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  • AutorenbildWalter Gasperi

The Wild Boys - Les garcons sauvages


Fünf straffällige Teenager werden zur Erziehung einem strengen Kapitän übergeben, der sie auf eine Schifffahrt mitnimmt und auf eine Insel bringt. - Was nach Abenteuerfilm klingt, wird in Bertrand Mandicos wild wuchernder Bildfantasie zu einem mehr traumhaften als realistischen Trip. – Bei Bildstörung ist der ausgesprochen eigenwillige Film in einem Mediabook auf Blu-ray erschienen.


Mehrere Kurzfilme hat der 1971 geborene Franzose Bertrand Mandico bislang gedreht. Vier davon finden sich auf der zweiten Blu-ray des Mediabook, die schon auf den eigenwilligen Stil und die Bildfantasie Mandicos einstimmen. Denn auch in seinem ersten langen Spielfilm hat er sich nicht gemäßigt, sondern durchbricht hemmungslos filmische Konventionen.


William S. Burroughs’ 1971 erschienener Roman „The Wild Boys: A Book of the Dead” hält zwar für den Titel her und diente Mandico als Inspirationsquelle, doch während die Handlung beim amerikanischen Autor in der Zukunft spielt, siedelt Mandico seinen auf Super16-Material gedrehten Film Anfang des 20. Jahrhunderts an.


Auf den irrlichternen, traumhaften Charakter stimmt schon die Auftaktszene mit ihren kontrastreichen Schwarzweißbildern ein. Ein Junge trinkt hier an einem Strand an einem Lagerfeuer, bis er den Kopf mit voller Wucht gegen einen Felsblock schlägt und zu Boden fällt. Matrosen finden ihn, verarzten ihn aber nicht, sondern fallen über ihn her.


Begleitet von einer nicht verortbaren Off-Erzählerin setzt die Haupthandlung mit der Schilderung der grausamen Vergewaltigung und Ermordung einer Lehrerin durch fünf Schüler ein. Ein Prozess folgt und ihre Eltern übergeben ihre Söhne anschließend zur Erziehung einem harten Kapitän, der auf seinem Schiff keine Literatur duldet und die Teenager an Seilen festbindet.


Der Kapitän bringt die Jungs auf eine wild wuchernde Insel, auf der sie langsame eine geschlechtliche Umwandlung erleben, die offensichtlich eine Doktorin, die selbst einst männlich war, durch eine Frucht einleitete. So wachsen diesen Jugendlichen, die alle von Frauen gespielt werden, nicht nur Brüste, sondern auch der Penis fällt ihnen ab.


So fantastisch und fern jeder Realität die Inhaltsangabe klingt, ist auch die Inszenierung. Mandico lässt seinen visuellen Einfallsreichtum nicht anders wuchern als die Vegetation auf dieser Insel (gedreht wurde auf Réunion). Da werden die starken Schwarzweißbilder nicht nur immer wieder mal von Farbfetzen wie einer tiefblauen Nachtszene, einem roten Sonnenuntergang oder leuchtend grünen oder roten Pflanzen unterbrochen, sondern aus der Tiefe des Raums taucht auch immer wieder ein seltsam glitzernder Totenkopf auf. Aber auch Doppelbelichtungen und die vegetationsreiche Kulisse sorgen für poetisch-surreale Momente.


Da mag die Story in ihrer Grundstruktur noch so sehr an Jules Vernes „Zwei Jahre Ferien“ erinnern oder auch Assoziationen an William Goldings „Der Herr der Fliegen“ wecken im Kern geht es mehr um eine sexuelle Entwicklung als um äußere Handlung. Da präsentiert nicht nur der Kapitän seinen Penis und zeigt offen seine homoerotische Neigung, sondern auch auf der Insel finden sich überall Pflanzen mit penisartigen Zweigen, aus denen spermaartige Flüssigkeit fließt, die die Jugendlichen gierig aufnehmen oder sie vereinigen sich mit vulvaartigen Pflanzen. – Alles scheint hier im Fluss, nichts festgeschrieben und Vegetation und Flüssigkeiten spielen so auch eine zentrale Rolle.


Nichts gemein hat „The Wild Boys“, den die renommierten Cahiers du cinéma 2018 zum besten Film des Jahres erklärten, mit gängigen Filmerfahrungen. Mandico nimmt den Zuschauer mit seinem visuellen Einfallsreichtum und nicht minder eigenwilligem Soundtrack mit auf eine traumartige Reise, auf die man sich einlassen muss. Ist man dazu bereit, macht man freilich ein ziemlich einzigartiges, faszinierendes Filmerlebnis, das wohl lange haften bleibt.


An Sprachversionen bietet der bei Bildstörung in einem schönen Booklet erschienene Film die englisch-französische Originalfassung, zu der deutsche Untertitel zugeschaltet werden können. Auf einer zweiten Blu-ray werden als Extras neben vier Kurzfilmen Mandicos, der Trailer, ein Featurette zu den Dreharbeiten und ein Zusammenschnitt von „Deleted Scenes“ geboten. Dazu kommt ein sehr informatives Booklet mit einem Essay des Filmjournalisten Olaf Möller sowie einem Interview mit Bertrand Mandico.


Trailer zu "The Wild Boys"



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