On Falling
- Walter Gasperi
- vor 2 Tagen
- 3 Min. Lesezeit

Eine portugiesische Arbeitsmigrantin vereinsamt als Lageristin in einem schottischen Konzern für Online-Versand zunehmend: Laura Carreira zeichnet in ihrem Spielfilmdebüt ein ebenso unaufgeregtes wie konzentriertes und bedrückendes Bild der Auswirkungen moderner Arbeitsverhältnisse.
Die in Schottland lebende Portugiesin Laura Carreira ließ sich bei ihrem Spielfilmdebüt, das mit Unterstützung von Ken Loachs Produktionsfirma Sixteen Films entstand, von eigenen Erfahrungen während ihrer Zeit als Filmstudentin in Edinburgh inspirieren. Damals lernte sie bei einem Gelegenheitsjob in einem Café die harte Realität der Arbeitswelt kennen.
Im Zentrum von "On Falling" steht nun die junge Aurora (Joana Santos), die in der schottischen Hauptstadt als Lageristin im Verteilzentrum eines Online-Giganten arbeitet. Außer dass sie aus Portugal stammt, erfährt man praktisch nichts über sie. Offen bleibt auch, ob sie eine Arbeitsmigrantin ist oder ob sie andere Gründe nach Schottland geführt haben.
Ganz auf das Hier und Jetzt fokussieren Carreira und ihr Kameramann Karl Kürten und fangen in zumeist in kalte Blau- und Grautöne getauchten Bildern ebenso geduldig wie genau Auroras monotonen Alltag ein. Jeden Tag wiederholen sich ihre Handgriffe, wenn sie ihren Wagen durch die engen Gänge des Lagers schiebt, die betreffenden Produkte in den Regalen sucht, die Strichcodes scannt und sie dann in den Warenkorb legt.
Zeit für ein kurzes Gespräch bleibt kaum, doch nie wird die Erzählweise hektisch, sondern bleibt immer ruhig und unaufgeregt. Kontakt zu Kolleg:innen gibt es höchstens in der Mittagspause in der Kantine, doch auch hier hält sich die junge Frau zurück. Während sich die anderen über die TV-Serien unterhalten, die sie gerade begeistern, schaut sie lieber in ihr Smartphone.
Aber auch in der Wohngemeinschaft, in der sie lebt, ist der Kontakt zu den Mitbewohner:innen, die aus anderen europäischen Ländern stammen, gering. Mag man sich auch zufällig zu einem kurzen Small-Talk in der Küche treffen, so bleibt jeder doch mehr oder weniger in seiner Welt.
Tag für Tag wiederholt sich dieser Ablauf und gerade durch die Wiederholungen werden Monotonie, Einsamkeit und zunehmende Verkümmerung Auroras fast physisch spürbar. Keine Dramatisierung ist hier nötig und auch auf Filmmusik verzichtet Carreira. Allein aus der konzentrierten Beobachtung und dem gerade in seiner Zurückhaltung intensiven Spiel von Joana Santos entwickelt dieses Sozialdrama seine beklemmende Dichte.
Hautnah folgt die Kamera der Protagonistin, in jeder Szene ist sie präsent. Wird zunächst vor allem die prekäre finanzielle Situation sichtbar, wenn schon die Reparatur ihres Smartphones eine Herausforderung darstellt und sie in der Folge beim Essen sparen muss, so verdichtet sich zunehmend das Bild der Vereinsamung. Da mag sie auch mal ein polnischer Mitbewohner mit seinen Bekannten in eine Bar mitnehmen, so zieht sich Aurora doch immer mehr zurück.
Gleichzeitig spürt man in zwei kleinen Szenen, in denen sie sich in der Bar an ihren Nebenmann anlehnt und später im Park einen alten Mann, der ihr hilft, länger als nötig mit der Hand festhält, wie sehr sie sich nach menschlicher Nähe sehnt.
Eindrücklich wird aber auch der Zynismus im Konzern sichtbar. Purer Hohn ist der Schokoriegel, den sie für eine gute Arbeitsleistung erhält, und wenig später wird sie auch schon wieder scharf getadelt, weil sie heute zu langsam arbeite.
Auf die Entwicklung einer klassischen Kinohandlung mit großen positiven oder negativen Umschwüngen, wie sie beispielsweise Ken Loach oder auch die Dardenne-Brüder in ihren sozialrealistischen Filmen entwickeln, verzichtet Carreira weitgehend ebenso wie auf Psychologisierung. Sie beschränkt sich auf die konzentrierte quasidokumentarische Beobachtung.
So wenig wie Aurora von sich preis gibt, so wenig erfährt man auch über die anderen Figuren des Films. Wirklich greifbar wird so diese Niedrig-Lohn-Arbeiterin kaum, aber gerade durch den zwar zurückhaltenden und nichts aufbauschenden, aber empathischen Blick bewegt diese Studie einer Entfremdung von sich selbst doch zutiefst.
Eindrücklich prangert Carreira dabei aber auch mit ihrer ebenso leisen wie unsentimentalen Schilderung anhand dieser individuellen Geschichte grundsätzlich eine Arbeitswelt an, in der der Mensch wie eine Maschine ganz auf seine Leistung reduziert wird und es nur noch in Pausen oder, wenn die Maschinen ausfallen, Zeit und Raum für soziale Kontakte und ein Lachen gibt.
On Falling
Großbritannien / Portugal 2024
Regie: Laura Carreira
mit: Joana Santos, Inês Vaz, Piotr Sikora, Neil Leiper, Jake McGarry, Itxaso Moreno, Leah MacRae
Länge: 104 min.
Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "On Falling"
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