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  • AutorenbildWalter Gasperi

Schleichende Verunsicherung: US-Paranoia-Kino


The Conversation (Francis Ford Coppola, 1974)

Werde ich überwacht und abgehört? Muss ich in meinem Gegenüber einen Feind sehen? - Das Paranoia-Kino kreist um Ohnmacht und Verunsicherung des Individuums, das sich anonymen, nicht greifbaren Institutionen ausgeliefert fühlt. – Das Stadtkino Basel lädt angesichts der anstehenden US-Präsidentschaftswahlen und das Berner Kino Rex im November mit rund einem Dutzend Filmen zu einem Streifzug durch die Geschichte dieses Subgenres des Thrillers ein, in dem sich immer auch Zeitströmungen spiegeln.


Ein fruchtbares Feld für Paranoia sind Gefahren, die nicht klar greifbar sind. Leicht können sie Menschen in eine Krise stürzen, aber auch die Entstehung von Verschwörungstheorien fördern. In einen meisterhaften Science-Fiction-Thriller verpackte Don Siegel 1956 in "Invasion of the Body Snatchers" ("Die Dämonischen") die Ängste der amerikanischen Bevölkerung. Wenn hier scheinbar Außerirdische Besitz von den Protagonisten ergreifen und sie einer Gehirnwäsche unterziehen, während sie äußerlich unverändert bleiben, kann man darin eine Verarbeitung der Angst vor kommunistischer Infiltration ebenso lesen wie eine Metapher auf die Tyrannei der McCarthy-Ära.


Satirisch verarbeitete dagegen Stanley Kubrick in "Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb" (1964) kurz nach der Kuba-Krise, mit der der Kalte Krieg seinen Höhepunkt erreichte, die Angst vor der Atombombe und dem Kommunismus. Die Paranoia treibt hier einen General so sehr in den Wahnsinn, dass er versucht einen Atomkrieg gegen die Sowjetunion auszulösen.


Den Höhepunkt erlebte das amerikanische Paranoia-Kino in den 1970er Jahren. Tief verunsichert hatten die Morde an John F. Kennedy (1963), Martin Luther King und Robert Kennedy (beide 1968), aber auch die Niederlage im Vietnamkrieg (1973) und vor allem die Watergate-Affäre (1974), bei der die Republikaner das Hauptquartier der Demokraten abhörten die amerikanische Bevölkerung. Alan J. Pakula zeichnete nicht nur im klassischen Journalismus-Film "All the President´s Men" ("Die Unbestechlichen", 1976) die Aufdeckung der Watergate-Affäre nach, sondern beschwor schon sechs Jahre zuvor im Thriller "Klute" (1970) "den Vertrauensverlust des Individuums, das in einer anonymen und materialistisch geprägten Gesellschaft auf sich alleine gestellt ist" (Klute, Wikipedia).


Als Höhepunkt von Pakulas "Paranoia-Trilogie" gilt aber "The Parallex View" ("Zeuge einer Verschwörung", 1974), in dem ein Journalist einer politischen Verschwörung auf die Spur kommt. Während Francis Ford Coppola im gleichen Jahr in "The Conversation" ("Der Dialog", 1974) von einem Abhörspezialisten (Gene Hackman) erzählte, der zunehmend psychisch zerbricht, als er zu befürchten beginnt, selbst abgehört zu werden, siedelte Roman Polanski die Handlung seines modernen Film noir "Chinatown" (1974) im Los Angeles der 1930er Jahre an. Auch hier muss der ermittelnde Detektiv (Jack Nicholson) letztlich froh sein aus einem Sumpf an Korruption und Verbrechen lebend zu entkommen.


In eine Paranoia steigert sich auch John Travolta als Tontechniker in Brian De Palmas "Blow Out" (1981). Je öfter er nämlich eine Tonaufnahme anhört, desto sicherer ist er sich, darauf nicht nur einen Reifenplatzer, sondern auch einen Schuss zu hören und so Ohrenzeuge eines Mordes an einem Politiker geworden zu sein.


Während in Sidney Lumets "Network" (1976) noch ein Nachrichtensprecher dem Massenmedium hoffnungslos ausgeliefert ist, so ist es in Peter Weirs "Truman Show" (1998) schon ein scheinbar normaler Bürger, der ohne es zu wissen, sein ganzes Leben in einer Fernsehshow verbracht hat. Eindringlich schildert dagegen Jeff Nichols in "Take Shelter" (2011), wie einen Arbeiter zunehmend Ahnungen oder Wahnvorstellungen von einer nahenden Katastrophe ergreifen.


In Jordan Peeles brillantem Debüt "Get Out" (2017) wiederum wird für einen jungen Afroamerikaner der Besuch bei den Eltern seiner weißen Freundin zum Alptraum, denn hinter der liberalen Fassade wird zunehmend deren Alltagsrassismus sichtbar. Wie in Don Siegels "Invasion of the Body Snatchers" Außerirdische Besitz von den Körpern der Menschen ergreifen und sie nach Belieben steuern, so scheinen hier die Afroamerikaner von der weißen Oberschicht wie willenlose Wesen beliebig gesteuert zu werden.


Nur eine Frage der Zeit ist, bis die ersten Filme zur Paranoia, die Covid 19 auslöst, erscheinen werden. Noch weniger fassbar als geheim agierende staatliche Organisationen scheint nämlich das unsichtbare Virus, ohnmächtig scheint das Individuum auch ihm gegenüber, sodass sich rasch Angst und Verunsicherung ausbreiten.


Weitere Informationen auf den Websites des Stadtkino Basel und des Berner Kino Rex.


Trailer zu "The Parallex View - Zeuge einer Verschwörung" (1974)



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