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  • AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Ulrich Seidl (Film-Konzepte 59)


Unbehagen lösen die Filme Ulrich Seidls mit ihrem unerbittlichen Blick auf menschliche Abgründe immer wieder aus, dennoch gehört der Österreicher seit "Hundstage" (2001) zu den wichtigen Regisseuren des Gegenwartskinos. Der 59. Band der bei et+k erscheinenden Reihe Film-Konzepte untersucht in sechs Essays Seidls Stil und seine wiederkehrenden Themen.


Wie gewohnt bei den Bänden der Reihe Film-Konzepte wird nicht chronologisch Leben und Schaffen des Porträtierten beleuchtet, sondern ausgewählte Filme werden unter bestimmten Gesichtspunkten detailliert analysiert, andere wie in diesem Fall beispielsweise "Good News" (1990), "Hundstage" (2001), "Paradies: Glaube" (2012) oder "Im Keller" (2014) bleiben weitgehend unberücksichtigt.


In einem einleitenden Beitrag bietet Ko-Herausgeberin Corina Erk auf knapp 20 Seiten einen guten Überblick über Seidls Werk von seinem an der Wiener Filmakademie 1980 entstandenen 16-minütigen Kurzfilm "Einsvierzig" bis zu seinem bislang letzten Film "Safari" (2016). Erk arbeitet stilistische Merkmale wie die statischen Einstellungen und die Grenzgänge zwischen Spiel- und Dokumentarfilm ebenso heraus wie Sexualität, Religion, Kolonialdenken und Gottverlassenheit als wiederkehrende Themen, die ihn unter die Riege der Autorenfilmer mit eigenem Stil und unverwechselbarer Handschrift einordnen lassen. Nicht vorbei kommt Erk freilich auch an den Kontroversen, die Seidls schonungsloser Blick immer wieder auslöste und in dem die einen Voyeurismus, die anderen Humanismus entdeckten.


Anschließend an diese Werksichtung arbeitet Sandra Kristin Knocke am Beispiel der TV-Filme "Bilder einer Ausstellung" und "Der Busenfreund" heraus, wie Seidl Wirklichkeit reinszeniert und mit inszenierten Szenen mischt. Detailliert zeigt die Autorin auch auf, wie der Blick zwar scheinbar neutral ist und keine Deutungen vorgibt, gleichzeitig aber durch die Stilisierung der langen statischen Einstellungen die Schauspieler ausgestellt werden.


Jörn Glasenapp analysiert "Models", der für den Autor ein Scharnier zwischen Seidls frühen Filmen und seinem ersten Spielfilm "Hundstage" darstellt, vor dem Hintergrund der Modefotografen der "School of London", die im Gegensatz zur Hochglanzfotografie der 1980er Jahre die Vulnerabilität des Körpers mit "Schock-Bildern" ausstellten. Durchaus kritisch sieht Glasenapp hier aber die Position Seidls als Wahrheitssucher, denn der Film fördere nichts Neues zu Tage und sei insgesamt so glatt wie die Models, die er porträtiert.


Fatima Naqvi wiederum setzt sich ausgehend vom Unbehagen, das die Filme des Österreichers vielfach auslösen, mit der Schamlosigkeit des medialen Zeitalters und dem damit aufkommenden Fremdschämen auseinander. Am Beispiel von "Jesus du weißt", "Import Export" und "Paradies: Hoffnung" arbeitet die Autorin heraus, wie Seidl durch Kameraperspektiven und die Architektur nicht nur ein Unbehagen, sondern auch eine Distanzierung gegenüber der modernen Medienintimität erzeugt und damit Scham für diese Welt auslöst, in der Fremdschämen vorherrscht.


Ko-Herausgeber Brad Prager zeigt dagegen am Beispiel von "Paradies: Liebe" auf, wie Seidl durch seine Hyperstilisierung wie den oft symmetrischen Aufbau der Einstellungen oder die Verzerrung von Räumen durch Weitwinkelobjektiv einerseits das Inszenierte seiner Filme bewusst macht, andererseits auch absolute Kontrolle über seine Figuren vermittelt und diese zu Objekten degradiert. Seidl deckt damit zwar die Mechanismen des Sextourismus auf, läuft für Prager aber auch Gefahr die afrikanischen Laiendarsteller ähnlich auszubeuten wie die europäischen Sugar-Mamas, die glauben, sich mit ihrer weißen Haut und Geld echte Gefühle kaufen zu können.


Claudia Lillge thematisiert schließlich in ihrem Essay zu "Safari" den Grenzgang Seidls zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm und die Schwierigkeit der klaren Zuordnung und arbeitet in detailreicher Beschreibung des Films heraus, wie der Fortbestand kolonialer Traditionen und des Rassismus aufgedeckt wird.


Abgerundet wird der Band – wie gewohnt bei dieser Reihe - mit einer kurzen Bio- sowie einer knappen Filmographie.


Corina Erk, Brad Prager (Hg.), Film-Konzepte 59: Ulrich Seidl, Edition text + kritik, München 2020. 108 S., € 20, ISBN 978-3-96707-425-3



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