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  • AutorenbildWalter Gasperi

Tod auf dem Nil


Nach "Mord im Orient Express" 2017 legt Kenneth Branagh eine weitere Agatha Christie-Verfilmung vor: Glanzvolle Besetzung, prächtige Bilder, aber doch sehr altbackene und espritlose Inszenierung.


Lange hat es bis zum Kinostart dieser Agatha Christie-Verfilmung gedauert: Zunächst sollte "Tod auf dem Nil" Ende 2019 anlaufen, dann wurde die Veröffentlichung auf Herbst 2020 verschoben, doch aufgrund der Corona-Pandemie konnte auch dieser Termin nicht gehalten werden. Herbst 2021 wurde ins Auge gefasst, doch immer noch oder wieder kam die Pandemie dazwischen. Erst am 10. Februar 2022, mehr als zwei Jahre nach dem ursprünglich angesetzten Termin, erfolgte aber nun endlich der weltweite Kinostart.


Mit einer in schwarzweiß gehaltenen Pre-Title-Sequenz, die während des Ersten Weltkriegs auf den belgischen Schlachtfeldern spielt, lässt Kenneth Branagh seine nach "Mord im Orient Express" zweite Agatha Christie-Verfilmung einsetzen. Dieser Auftakt dient nicht nur dazu, um schon einen Eindruck von Hercule Poirots (Kenneth Branagh) scharfem Verstand zu vermitteln, sondern mehr noch um Einblick in ein Trauma zu bieten, das der Meisterdetektiv nie überwinden wird. Menschlicher wird der arrogante Exzentriker durch diese Szene, macht sie doch bewusst, dass dahinter ein schwerer Verlust steckt. Aber auch sein mächtiger Schnurrbart bekommt in diesem Auftakt eine Backstory.


Mit einem Schnitt überspringt Branagh 20 Jahre, wechselt von Belgien nach London und gleichzeitig von Schwarzweiß zu Farbe. Im Nachtclub, den Poirot hier betritt, werden schon einige der Protagonisten vorgestellt, aber auch schon auf den Stil des Films eingestimmt. Prächtig ausgestattet ist die Szene, die kräftige Blues-Musik einer schwarzen Sängerin sorgt für Stimmung und gekonnt wird das Geschehen im Blick Poirots, der alles genau beobachtet, verankert.


Mit einem weiteren Schnitt überspringt der Film nochmals sechs Wochen und lässt die Haupthandlung in Ägypten einsetzen. Der hier urlaubende Poirot wird von der steinreichen Linnet (Gal Gadot), die in Ägypten mit einigen Bekannten ihre Hochzeit mit dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Simon (Armie Hammer) feiert, gebeten, sie zu beschützen. Das Paar fürchtet nämlich einen Anschlag von Simons früherer Geliebten Jacqueline (Emma Mackey), von der sie verfolgt werden. Um sich dieser zu entziehen, besteigt die Festgesellschaft einen Schaufelraddampfer. – Aber bald taucht Jacqueline auch hier auf.


Ziemlich genau eine Stunde lässt sich Branagh Zeit, bis ein Mord verübt wird. Ausführlich stellt er nicht nur das Paar und deren Widersacherin, sondern auch die Festgesellschaft mit dem Verwalter von Linnets Vermögen, ihrem Hausmädchen, aber auch ihrem Ex-Verlobten und weiteren Bekannten vor.


Die illustre Gruppe bietet Branagh dabei auch die Gelegenheit Standesdünkel, gesellschaftliches Gefälle und Arroganz der Oberschicht aufzudecken. Klar wird aber auch, dass hier jeder ein Motiv für einen Mord hat, denn eine reiche Frau hat - wie Linnet selbst erklärt – keine echten Freunde, aber viele Kriecher, die hinter ihrem Vermögen her sind.


Gleichzeitig bietet die Ägyptenreise aber auch die Gelegenheit in der – teilweise am Computer digital generierten teilweise im Studio nachgebauten – exotischen Kulisse zu schwelgen. Die Pyramiden von Gizeh werden ebenso prächtig ins Bild gerückt wie der Tempel von Abu Simbel oder die weite Nillandschaft. Böses deutet sich freilich schon an, wenn mit einer aggressiven Schlange, dem tödlichen Biss eines Krokodils oder einem Raubfisch kurze Schockmomente gesetzt werden.


Drücken dieser ersten Hälfte großartige Totalen den Stempel auf, so bestimmen den zweiten Teil Großaufnahmen und Dialog. Fast ganz auf das Schiff eingeengt wird "Tod auf dem Nil" mit dem Mord, wird zum Kammerspiel, bei dem Hercule Poirot in gewohnter Manier alle Verdächtigen verhört und schließlich mittels scharfsinniger Kombinationsgabe die Lösung präsentiert.


Das ist zwar durchgängig opulent bebildert und erstklassig besetzt, bietet aber kaum mehr als gediegenes Ausstattungskino, das insgesamt sehr altbacken und espritlos daherkommt. Vom Fintenreichtum und Pfiff des an Agatha Christie-Krimis angelehnten "Knives Out" ist hier leider nichts zu spüren.


Echte Spannung will trotz geschlossenem Raum und klar gefasstem Figurenensemble kaum aufkommen, da sich Branagh ganz auf die Frage des Whodunit konzentriert. Regieeinfälle sucht man – abgesehen von der einleitenden Weltkriegsszene – vergebens und nach den Schauwerten in der ersten Hälfte vertraut der Brite in der zweiten ganz auf die Stars. Die spielen zwar sichtlich mit Einsatz, aber um ihren Figuren Tiefe und Vielschichtigkeit zu verleihen, die echtes Interesse wecken könnte, wird ihnen zu wenig Raum gegeben.


Tod auf dem Nil USA 2022 Regie: Kenneth Branagh mit: Kenneth Branagh, Gal Gadot, Annette Bening, Armie Hammer, Rose Leslie Länge: 128 min.


Läuft derzeit in zahlreichen Kinos


Trailer zu "Tod auf dem Nil"




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