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  • AutorenbildWalter Gasperi

Triangle of Sadness


Mit seiner bissigen Satire über die Schönen und Reichen der westlichen Welt und über die Schieflage der Gesellschaft gewann Ruben Östlund in Cannes zum zweiten Mal die Goldene Palme: Alles andere als subtil, aber mit markanten Figuren und einfallsreich-bösen Szenen.


Schon 2017 gewann Ruben Östlund mit der Kunstsatire "The Square" in die Goldene Palme, nun holt er in "Triangle of Sadness" noch weiter aus, versprüht seinen Spott über die Gesellschaft der Reichen und Schönen, deckt lustvoll Dekadenz und Klassengegensätze auf.


An einer großen Erzählung war der 48-jährige Schwede schon bisher nicht interessiert. Er entwickelt vielmehr in seinen Filmen eine Versuchsanordnung mit markanten Szenen, in denen er die Gesellschaft seziert. So gliedert sich auch "Triangle of Sadness" in einen Prolog und drei Kapitel, die jeweils durch die klassischen Einheiten von Ort, Zeit und Handlung gekennzeichnet sind.


Spott über die Model- und Modeszene versprüht Östlund schon, wenn er seinen Film mit einem Casting männlicher Models beginnen lässt. Unter den Männern mit nackten Oberkörpern ist auch Carl (Harris Dickinson), der seine besten Jahre schon hinter sich hat und dessen Sorgenfalten auf der Stirn – das titelgebende Triangle of Sadness – der Fotograf kritisiert: Schönheit ist das oberste Ziel, Makel müssen kaschiert werden.


Vorgestellt ist damit der Protagonist, der im ersten Kapitel mit seiner als Model und Influencerin erfolgreicheren Freundin Yaya (Charlbi Dean) in einem Restaurant über die Rechnung streitet. Wie in Östlunds "Höhere Gewalt" wird hier eine verunsicherte Männlichkeit präsentiert, die nicht damit zurecht kommt, dass die Frau erfolgreicher ist und mehr verdient. Benachteiligt fühlt sich dieser Carl, doch die Einladung zu einer Kreuzfahrt auf einer Luxusyacht, die Yaya für entsprechende Instagramfotos bezahlt wird, nimmt er gerne an.


Kernstück des Films ist der Abschnitt auf der Yacht. Markante Figuren wie einen russischen Oligarchen (Zlatko Burić) und dessen Gattin (Sunnyi Melles), eine Deutsche (Iris Berben), die seit einem Schlaganfall nur noch "In den Wolken" sagen kann, oder ein altes britisches Ehepaar, das mit der Produktion von Handgranaten reich wurde, kann Östlund hier präsentieren. Dazu kommt eine Glanzrolle für Woody Harrelson als marxistischer Kapitän, der sich lieber mit Alkohol in seiner Kabine einsperrt als sich seinen Reisegästen zu zeigen. Dem Captain´s Dinner kann er aber nicht entkommen.


In einer herrlichen Szene zeigt Östlund wie die Bordcrew auf ihre Arbeit vorbereitet wird: Ein "No" gibt es nicht, stets muss es heißen "Yes, Sir" und "Yes, Mam" und jeder Wunsch wird erfüllt. Wenn ein Gast Nutella zum Frühstück will, dann fliegt eben ein Hubschrauber drei Gläser ein, wenn die Oligarchengattin will, dass das Putzpersonal mal im Meer schwimmt, müssen die Reinigungskräfte zum Gaudium der Reisegesellschaft über eine Rutsche ins Meer springen. Und wenn ein Gast beklagt, dass die Segel schmutzig seien, obwohl die Yacht gar keine Segel hat, gibt der Kapitän nach erstem Widerspruch eben den Auftrag die nicht existenten Segel zu waschen.


Bissig ist Östlunds Blick und er stellt nicht nur die Dekadenz der Oberschicht bloß, sondern deckt auch Klassengegensätze auf, wenn der High-Society auf einer zweiten Ebene Bordcrew und auf einer dritten das Reinigungspersonal, das die Böden schrubbt, gegenübersteht.


Die Schieflage der Gesellschaft spiegelt sich in der zunehmenden Schieflage des Schiffes. Denn mit dem Captain´s Dinner setzt auch ein heftiger Seesturm ein. Östlund zelebriert wie Austern, Kaviar und Oktopus serviert werden, doch statt zur großen Schlemmerei kommt es aufgrund des Sturms zum großen Erbrechen. – Nicht jedermanns Sache dürften diese Szenen sein, die in ihrer Drastik an die Filme der Monty Pythons oder Marco Ferreris Klassiker "Das große Fressen erinnern. Der russische Oligarch und der Kapitän liefern sich dagegen ein Wortgefecht mit Zitaten von und zu Marx und Lenin.


Die Machtverhältnisse verschieben sich aber, als sich nach einer nur knapp angeschnittenen dramatischen Szene ein Teil der Schiffsbesatzung auf einer einsamen Insel wiederfindet. Da zeigt sich nämlich die dekadente Oberschicht als völlig lebensunfähig und angewiesen auf eine philippinische Toilettenfrau, die es auch hierher verschlagen hat. Mit ihrem Mehrwissen gewinnt sie auch Macht.


Witz und Biss entwickelt diese Satire, die in der glanzvollen visuellen Oberfläche (Kamera: Fredrik Wenzel) auch perfekt die glanzvolle Fassade der geschilderten Welt spiegelt, durch Östlunds Gespür für Überzeichnung von Szenen und markante Figurenzeichnung. Trefflich besetzt sind so nicht nur die beiden Protagonisten mit den Newcomern Harris Dickinson und dem südafrikanischen Model Charlbi Dean, das völlig überraschend im August im Alter von 32 Jahren starb, sondern auch die Nebenfiguren.


Herausragend ist vor allem Woody Harrelson als alkoholsüchtiger Kapitän, der jede Orientierung verloren hat, aber auch Iris Berben brilliert mit Zurückhaltung als praktisch sprachlose Deutsche, Sunnyi Melles als Oligarchengattin oder Zlatko Burić als russischer Oligarch.


So unterhaltsam "Triangle of Sadness" durch diese Figuren und die Fülle bissiger Szenen auch ist, so zeitgeistig ist er allerdings auch. Man blickt zwar in einen Abgrund, unterhält sich aber dennoch gut. Nicht zu Boden gedrückt wird man hier, denn man blickt aus einer sicheren Distanz auf diese Gesellschaft, durch die das Schicksal der Protagonist*innen nicht emotional bewegt, sondern darüber lachen lässt. – Offen ist aber, ob dieser Film, der heute so bestechend unsere Gesellschaft trifft und ihr den Spiegel vorhält, nicht auch sehr schnell altert.



Triangle of Sadness Schweden / Frankreich / Deutschland 2022 Regie: Ruben Östlund mit: Harris Dickinson, Charlbi Dean, Woody Harrelson, Vicki Berlin, Henrik Dorsin, Zlatko Burić, Jean-Christophe Folly, Iris Berben, Dolly De Leon, Sunnyi Melles Länge: 147 min.


Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems (Deutsche Fassung), Skino Schaan und Kinok St. Gallen (jeweils O.m.U.)


Trailer zu "Triangle of Sadness"



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