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  • AutorenbildWalter Gasperi

Treasure – Familie ist ein fremdes Land

Eine jüdischstämmige Amerikanerin will nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit ihrem Vater, der den Holocaust überlebt hat, die Orte seiner Kindheit und seiner Lagerhaft in Polen besuchen: Stark gespielt von Lena Dunham und Stephen Fry, findet Julia von Heinz´ Roadmovie leider selten den richtigen Ton und leidet auch an sterilen Innenszenen.


Mit "Und morgen die ganze Welt" (2020) gelang Julia von Heinz ein kraftvoller Film zur Frage nach den Grenzen im Kampf gegen Rechtsextremismus. Ungleich leiser ist nun der Ton ihrer Verfilmung des autobiographischen Romans "Zu viele Männer" (2001) der australisch-amerikanischen Schriftstellerin Lily Brett.


Aus Brett wird bei von Heinz die 36-jährige US-amerikanische Musikjournalistin Ruth (Lena Dunham). Diese will nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit ihrem Vater Edek (Stephen Fry), der in Polen aufwuchs und als einziger der Familie das KZ Auschwitz überlebte, die Orte seiner Kindheit besuchen, um Einblick in die Familiengeschichte zu gewinnen.


Ein Insert verankert die Handlung im Jahr 1991. Ganz auf die Reise konzentriert sich der Film, setzt mit der Ankunft am Warschauer Flughafen ein, an dem Ruth auf ihren Vater warten muss, da dieser den ursprünglich gebuchten Flug verpasst hat, und endet mit der gemeinsamen Abreise etwa eine Woche später. – Der Weg von Dissonanzen zur Gemeinsamkeit ist mit diesen Polen schon vorgezeichnet.


Während Edek sich offensichtlich nicht mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen will, schleppt Ruth einen ganzen Koffer mit Büchern zu Nationalsozialismus und Holocaust mit sich herum. Erscheint es zunächst als Marotte von Edek, dass er nicht mit dem günstigen Zug, sondern mit dem Taxi zum Hotel fahren will, so wird bald klar, dass das Trauma des Holocaust immer noch schwer auf ihm lastet und die polnischen Züge ihn an die Deportation ins KZ erinnern.


Während er dieses Trauma aber immer mit Scherzen überspielt, wirkt sie verbohrt, denn offensichtlich belastet sie auch die Scheidung von ihrem Ehemann Garth. Ziemlich verkorkst ist so ihre Beziehung und er hintertreibt immer wieder ihre Pläne.


Starkes Schauspielerkino bietet so "Treasure", denn zuzusehen, wie Lena Dunham und Stephen Fry sich aneinander reiben, sie genervt auf seine gespielte Lockerheit reagiert, er ihre Verbohrtheit zunehmend weniger erträgt, bereitet beträchtliches Vergnügen.


Zu diesem Duo stößt der Taxifahrer Stefan, den Edek für die ganze Woche engagiert. Dass dieser einen Mercedes fährt, stört den Mittsechziger nicht, denn er hasst zwar die Deutschen, schätzt aber deutsche Ingenieurskunst. So geht die Fahrt von Warschau nach Lodz, wo sie in Edeks Elternhaus auf die neuen Besitzer stoßen, denen Ruth Habseligkeiten der Familie wie eine Obstschale, ein Porzellan-Service und den Mantel ihres Großvaters abkauft, und weiter nach Krakau und Auschwitz-Birkenau.


Wie sie dabei der Bezeichnung Museum immer wieder die Titulierung als Vernichtungslager gegenüberstellt, so korrigiert auch Edek beim Besuch des Lagers die Führerin. Die Erinnerungen, die hier durchbrechen, lassen ihn endlich über seine Erfahrungen sprechen. Mit dieser Öffnung kommen sich aber auch Vater und Tochter wieder näher.


Kahle Bäume, Schneefall, dunkle und verwaschene Farben erzeugen eine frostige Stimmung, die durch die desolaten Häuser noch gesteigert wird. Atmosphärisch dicht ist diese Schilderung des postsozialistischen Polens, dessen Kälte auch mit der inneren Erstarrung der beiden Protagonist:innen korrespondiert.


Unglaublich steril und kulissenhaft wirken dagegen immer wieder Innenszenen in den diversen Hotels. Wie ein schlechter Fernsehfilm wirkt "Treasure – Familie ist ein fremdes Land" hier und selten trifft die Regisseurin auch den richtigen Ton.


Nicht zusammenpassen will, wie dieser Familienfilm einerseits warmherzig und leicht herüberkommen, andererseits aber von der lebenslangen Nachwirkung tiefsitzender Traumata erzählen will. Diese Unentschiedenheit betrifft auch den Blick auf die Armut im postsozialistischen Polen. Erschütterung müsste doch die Angst der bettelarmen Nachbesitzer von Edeks Elternhaus vor Vertreibung durch die Heimkehrer auslösen, hat hier aber eher komödiantische Züge.


So kommt "Treasure" einerseits nie über eine schon oft erzählte Geschichte über Trauma und dessen Bewältigung hinaus und bleibt andererseits auch in der Schilderung des postsozialistischen Polens im Klischee stecken, das für die Handlung reine Staffage bleibt.

 

 

Treasure – Familie ist ein fremdes Land

Deutschland / Frankreich / Polen / Ungarn /USA 2024

Regie: Julia von Heinz

mit: Lena Dunham, Stephen Fry, Zbigniew Zamachowski, André Hennicke, Tomasz Włosok

Länge: 112 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.



Trailer zu "Treasure - Familie ist ein fremdes Land"



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