Matt Damon fordert als Ritter, dessen Frau vergewaltigt wurde, Adam Driver zum Duell. – Ridley Scotts Historienfilm spielt im Frankreich des späten 14. Jahrhunderts, doch die aktuellen Bezüge zu #MeToo sind unübersehbar und werden durch Perspektivenwechsel treffend verstärkt.
84 Jahre alt ist Ridley Scott, doch von Altersmüdigkeit ist nichts zu spüren. Selten erlebt man es wohl, dass im Kino als Vorschau ein Film angekündigt wird – in diesem Fall "The House of Gucci" -, der vom gleichen Regisseur stammt wie der, den man sogleich sehen wird. Die Verschiebungen aufgrund von Corona haben zwar zu dieser raschen Abfolge von zwei Filmen Scotts geführt, doch unglaublich produktiv war der Brite immer schon und hat in den letzten Jahrzehnten fast jedes Jahr einen neuen Film ins Kino gebracht.
Wie die Summe seines Schaffens wirkt nun die Verfilmung von Eric Jagers 2004 erschienenem Buch "The Last Duel: A True Story of Trial by Combat in Medieval France", denn auf Schritt und Tritt finden sich Parallelen zu früheren Filmen. So erinnert der Titel an Scotts Debüt "Die Duellisten" (1977), in dem nach einer Erzählung von Joseph Conrad von zwei Soldaten erzählt wird, die sich zur Zeit Napoleons mehrfach duellieren. Das mittelalterliche Setting knüpft wiederum an den Kreuzfahrerfilm "Königreich der Himmel" (2005) und "Robin Hood" (2010) an, während eine starke Frau mit Sigourney Weavers Ripley im Zentrum des Klassikers "Alien" (1979) stand und weibliche Selbstermächtigung gegen eine machistische Männerwelt Thema des Roadmovies "Thelma und Louise" (1991) war.
Durch Gerichtsakten historisch verbürgt ist die Geschichte vom letzten gerichtlich genehmigten Ritterduell Frankreichs am 29. Dezember 1386 und mit den Vorbereitungen zu diesem Duell lässt Scott auch seinen Historienfilm einsetzen. Frauen- und Männerwelt prallen hier schon in den ersten Bildern aufeinander, wenn Marguerite (Jodie Comer) mit einem noblen Frauengewand eingekleidet wird, während ihrem Mann Jean de Carrouges (Matt Damon) Kettenhemd und Rüstung angelegt werden: Auf der einen Seite stehen damit Kultiviertheit und Feinsinnigkeit, auf der anderen rohe Gewalt.
Mit Beginn des Duells bricht der Film aber ab und erzählt in drei Kapiteln aus der Perspektive Jeans, seines ehemaligen Freundes und jetzigen Feindes Jacques le Gris (Adam Driver) und Marguerites die Geschichte, die zu diesem Duell führte. Wie in Akira Kurosawas Meisterwerk "Rashomon" wird jeweils behauptet, dass jeder seine Wahrheit erzählt, bei der Version von Marguerite wird dies aber durch ein zusätzliches, personenunabhängiges Insert "Die Wahrheit" unterstrichen.
Nicht wie bei Kurosawa um die schwierige oder unmögliche Wahrheitssuche geht es somit, sondern vielmehr darum, der männlichen Perspektive eine im Ritterfilm sonst kaum berücksichtigte weiblichen Sicht gegenüberzustellen. Durch kleinere und größere Überschneidungen verzahnt dabei das starke Drehbuch von Ben Affleck, Matt Damon und Nicole Holofcener die drei Versionen der Ereignisse. Gleichzeitig weitet sich mit den unterschiedlichen Perspektiven und der daraus resultierenden unterschiedlichen Wertung von Details das Bild und die Charaktere gewinnen an Vielschichtigkeit.
Da steht auf der einen Seite der starrsinnige und rohe Jean, der immer wieder in den Krieg zieht und für den Ehre ein zentraler Begriff ist, der aber seiner Frau Marguerite gegenüber kaum zu Gefühlen fähig ist. Jacques le Gris vermag dagegen Marguerite mit seiner Bildung durchaus beeindrucken, ist smart und gutaussehend, glaubt aber sich über ein "Nein" einer Frau hinwegsetzen zu können.
Marguerite wiederum ist zunächst nur Spielball der Männer und für ihren verarmten Gatten nur dazu da, um eine fette Mitgift in die Ehe zu bringen und ihm einen Erben zu gebären. Erst während der Abwesenheit ihres Mannes kann sie selbstständig agieren und blüht langsam auf, doch die Anklage gegen den Vergewaltiger kann sie nur über ihren Mann erheben. Wie vor der #MeToo-Bewegung Frauen sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen verschwiegen, so akzeptieren auch hier andere Frauen wie Marguerites Schwiegermutter stillschweigend die Übergriffe und die Macht der Männer, nicht einmal von ihrer Freundin erhält sie bei ihrer Anklage Unterstützung.
Massenszenen und blutige Schlachten fehlen nicht, doch Scott hält diese, bei denen er mit Brandpfeilen bei einem Kampf in Schottland auch die Germanenschlacht am Beginn von "Gladiator" zu zitieren scheint, kurz und fokussiert auf den Charakteren, ihren Beziehungen und der Evokation dieser patriarchalen und düsteren Welt. Kein Bild der Wärme gibt es hier (Kamera: Dariusz Wolski), in kalte Grautöne sind die vielfach winterlich verschneiten Außenszenen getaucht und auch bei den Innenszenen breitet sich trotz Kaminfeuer aufgrund der hohen und kahlen Steinmauern ein Gefühl der Kälte und des Unbehagens aus. – Nur das Schlussbild, in dem Männer freilich fehlen, strahlt Glück und Wärme aus und kündet von der Möglichkeit einer anderen Welt.
Scott bezieht klar Stellung für die Frau und rechnet mit der Männerwelt ab, forciert dabei aber nie die aktuellen Bezüge, sondern ganz selbstverständlich stellen sich diese aus der historischen Geschichte heraus ein. Das bewahrt "The Last Duel", der nach David Lowerys ganz anders gelagertem, aber ebenfalls grandiosem "The Green Knight" der zweite große Ritterfilm in diesem Jahr ist, auch davor ein zeitgeistiger Film zu sein, sorgt dafür, dass er zeitlos bleiben und nicht so schnell altern wird.
Souverän wird dabei im Finale der Kreis zum Anfang geschlossen und nach Gerichts- und Dialogszenen kann Scott beim langen und brutalen Duell, das wiederum an die Konfrontationen in der Arena im "Gladiator" anzuknüpfen scheint, beweisen, wie meisterhaft und packend er auch solche Szenen inszenieren kann.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems und im Kino Bludenz.
Trailer zu "The Last Duel"
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