Ali Asgari und Alireza Khatami rechnen in neun Episoden in spartanischer Form satirisch mit den Reglementierungen des iranischen Regimes ab, die das Leben des Individuums in allen Bereichen beschränken.
Den Titel kann man als Anspielung auf Salman Rushdies Roman "Die satanischen Verse "sehen, aufgrund dessen die islamische Geistlichkeit zur Ermordung des britischen Autors aufrief und ihn in Abwesenheit zum Tod verurteilte. Andererseits ist der Titel eine Hommage an das gleichnamige Gedicht der Dichterin und Filmemacherin Forugh Farrochzad (1935 – 1967), die als bedeutende Vertreterin der iranischen Moderne gilt.
Der Fokus dieser Satire von Ali Asgari, dem schon mit "Until Tomorrow" ein starkes Sozialdrama gelang, und Alireza Khatami liegt ganz auf den Drangsalierungen und Schikanen der iranischen Bürger:innen durch Beamt:innen und Vorgesetzte im alltäglichen Leben.
Auf das Insert "Teheran" folgt so eine Totale der nächtlichen Metropole, in der langsam mit Lichtwechsel und dem Ruf des Muezzims zum Gebet der Tag Einzug hält. In neun Episoden, die jeweils in einer einzigen mehrminütigen, statischen Halbtotalen gefilmt sind, führt das Regie-Duo Begegnungen von Bürger:innen mit Behörden oder auch mit Firmenchefs vor, die nicht nur die Willkür der Mächtigen, sondern auch deren Heuchelei und Sadismus plastisch vor Augen führen.
Die Beamt:innenen kommen dabei nie ins Bild, nur ihre bohrenden Fragen sind aus dem Off zu hören. Der Fokus liegt ganz auf den Bürger:innen und durch die reduzierte filmische Form auf dem Dialog. Von der Geburt bis zum Tod spannt sich dabei der Bogen des Films, wenn am Beginn ein Disput zwischen einem Beamten des Einwohneramts und einem Mann steht, der für seinen Sohn den Namen David eintragen lassen will, und am Ende ein alter Mann in einem Büro zu sehen ist, das langsam von einem Erdbeben erschüttert wird.
Wie hoffnungslos das Individuum der Bürokratie ausgeliefert ist, zeigt sich dabei schon in der ersten Szene, wenn der Kindsvater mit vielen Argumenten die Zustimmung für den Namen David erlangen will. Doch der Beamte geht darauf nicht ein und schmettert den Antrag mit dem Hinweis ab, dass David kein iranischer Name und daher nicht zulässig sei.
In Kontrast zum ausgelassenen Tanz eines rothaarigen Mädchens und ihres bunten T-Shirts steht der graue oder blaue Schleier, den sie bei einer Schulfeier tragen soll, und ein Mann der seinen Führerschein abholen will, wird nicht nur über seine Tattoos befragt, sondern muss diese auch zeigen, sodass er schließlich halbnackt im Büro steht.
Nicht nur Sturheit wird hier sichtbar, sondern auch eine Lust die Machtposition auszunützen und andere zu schikanieren oder aber auch Voyeurismus, wenn ein Unternehmer in einem Bewerbungsgespräch mit einer jungen Frau zunehmend private und übergriffige Fragen stellt.
Eine Schülerin wiederum muss sich vor der Direktorin rechtfertigen, weil diese von einem jungen Mann mit dem Motorrad zur Schule gefahren worden sei. Die Direktorin stützt sich dabei aber auf die Aussage des Schulwarts, der nach Aussage der Schülerin nahezu blind ist.
Wie leicht die Situation aber auch kippen kann, wird deutlich, wenn die Schülerin der Direktorin erklärt, dass sie ein Handy-Video mit ihr habe, dessen Veröffentlichung ihr kaum Freude bereiten dürfte.
So beklemmend die Gespräche – oder vielmehr doch Verhöre – teilweise auch sind, so sehr entwickeln sie sich teilweise auch ins Absurde. Da bestreitet beispielsweise eine junge Taxifahrerin nicht nur entschieden, ohne Schleier gefahren zu sein, sondern wirft angesichts des Videos nicht nur Fragen nach Überwachung, sondern auch die Gegenfrage auf, ob denn ein Taxi nicht ein privater Raum sei, in dem man keinen Schleier tragen müsse. Zwangsläufig führt die Antwort, dass das Taxi aufgrund der Fenster kein privater Raum sei, zur Gegenfrage, ob denn nun auch eine Wohnung kein Privatraum sei und man folglich auch zuhause einen Schleier tragen müsse.
Nicht fehlen darf auch ein Gespräch vor einem Beamten der Kulturkommission, der einem Regisseur die Dreherlaubnis verweigert hat. Nur geringe Änderungen im Drehbuch fordere er, doch schließlich muss der Regisseur nahezu alle Seiten herausreißen. Doch auch hier verstrickt sich der Beamte in Widersprüche, wenn er den Regisseur auffordert, statt einer persönlichen Geschichte doch eine Episode aus dem Koran zu verfilmen. Als dieser dann die Geschichte von Josef vorschlägt, ist der Beamte alles andere als erfreut, geht es darin doch um Verführung und Ehebruch.
So verdichtet sich "Irdische Verse" in der Abfolge der einzelnen Episoden, die durch Schwarzfilm getrennt sind und zwischen denen es keine Verbindungen gibt, zu einem vielschichtigen Porträt der radikalen Einschränkung der Freiheit und der gezielten Überwachung des Individuums.
Gerade die formale Kargheit und die Anonymisierung der Täter, die ins visuelle Off verbannt werden, erhöht dabei die beklemmende Wirkung und das Gefühl ohnmächtig den Mächtigen und ihrer Willkür ausgeliefert zu sein. Denn weniger nach konkreten Vorgaben als vielmehr nach Lust und Laune scheinen hier die Bürger:innen schikaniert und drangsaliert zu werden. – Welche Wut sich hier ansammelt, wird im Nachspann spürbar, in dem sich die unterdrückten Gefühle mit harter Rockmusik quasi entladen.
Terrestrial Verses – Irdische Verse Iran 2023 Regie: Ali Asgari und Alireza Khatami mit: Bahram Ark, Sadaf Asgari, Ardeshir Kazemi, Gohar Kheirandish, Farzin Mohades, Faezeh Rad, Majid Salehi, Arghavan Shabani Länge: 77 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Terrestrial Verses - Irdische Verse"
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