top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

Streaming: Messer im Herz


Im Paris der späten 1970er Jahre fallen mehrere Darsteller von Schwulenpornos einem Serienkiller zum Opfer. – Yann Gonzalez´ bildstarker zweiter Spielfilm ist gleichzeitig Hommage an das Giallo-Genre und die frühen Filme Brian De Palmas sowie Liebeserklärung an die Pornofilmszene dieser Zeit. Das rauschhafte Kinoerlebnis kann in der Edition Salzgeber gestreamt werden.


Schon die ersten rund acht Minuten, in denen kein Wort fällt, überlässt Yann Gonzalez den Zuschauer ganz dem Rausch der Bilder und verknüpft mehrere Ebenen: Während eine unsichtbar bleibende Person einen alten 16-mm-Film sichtet, in dem sich zwei junge Männer auf einer Wiese küssen und dabei von einem dritten Mann aus dem Wald heraus beobachtet werden, streift ein anderer junger Mann durch eine Schwulendisco. Dabei stehen nicht nur dem grobkörnigen Film-im-Film die gestochen scharfen Cinemascopebilder der eigentlichen Filmhandlung gegenüber, sondern auch eine lichtdurchflutete Sommerszene auf dem Land den kalten Blautönen in der Disco.


Fasziniert folgt der junge Mann einem schwarz maskierten Discobesucher. Was anfänglich auf lustvollen Sex hinauszulaufen scheint, entpuppt sich aber bald als bestialische Mordszene, wenn aus dem Dildo des Maskierten eine scharfe Klinge springt, mit der der junge Mann grausam erstochen wird.


Wie es in der Film-im-Film-Szene ums Sehen und um Voyeurismus geht, so sind auch in der Discoszene Blicke zunächst zentral, stellen den Kontakt her und setzen die Handlung in Gang. Gleichzeitig leidet aber die Pornofilm-Produzentin und Regisseurin Anne (Vanessa Paradis) schwer darunter, dass ihre Cutterin Lois, mit der sie zehn Jahre liiert war, sie nicht mehr sehen will. Aber es geht natürlich auch um den Zuschauer als Voyeur, dessen Schaulust sowohl stimuliert als auch befriedigt wird.


Daneben fließen aber auch Filmrealität und Film-im Film ineinander, wenn Anne die Mordserie, bei der noch weitere Mitglieder ihres Teams dem mysteriösen Killer zum Opfer fallen werden, in ihr neues Filmprojekt einarbeitet. Nicht nur Film-im-Film-Szenen mischen sich aber so in die Handlung, sondern auch schwarzweiße und negativ kopierte Visionen oder Träume Annes, in denen sich zwei Jugendliche küssen und eine Scheune in Flammen aufgeht.


Wie beim Giallo-Genre und den frühen Filmen Brian De Palmas wie "Dressed to Kill" sind die Form und das visuelle Erlebnis Gonzalez wichtiger als eine komplexe Handlung. Intensiv erweckt der Franzose dieses Genrekino durch perfektes Spiel mit Licht, starken Farbakzenten wie leuchtend roten Stiefeln oder Lichtpunkten, Mänteln aus Lackleder und dem Wechsel der verschiedenen visuellen Ebenen zum Leben. Auch mit dem maskierten Mörder und dem Messer, dessen phallischer Charakter hier noch durch den Dildo verstärkt wird, nimmt er Bezug auf diese Vorbilder, deutlich expliziter werden aber das schwule Milieu und Sexszenen ins Bild gerückt und ein lustvolles, von Tabus und gesellschaftlichen Konventionen befreites Leben gefeiert.


Beinahe ganz in der schwulen Filmszene, in der die Utopie der Gleichheit und völliger Harmonie verwirklicht scheint, bleibt "Messer im Herz", bis Anne selbst zu recherchieren beginnt, da die Polizei sich für die Mordserie kaum interessiert. Mit einem bei jedem Mord auftauchenden schwarzen Vogel und einer Reise zu einem mysteriösen Friedhof auf dem Land kommen auch Horror- und Märchenmotive ins Spiel. Aber auch an die Homophobie auf dem Land, die in Kontrast zum lustvollen Ausleben der (Homo)sexualität im Pariser Filmteam steht, wird erinnert.


Sicherlich nicht jedermanns Geschmack ist diese exaltierte Kinofantasie, die nicht nur durch den Schauspieler Bertrand Mandico auch an dessen "The Wild Boys" erinnert, demonstriert aber eindrücklich, welchen suggestiven Sog ein Film entwickeln kann, wenn der Regisseur und sein Team auf die Realität pfeifen und ganz auf die visuelle und akustische Gestaltung vertrauen.



Trailer zu "Messer im Herz



bottom of page