Maria Schrader zeichnet mit genauem Blick die journalistische Recherche der New York Times Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey zum Filmproduzenten Harvey Weinstein nach, der zahlreiche Frauen sexuell missbrauchte: Ein stark gespielter und gerade durch seine Nüchternheit packender Journalismusthriller.
Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis das 2019 erschienene Sachbuch "She Said – Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite a Movement" verfilmt wird. Die 2017 für ihre Artikel mit dem Pulitzer Preis ausgezeichneten New York Times Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey zeichnen darin ihre akribischen und mühsamen Recherchen zum Filmproduzenten Harvey Weinstein nach, in deren Verlauf sie systemischen sexuellen Missbrauch in der Filmbranche aufdeckten. Mit Veröffentlichung der Artikel im Oktober 2017 lösten Kantor / Twohey auch die #meToo-Bewegung aus.
Überraschend wird auf den ersten Blick die Wahl Maria Schraders als Regisseurin. Mit ihrem formal starken Stefan Zweig-Film "Vor der Morgenröte" und ihrer feinsinnigen Komödie "Ich bin dein Mensch", in der Sandra Hüller eine Wissenschaftlerin spielt, die einen Androiden als Partner testen soll, machte sich die 57-jährige Deutsche zwar einen Namen und bewies ihre Vielseitigkeit, aber mit "She Said" bewegt sie sich doch wieder auf ganz anderem Terrain.
Erfahrung in den USA hat Schrader freilich schon 2020 mit der Netflix-Miniserie "Unorthodox" erworben, in der sie von einer ultra-orthodoxen jüdischen Community in New York erzählte, gleichzeitig bringt sie aber auch einen Blick von außen auf Hollywood mit.
Geschickt bleiben Harvey Weinstein und Hollywood so auch die großen Leerstellen in ihrem Film. Keine Plattform will sie dem im März 2020 wegen seiner Sexualvergehen zu 23 Jahren Haft verurteilten Filmproduzenten bieten. Nur kurz sieht man seinen massigen Körper einmal von hinten und hört einige Male seine Stimme am Telefon. Im Zentrum aber stehen die beiden Journalistinnen Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan), die erst langsam die Größe des Falls entdecken.
An klassischen Journalismusfilmen orientiert sich Schrader dabei. Man sieht die Vorbilder von Alan J. Pakulas Watergate-Film "All the President´s Men – Die Unbestechlichen" (1976) und "Spotlight" (2015), in dem Tom McCarthy von der Aufdeckung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche von Boston durch Journalisten des Boston Globe erzählte.
Wie diese Filme ist auch "She Said" auf der Höhe der Zeit und wie diese Filme schildert Schrader nüchtern, aber gerade dadurch packend die mühsame journalistische Recherche. Immer wieder werden die beiden Journalistinnen abgewiesen, stoßen auf Schweigen, fliegen von New York nach Los Angeles oder London und kehren dann doch wieder unverrichteter Dinge zurück.
Nicht zu großen Heldinnen baut Schrader Kantor/Twohey auf, sondern zeigt sie als unermüdliche Ermittlerinnen, die gleichzeitig noch eine Familie haben. Akribisch vermittelt sie im Prüfen der Quellen, im Einholen von Rechtsbeistand und Bemühen um ein Statement Weinsteins auch, was Qualitätsjournalismus ausmacht und welche sorgfältige und zeitaufwändige Arbeit dahinter steckt. – Zweifellos eine große Werbung für die New York Times ist "She Said" in diesem genauen Blick auf die journalistische Arbeit.
Wenn einmal für wenige Sekunden ein schwarzes SUV hinter Kantor fährt, spielt Schrader zwar ebenso gekonnt auf der Klaviatur des Thrillers wie bei einem abrupt abrechenden Telefonat, lässt aber geschickt offen, ob dies Zufall ist oder es sich um eine echte Bedrohung bzw. Überwachung handelt.
Schrader muss den Film nicht mit Effekten aufbauschen, denn mehr als stark genug ist das Thema. Die stringente Nachzeichnung der Recherchen und die detailreiche Aufdeckung der Auswirkungen des Missbrauchs auf die Opfer reichen völlig aus, um über zwei Stunden zu packen und zu erschüttern.
Schon mit einem 1992 in Irland spielenden Prolog zeigt Schrader, wie das Leben einer jungen Frau durch Missbrauch wohl für immer geprägt wurde. Durch Zufall gerät hier eine fröhliche Irin zu einer Filmproduktion, doch schon in der nächsten Szene sieht man sie erschüttert und weinend auf einer Straße davonrennen. Wie hier der Missbrauch an sich ausgespart wird, bleibt er es auch im Folgenden in wenigen Rückblenden. Allem Spekulativen verweigert sich Schrader. Nicht gezeigt werden soll, was in der bildlichen Darstellung verharmlost würde.
Spürbar wird im Schweigen der Frauen ihre Scham über die Erfahrungen, andererseits wird aber auch ein System von Abfindungen und Knebelverträgen, mit denen die Opfer zum Schweigen gebracht wurden, aufgedeckt. Detailreich bietet "She Said" über die Recherchen von Kantor / Twohey Einblick in die Macht Weinsteins, der nicht nur seine Produktionsfirma Miramax kontrollierte, sondern auch die Karrieren von Frauen, die sich ihm widersetzten oder von ihm abwendeten, zerstören konnte.
Die Kunst Schraders und ihrer Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz besteht bei ihrem auch in Nebenrollen perfekt besetzten Film nicht zuletzt darin, die komplexe Thematik schlüssig und vielschichtig in einem packenden Film zu verdichten und zu bündeln. So konkret "She Said" dabei ist, so universell wird der Film spätestens in den Nachspanninserts, wenn auf die auch in anderen Branchen verbreitete sexuelle Belästigung, aber auch die Veränderung und Verbesserung, die die Aufdeckung des Weinstein-Falls gebracht hat, hingewiesen wird.
She Said USA 2022 Regie: Maria Schrader mit: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Samantha Morton, Andre Braugher, Jennifer Ehle, Angela Yeoh, Ashley Judd Länge: 128 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Skino Schaan (O.m.U.)
Trailer zu "She Said"
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