Corinna Belz fokussiert in ihrem Dokumentarfilm über den deutschen Künstler Thomas Schütte auf dem künstlerischen Schaffensprozess, der einerseits viel mit Handarbeit zu tun hat und bei dem andererseits auch die Mitarbeiter:innen Schüttes eine wichtige Rolle spielen.
Nach Dokumentarfilmen über Gerhard Richter ("Gerhard Richter Painting", 2011) und Peter Handke ("Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte", 2016) widmet sich Corinna Belz nun mit dem 1954 geborenen Bildhauer und Zeichner Thomas Schütte einem Meisterschüler Richters.
Mit einer Szene zu einem Grab-Kunstwerk, zu dem Schütte ein Friedhofsbesuch inspirierte, lässt Belz ihren Dokumentarfilm beginnen. Mit Skizzen von 1981 bis zur Fertigstellung 1996 wird schon der große Zeitrahmen vermittelt, den die Genese dieses Kunstwerkes in Anspruch nahm. Wie Schütte dabei locker auch über den Tod und die eigene Vergänglichkeit spricht, wenn er das Grab mit dem 16. 11. 1954 als seinem eigenen Geburtsdatum und dem fiktiven Sterbedatum 25. März 1996 versieht, das er nun doch schon 25 Jahre überlebt habe, nimmt von Anfang an für diesen Künstler ein. Sein trockener Humor trägt auch insgesamt zur Leichtigkeit bei, die "Thomas Schütte – Ich bin nicht allein" ausstrahlt.
Den realen und fiktiven biographischen Daten, mit denen hier gespielt wird, steht die Fokussierung des Films ganz auf das Hier und Jetzt gegenüber. Denn Belz interessiert sich nicht für eine Nachzeichnung des Lebens Schüttes wie beispielsweise Wim Wenders bei "Anselm – Das Rauschen der Zeit", sondern fokussiert auf seinem aktuellen Schaffen und seiner Arbeit an konkreten Kunstwerken.
Wie sehr dies mit physischer Arbeit zu tun hat, wie haptisch dies ist, wird spürbar, wenn Schütte ein Tongesicht bearbeitet. Ganz nah ist die Kamera von David Wesemann und Jule Katinka von Cramer dran, wenn er die Augen tiefer eindrückt, die Lider glatt streicht, die Augenbrauen verändert oder der Figur auch auf die Wangen schlägt. Diese körperliche Arbeit wird auch im Folgenden im Zentrum stehen, auch wenn Schütte selbst dabei vielfach nur Anweisungen gibt und seine Mitarbeiter:innen in der Atelierhalle in Düsseldorf aktiv werden müssen.
Mit einer monumentalen Mehrjungfrau, die bei einer Ausstellung in New York präsentiert werden soll, wird dabei auch ein Kunstwerk eingeführt, dessen Genese man die folgenden 90 Minuten begleiten kann, während ein kurzer Blick auf die Vorbereitung einer für 2024 geplanten Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) das Renommee Schüttes signalisiert.
Biographische Details fließen höchstens am Rande ein. Roter Faden des Films ist dagegen die Entwicklung dieser Meerjungfrau, die durch die Auffindung eines fast vergessenen kleinen Bronze-Rohlings in der Düsseldorfer Gießerei Kayser ausgelöst wird. Mit Sandstrahler muss diese Miniatur zunächst gereinigt werden, dann muss nach dieser Vorlage eine idente Kopie in Wachs geformt werden, ehe eine überlebensgroße Styroporstatue gefertigt und schließlich die Bronzestatue gegossen wird.
Zeit nimmt sich Belz, um zu vermitteln wie Schüttes Schaffen ganz entscheidend von den unterschiedlichen Materialien, mit denen er arbeitet, verbunden ist. Auch er selbst spricht darüber, dass Wachs sein Lieblingsmaterial sei, aber auch das schwierigste, weil es mal zu fest, dann wieder zu weich oder auch zu schmierig sei. Nicht nur das kleine Wachsmodell der Nixe bearbeitet er so mit seinen Fingern, sondern später auch kleine Tonköpfe.
Immer wieder wird so modelliert, wird zersägt oder zusammengefügt, bemalt, gefeilt und geschliffen, ausgebessert und schließlich in Bronze gegossen und die einzelnen Teile wieder verschweißt. Eindrücklich vermittelt Belz, die Schütte für diesen Film fast zweieinhalb Jahre mit einem kleinen Team begleitete, welche zentrale Rolle die Arbeit mit den Händen im künstlerischen Schaffen spielt, aber auch die Bedeutung der Mitarbeiter:innen.
Weil er eben - dem Titel entsprechend - nicht allein ist, sondern immer auf Zusammenarbeit angewiesen ist, lässt Belz auch seine Mitarbeiter:innen, einen Galeristen und Kurator:innen zu Wort kommen. Diese betonen nicht nur, wie überlegt Schütte arbeite, sondern weisen auch auf die zentrale Bedeutung des Menschen, vor allem des Kopfes in seinem Schaffen hin. Sichtbar wird das, wenn andere Kunstwerke kurz angeschnitten werden, wie "Der Mann im Matsch", dem weitere Werke, die sich zu einer Serie fügten, folgten.
Geschickt schließt Belz den Kreis zur Grabesszene am Anfang, wenn am Ende mit der Produktion einer Urne wieder Gedanken an den Tod aufkommen. Gleichzeitig wird dem monumentalen Grabmal am Beginn damit aber auch ein kleines Gefäß gegenübergestellt und mit Glas ein weiterer Werkstoff ins Spiel gebracht. Analog zur Szene im MoMa am Beginn, wird dabei auch wieder Schüttes internationales Ansehen spürbar, wenn er in einer Glaswerkstatt in Murano überschwänglich als "Maestro" begrüßt wird.
Wenig erfährt man so über das Leben Schüttes, dafür umso mehr über seine Arbeitsweise, denn mit geduldigem Blick folgt Belz ihm, lässt ihm und den einzelnen Arbeitsprozessen Raum und intensiviert die Szenen auch mit der ebenso zurückhaltenden wie treffenden Musik des Duos Christoph M. Kaiser und Julian Maas. So fügt sich "Thomas Schütte – Ich bin nicht allein" durch den runden und überlegten Aufbau, ebenso wie durch die flüssige Montage von Rudi Heinen zu einem ebenso kurzweiligen wie aufschlussreichen Einblick ins künstlerische Schaffen, hinter dem freilich auch wieder eine sehr strukturierte, mit Präzision und Ausdauer arbeitende Persönlichkeit sichtbar wird.
Thomas Schütte – Ich bin nicht allein Deutschland 2023 Regie: Corinna Belz Dokumentarfilm Länge: 94 min.
Spielboden Dornbirn: Fr 12.1., 19.30 Uhr
Trailer zu "Thomas Schütte - Ich bin nicht allein"
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