekunde" im Grunde gestaltet ist, so reich ist es doch an Details und bleibt trotz seiner Fülle eine bewundernswert leichte Lektüre, die mit Muybridge als klarer Identifikationsfigur mitreißt und über seine eigenen Erfahrungen und Forschungen ebenso wie durch seine Begegnungen sich zu einer beeindruckenden Hommage an einen zwar schwierigen Menschen, aber leidenschaftlichen und unermüdlichen Forscher fügt.

 


Delisle, Guy, Für den Bruchteil einer Sekunde. Das bewegte Leben von Eadweard Muybridge, Reprodukt Verlag, Berlin 2025, 208 S., € 26, ISBN 978-3-95640-460-3

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