Viggo Mortensen erzählt in seinem unaufgeregten und bildschönen Western nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern zeichnet mit einer großartigen Vicky Krieps in der Hauptrolle auch das Porträt einer starken und unabhängigen Frau.
Große Frauenrollen gibt es im klassischen Western nur wenige. Joan Crawford in Nicholas Rays "Johnny Guitar" (1954) und Barbara Stanwyck in Sam Fullers "Forty Guns" (1957) sind hier die berühmtesten Ausnahmen. Viggo Mortensen, der nicht nur für Regie und Drehbuch verantwortlich zeichnet, sondern auch die Filmmusik komponierte und als Koproduzent fungierte, nimmt sich in seiner zweiten Regiearbeit, die er seiner Mutter gewidmet hat, aber zurück und überlässt den Raum vor allem Vicky Krieps.
Klassisch setzt "The Dead Don´t Hurt", der um 1860 in Nevada spielt, zwar mit einem Farmer (Viggo Mortensen) und seinem abgeschiedenen Hof, einer Schießerei in der nahen Stadt und der Hinrichtung eines Unschuldigen ein, doch mit Träumen und Rückblenden, mit denen Mortensen schon ausgiebig in seinem Regiedebüt "Falling" arbeitete, wird hier von Anfang an ein ungewohnter Ton angeschlagen.
Unklar bleibt bei diesem Auftakt vieles und erst lange Rückblenden, die einsetzen, als der aus Dänemark eingewanderte Farmer Olsen (Viggo Mortensen) mit seinem kleinen Sohn Vincent nach dem Tod seiner frankokanadischen Frau Vivienne (Vicky Krieps) die Farm verlässt, bringen langsam Klarheit in die Ereignisse.
In kurzen Szenen bietet Mortensen Einblick in Viviennes Kindheit und führt unaufdringlich den Erzählstrang um Olsen und den um Vivienne in San Francisco zusammen. Auch wenn dabei mit großen Ellipsen gearbeitet wird, wird der Erzählrhythmus nie hektisch, sondern bleibt immer ruhig und entspannt. Dazu tragen wesentlich auch Mortensens Musik und die lichtdurchfluteten, in sommerlich warme Farben getauchten Landschaftstotalen von Kameramann Marcel Zyskind bei.
Im Zentrum steht die Beziehung zwischen den beiden Protagonist:innen, die beide ihre Unabhängigkeit bewahren und sich nicht vom anderen einengen lassen wollen. So wird auch Olsen gegen den Willen Viviennes auf Seiten der Nordstaaten in den Bürgerkrieg ziehen und sie allein auf der abgeschiedenen Farm zurücklassen. Er selbst verschwindet damit für lange Zeit aus dem Film und der Fokus liegt ganz auf Vivienne.
Großartig vermittelt Krieps einerseits die Zartheit dieser Frau, andererseits aber auch ihre Unbeugsamkeit und Entschlossenheit. Sie ist das Zentrum des Films, trägt ihn mit ihren Blicken und Gesten. Da mag sie nach einer brutalen Erfahrung auch einmal knapp vor dem Aufgeben stehen, so wird sie sich dann doch entschließen, zu bleiben und dieser Männergesellschaft die Stirn zu bieten. Im Gegensatz zu den (wenigen) starken Frauen im klassischen Western wird sie dabei aber nie zur Waffe oder sonstiger Gewalt greifen.
Was sie in den Erzählungen der Mutter über Jeanne d´Arc erfuhr und was sie in Begegnungen mit einem Ritter träumt, hat sie geprägt und verinnerlicht. Indem sie nie Opfer sein will, sondern immer die Zügel in der Hand behalten und selbst entscheiden will, kann man in dieser Vivienne eine zeitlose Figur und Vorbild auch für heutige Frauen sehen.
Kommt mit der Rückkehr Olsens, den Mortensen zurückhaltend und mit viel Gefühl spielt, wieder die Liebesgeschichte ins Spiel, so wird der Film in der nach Viviennes Tod spielenden Gegenwartshandlung zunehmend auch bewegend eine Vater-Sohn-Geschichte erzählen.
Der Fokus liegt so ganz auf diesen intimen Beziehungen, die bruchlos in die von klassischen Genreelementen bestimmte Western-Welt eingebettet werden. Viel Melancholie strahlt "The Dead Don´t Hurt" in seiner langsamen Erzählweise zwar aus, dennoch geht es, untrennbar mit der Handlung verknüpft, auch um einen korrupten Bürgermeister, um einen gierigen Großgrundbesitzer, um Kapitalismus und um männliche Gewalt und Saloon-Szenen fehlen so wenig wie ein klassischer Showdown.
Man spürt in jeder Szene Mortensens Liebe zum klassischen Western, gleichzeitig revidiert er diesen. Er teilt der Männerherrschaft und deren Gewalt und Gier eine entschiedene Absage, vermittelt den Terror, den ein Revolverheld im Saloon gegenüber den Schwächeren wie dem Barbesitzer und dem Klavierspieler ausübt, und feiert mit Vivienne eine Frau, die sich ihre Unabhängigkeit nicht nehmen lässt und mit ihrer Unbeugsamkeit die Männer verstört.
The Dead Don´t Hurt
USA / Mexiko 2024
Regie: Viggo Mortensen
mit: Vicky Krieps, Viggo Mortensen, Solly McLeod, Danny Huston, Garret Dillahunt
Länge: 129 min.
Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos, z.B. im Metrokino Bregenz.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do 3.10., 20 Uhr (O.m.U.)
Trailer zu "The Dead Don´t Hurt"
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