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AutorenbildWalter Gasperi

Rimini


In den Filmen von Ulrich Seidl ist die Welt immer trostlos und die Menschen sind hässlich, doch nie war sein Blick warmherziger und zärtlicher als bei diesem Porträt des abgehalfterten Schlagersängers Richie Bravo. Wie geboren für diese Rolle ist Michael Thomas, der in beinahe jeder Szene präsent ist und "Rimini" trägt.


Lange musste man auf "Rimini" warten, der unter dem Arbeitstitel "Böse Spiele" firmierte. Schon im Frühjahr 2017 und 2018 wurde der Film abgedreht, doch die Postproduktion zog sich hin. Wie bei seiner "Paradies"-Trilogie hatte Ulrich Seidl so viel Material, dass er sich entschloss nicht nur einen Film daraus zu machen, sondern zwei. Während "Rimini" auf dem ehemaligen Schlagerstar Richie Bravo (Michael Thomas) fokussiert, soll im Zentrum von "Sparta", der sich in der Postproduktion befindet, dessen von Georg Friedrich gespielter jüngerer Bruder Ewald stehen.


Der ganze Seidl´sche Biss steckt schon in der ersten Einstellung, in der frontal vor der Kamera eine Gruppe von SeniorInnen, die hinter ihren Rollatoren sitzen, "So ein Tag, so wunderschön wie heute" mehr krächzt als singt. Nie sind die Welt, das Leben und die Menschen schön bei dem österreichischen Provokateur, doch nie war sein Blick liebevoller und warmherziger als in diesem Film.


Die ganze Verlorenheit nicht nur eines alten Mannes (Hans Michael Rehberg), sondern der ganzen Menschheit, kommt in der folgenden Szene zum Ausdruck, wenn der Mann mit Rollator im Gang des Seniorenheims die Tür zu seinem Zimmer sucht, zwar Tapeten Blicke in die freie Natur öffnen, aber jeder reale Ausgang versperrt bleibt.


Nach dieser Pre-Title-Sequenz wechselt Seidl zur nächtlichen Ankunft Richie Bravos in seinem burgenländischen Heimatdorf Parndorf. Auch hier lassen Nebel und winterliche Kälte keine Wärme aufkommen. Im Elternhaus wird er mit seinem Bruder Ewald ein paar Schnäpse trinken und das Begräbnis der Mutter vorbereiten. In seinem Zimmer künden Poster von "Ben Hur" und Charlton Heston, von Winnetou und Old Shatterhand, von Bud Spencer und Terrence Hill von jugendlichen Star- und Heldenträumen, die in Kontrast zur tristen Gegenwart stehen.


Auf das Begräbnis, auf dem Richie berührend, aber wohl auch um sich selbst in Szene zu setzen, den Udo Jürgens-Hit "Merci Cherie" singt, folgt schon wieder seine Ankunft in Rimini. Nichts von südländischem Flair und Urlaubsstimmung verbreitet die Adriastadt. Auch hier dominiert Nebel, nur afrikanische Flüchtlinge sitzen an der windigen Küste, heruntergekommen wirken Hotels und die Villa, die Richie am lange zurückliegenden Höhepunkt seiner Karriere erwarb oder sich bauen ließ. Nur Touristenbusse mit vorwiegend weiblichen Pensionisten kommen zu dieser Jahreszeit in den Badeort. Wohl werden sie in Bädern Erholung suchen, doch das sieht man nie.


Der Fokus liegt ganz auf dem Schnulzensänger, der die Touristinnen am Abend mit seinen Auftritten unterhält. Sehnsuchtsvolle Lieder über die Liebe und das Glück sind das, doch im Gegensatz zum Song "Und immer wieder geht die Sonne auf" hängt über diesem Rimini immer Nebel. Bald regnet es auch heftig, dann ist es wieder verschneit. – Statt eines Paradieses ist dies ein hässlicher Unort.


Und gleichzeitig künden auch hier Poster von Richie Bravo, dessen Vorname auf einen Reichtum anspielt, über den er keineswegs verfügt, von einer besseren Jugendzeit. Gezeichnet ist er von einem exzessiven Leben mit Partys und Alkohol. Zerfurcht ist sein Gesicht, doch immer noch verfügt der Endfünfziger über gewissen Charme, verdient sich ein Zubrot zu seinen Gagen mit Sex mit den Touristinnen. – Auch diese Szenen haben wie gewohnt bei Seidl nichts Leidenschaftliches und Lustvolles, sondern wirken schmutzig und deprimierend.


Meisterhaft beschwört die Kamera von Wolfgang Thaler dieses triste Ambiente und die Glitzerkostüme von Tanja Hauser den schmuddeligen Glanz Richies. In dessen Verkörperung geht Michael Thomas völlig auf, spielt und singt mit einer Leidenschaft, die für diesen auf den ersten Blick nicht gerade sympathischen Barden einnehmen


Perfekt korrespondiert das schäbige Milieu mit der Verfasstheit nicht nur Richies, sondern auch der Touristinnen. Verloren und einsam sind sie, kein Glück gibt es in ihrem Leben, doch immer wieder wird in den Songs die große Sehnsucht nach einem anderen Leben, nach Liebe und Nähe spürbar. Aus diesem Kontrast entwickelt "Rimini" Kraft und emotionale Tiefe.


Bewegung kommt ins Leben des Protagonisten, als seine erwachsene Tochter Tessa (Tessa Göttlicher) auftaucht. Sie fordert von ihm das Geld, das er ihr und ihrer Mutter jahrelang vorenthalten hat. Richie sieht sich gezwungen aktiv zu werden und auch auf unsaubere Weise das Geld zu beschaffen, das er nicht hat.


Eine neue, sozialere und vielleicht bessere Ordnung scheint sich damit schließlich in der Villa des Altstars einzustellen, doch nicht im italienischen Badeort endet "Rimini", sondern schlägt mit der Schlussszene im Seniorenheim den Bogen zum Anfang. Dem "So ein Tag, so wunderschön wie heute" steht dabei Schuberts "Winterreise" gegenüber, die Richies dementer Vater in seinem Zimmer anhört. Wie sich hier als Gegenpol zum Begräbnis der Mutter schon der nahe Tod des Vaters, der immer wieder von seiner Nazi-Vergangenheit eingeholt wird, andeutet, so verweist diese Szene allgemein auf die Vergänglichkeit, die noch bedrückender ist als dieses schäbige Leben. Berührend spielt Hans-Michael Rehberg, der während der Dreharbeiten im November 2017 verstarb, diesen gebrechlichen alten Mann. – Ihm ist "Rimini" gewidmet


Rimini Österreich / Frankreich / Deutschland 2021 Regie: Ulrich Seidl mit: Michael Thomas, Tessa Göttlicher, Hans-Michael Rehberg, Inge Maux, Claudia Martini, Georg Friedrich Länge: 114 min.


Läuft derzeit in den österreichischen Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn



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