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Primadonna – Das Mädchen von morgen

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 10. Juli
  • 3 Min. Lesezeit
"Primadonna - Das Mädchen von morgen": Packendes Drama über den Widerstand einer Sizilianerin gegen eine frauenverachtende Tradition
"Primadonna - Das Mädchen von morgen": Packendes Drama über den Widerstand einer Sizilianerin gegen eine frauenverachtende Tradition

Im Sizilien der 1960er Jahre herrscht noch die archaische Tradition, dass Männer Frauen nach einer Vergewaltigung heiraten und mit dieser "Wiedergutmachungsehe" die Ehre ihrer Opfer wiederherstellen. Doch eine junge Frau wehrt sich, verweigert die Ehe und zeigt den Vergewaltiger an: Marta Savina gelang mit ihrem Langfilmdebüt eine konventionell inszenierte und wenig differenzierte, aber emotional wirkungsvolle Emanzipationsgeschichte.


Bis 1981 war im italienischen Strafrecht die "matrimonio riparatore" oder "Wiedergutmachungsehe" verankert. Nach dieser archaischen Tradition konnte ein Vergewaltiger nicht bestraft werden, wenn das Opfer mit ihm nach der Tat eine Ehe einging, um die verlorene Ehre wiederherzustellen.


Im Dezember 1965 widerfuhr der 17-jährigen Franca Viola eine solche Vergewaltigung, doch dem anschließenden Drängen des Vergewaltigers nach einer Heirat gab sie nicht nach, sondern sie zeigte ihren Peiniger an.


Aus Franca Viola, deren Fall Damiano Damiani schon 1970 in "Die schönste Frau – Recht und Leidenschaft" mit der jungen Ornella Muti in der Hauptrolle aufarbeitete, wird im Spielfilmdebüt der 1986 in Florenz geborenen, aber in Sizilien aufgewachsenen Marta Savina die 21-jährige Bauerstochter Lia (Claudia Gusmano). Dass die junge Frau einen eigenen Willen hat, wird schon klar, wenn sie das Kopftuch auf Drängen der Mutter beim Verlassen des Hauses zwar trägt, dann aber gleich abnimmt und einen Geldschein zwar der Marienstatue spendet, im Gegenzug aber zwei andere angeheftete Scheine mitnimmt.


Durchaus sympathisch war ihr der aus reicher – mafiöser? - Familie stammende Lorenzo Musicó (Dario Aita) einst. Doch als er nach seiner Rückkehr aus Deutschland seinen machistisch-patriarchalen Charakter offenbart, wendet Lia sich von ihm ab. Lorenzo nimmt diese Zurückweisung aber nicht hin, entführt mit mehreren Freunden Lia, vergewaltigt sie und drängt sie anschließend zur Heirat. Doch Lia weigert sich nicht nur die Ehepapiere zu unterschreiben, sondern zeigt Lorenzo sogar wegen Vergewaltigung an.


Im Stil eines klassischen Gerichtsdramas erzählt Savina so geradlinig und konventionell die Geschichte eines Female Empowerments. Mit dynamischer Handkamera versetzt sie zusammen mit Kamerafrau Francesca Amitrano einerseits mehrfach in die Perspektive Lias, lässt andererseits in langen statischen und distanzierten Einstellungen immer wieder den Figuren Raum und Zeit, um Positionen auszudiskutieren.


So wenig differenziert und plastisch allerdings die markanten gesellschaftlichen Gegensätze herausgearbeitet werden und vor allem die Familie Leonardos kein Profil gewinnt, so sehr auf Typen reduziert, bleiben abgesehen von der von Claudia Gusmano gerade durch ihre Zurückhaltung instensiv gespielten Protagonistin und ihrem homosexuellen Anwalt (Francesco Colella), der offensichtlich wegen seiner sexuellen Orientierung in der traditionellen Gesellschaft ein Außenseiter ist und beruflich degradiert wurde, die Figuren.


Schwarzweißmalerei dominiert, wenn der guten Bauernfamilie die arrogante Gruppe um Leonardo gegenübersteht, die sich den besten Anwalt der Region ebenso wie den Priester kauft und mit ihren Handlangern mit Anschlägen Lia und ihre Familie einschüchtern will. Dem fiesen Priester wiederum, der Lia, die nach seinen Moralvorstellungen entehrt ist, den Zutritt zur Messe verweigert, steht wiederum eine ehrbare Prostituierte gegenüber, die wie der Anwalt als Außenseiterin Partei für Lia ergreift.


Plakativ bleibt so "Primadonna" entwickelt aber durch die Arbeit mit starken Gegensätzen und klare Parteinahme für das scheinbar auf verlorenem Posten stehende Opfer doch große emotionale Kraft. Gekonnt baut Savina so Wut gegenüber männlicher Gewalt und archaischen Gesetzen auf und feiert den Widerstandswillen der Protagonistin.


Eindrücklich vermittelt die Debütantin auch, wie schwer es Lia fällt, beim öffentlichen Prozess über ihre Vergewaltigung zu erzählen und wie lange es braucht, bis sie sich durchringen kann, ihr Schweigen zu brechen. Da mag sie am Schluss auch den Sieg davontragen, doch gebrochen ist dieses Happy End. Die Verurteilung der Täter scheint nämlich kein Umdenken in der sizilianischen Gesellschaft einzuleiten, sondern vielmehr scheinen Lia und ihre Familie für ihren Widerstand nun geächtet zu sein, sodass ihre Zukunft nur im Verlassen der Insel liegen konnte.


Mit einem Nachspanninsert wird auch nicht verheimlicht, dass dieser Widerstand und Sieg weitgehend ein Einzelfall blieb und Lia bzw. die dieser Figur zugrunde liegende Franca Viola eine "Primadonna"- eine erste Frau und Vorkämpferin - war: 16 Jahre sollte es nämlich noch dauern, bis das Gesetz geändert und die "matrimonio riparatore" zur Straftat erklärt wurde.



Primadonna – Das Mädchen von morgen

Italien 2023

Regie: Marta Savina

mit: Claudia Gusmano, Fabrizio Ferracane, Francesco Colella, Manuela Ventura, Dario Aita

Länge: 102 min.



Läuft derzeit in den österreichischen Kinos. TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Do 10.7., 18.15 Uhr + Fr 11.7., Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mi 29.10., 20 Uhr + Mo 3.11., 18 Uhr



Trailer zu "Primadonna - Das Mädchen von morgen"

 

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