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  • AutorenbildWalter Gasperi

Bissig, surreal und voller Einfallsreichtum: Die Filme von Yorgos Lanthimos

The Lobster (Yorgos Lanthimos, 2015)

Mit seinen ersten Filmen "Kinetta" (2005) und "Dogtooth" (2009) stieg Yorgos Lanthimos neben Athina Rachel Tsangari zu einem der zentralen Vertreter:innen der kurz blühenden "Neuen griechischen Welle" auf, ehe er sich nach Großbritannien verabschiedete und spätestens seit "The Favourite" (2017) und "Poor Things" (2023) zu den Starregisseur:innen des modernen Kinos zählt. Das Kinok widmet dem vielfach preisgekrönten Griechen im Mai eine Retrospektive.


Mit Videos für griechische Tanztheater, Werbefilmen und Musikvideos begann der 1973 in Athen geborene Yorgos Lanthimos nach Besuch der Stavrakos Film School seine Karriere. Als seichte Komödie gilt sein Langfilmdebüt "My Best Friend" (2001). Drei Jahre später war er dann Teil des Teams, das die Eröffnungs- und Abschlussfeier für die Olympischen Spiele 2004 in Athen entwarf, ehe er mit dem experimentellen Spielfilm "Kinetta" (2005) zum Filmfestival von Toronto eingeladen wurde.


Sperrig wie dieser Film, in dessen Zentrum drei Menschen stehen, die Morde von Serienkillern nachstellen und dabei auch ihre eigenen Obsessionen erkunden, fiel auch "Dogtooth – Kynodontas" (2009) aus, der in Cannes den Preis in der Sektion Un certain regard gewann und für den Oscar als bester internationaler Film nominiert wurde. Mit eisiger Kälte erzählt Lanthimos darin in distanzierter Erzählweise von einem Paar, das seine drei fast erwachsenen Kinder konsequent von der Umwelt abschottet, permanent manipuliert und jeden Regelverstoß brutal ahndet.


Unübersehbar sind die Parallelen zu Lanthimos´ jüngstem Film "Poor Things" (2023), in dem Godwin Baxter (Willem Dafoe), nachdem er der ihm Koma liegenden Bella (Emma Stone) das Gehirn ihres ungeborenen Kindes eingepflanzt hat, sein Geschöpf nicht in die Freiheit entlassen will. Unterdrückung und Rebellion lassen sich so als Themen erkennen, die sich durch das Werk des Griechen ziehen.


Während aber "Dogtooth" durch die Mischung von bizarren Gewaltakten und trockenem schwarzen Humor sowie die eisige Inszenierung extrem verstört, so sind seine Filme, seit er ab "The Lobster" (2015) in Großbritannien und mit größeren Budgets arbeitet, doch zunehmend leichter konsumierbar geworden, haben aber auch an visuellem und erzählerischem Einfallsreichtum gewonnen.


Die eisige Kälte, die "Dogtooth" ebenso wie den dystopischen "The Lobster", in dem Menschen in Tiere verwandelt werden, sofern sie nicht innerhalb von 45 Tagen einen Partner finden, und die Aktualisierung des Iphigenie-Mythos mit "The Killing of a Sacred Deer" (2017) auszeichnet, haben schon zu Vergleichen mit den Filmen von Michael Haneke und Stanley Kubrick geführt. Mit letzterem verbindet ihn auch das Gespür für pechschwarze, beißende Satire sowie für brillante visuelle Gestaltung.


Nicht nur in "Poor Things", sondern auch in "The Killing of a Sacred Deer" und im Historienfilm "The Favourite" (2018) erzeugen Lanthimos und seine Kameramänner Thimios Bakatakis ("The Lobster" und "The Killing of a Sacred Deer) und Robby Ryan ("The Favourite" und "Poor Things") so durch den Einsatz von Weitwinkelobjektiv und Fischauge, durch das die Räume verzerrt werden, Irritation.


Auffallend ist auch die Wiederkehr einer tierischen Ebene vom Titel "Dogtooth", der sich auf einen nie ausfallenden Eckzahn bezieht, über "The Lobster", in dem freilich so wenig ein Hummer vorkommt wie in "The Killing of a Sacred Deer" eine Hirschkuh, bis zu "The Favourite", in dem die englische Königin sich mit zahllosen Kaninchen umgibt, und "Poor Things", in dem Baxter zahlreiche seltsame Kreuzungen von einem Hund mit Gänsekopf bis zu einer Henne mit Mopskopf erschafft.


Nicht unwesentlich zur Bekanntheit und Verbreitung der Filme trug freilich auch bei, dass Lanthimos bei seinen britischen Arbeiten mit Stars arbeiten konnte und kann. Der Bogen spannt sich hier von Colin Farrell, Rachel Weisz und Olivia Colman in "The Lobster" über Farrell und Nicole Kidman in "The Killing of a Sacred Deer" und Colman, Emma Stone und Weisz in "The Favourite" bis zu Stone, Willem Dafoe und Mark Ruffalo in "Poor Things". Auffallend ist, dass es dabei selten bei einer einmaligen Zusammenarbeit blieb und Emma Stone brachte sich bei "Poor Things" auch als Ko-Produzentin in den Film ein.


Souverän wechselt der Grieche dabei auch immer wieder die Genres. Während er so mit dem Thriller "The Killing of a Sacred Deer" mit ebenso kalter wie unerbittlicher und konzentrierter Inszenierung verstört, sorgt er bei der Farce "The Favourite" mit seinem bissigen Blick auf die Intrigen und weiblichen Machtkämpfe am britischen Königshof des frühen 18. Jahrhunderts für schwarzhumoriges Amüsement und begeistert bei "Poor Things" mit überbordender erzählerischer und visueller Opulenz.


Gespannt sein darf man so, was Lanthimos mit seinem nächsten Film "Kinds of Kindness", der noch in diesem Monat im Wettbewerb von Cannes seine Premiere feiern wird, bieten wird.



Weitere Informationen und Spieldaten der Filmreihe im St. Galler Kinok finden Sie hier.


Video-Essay zum Stil von Yorgos Lanthimos am Beispiel "The Killing of a Sacred Deer (18 Minuten)



 

 

 

 

 

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