Christopher Nolan legt seinen Film über den "Vater der Atombombe" Robert Oppenheimer nicht als klassisches Biopic an, sondern als in mehreren Erzählsträngen verschachteltes ambivalentes Porträt eines Wissenschaftlers, wobei auch das Spannungsverhältnis von Wissenschaft, Militär und Politik und die Verantwortung des Einzelnen ausgeleuchtet werden: Technisch brillantes, komplexes, aber auch sehr dialoglastiges Kino, das von einem großartigen Cillian Murphy in der Titelrolle getragen wird.
Christopher Nolan hat für seinen 12. Kinofilm nicht nur Kai Birds und Martin J. Sherwins 2005 erschienene Biographie "American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer" adaptiert, sondern stellt dem dreistündigen Werk gleich auch noch ein Insert voran, mit dem der Physiker Robert Oppenheimer mit dem mythischen Prometheus in Verbindung gesetzt wird. Vorgegeben ist mit diesem Hinweis auf Prometheus´ Diebstahl des Feuers, den der Titan mit Fesselung und Folterung an einem Felsen im Kaukasus bezahlte, dass eine Geschichte von Aufstieg und Fall folgen wird.
Während Prometheus freilich meist als Heros gesehen wird, der sich zum Wohle der Menschheit geopfert hat, hat Oppenheimers Entwicklung der Atombombe von Anfang an Verderben mit sich gebracht. Die auf das Insert folgenden Regentropfen in einer Pfütze schlagen dabei ein visuelles Motiv an, das sich leitmotivisch durch "Oppenheimer" zieht. Nicht nur dieses Bild wird sich später an einem Teich wiederholen, auch stellt sich eine Analogie zwischen den Kreise ziehenden Tropfen und den Wellen bei der Versuchen der Kernspaltung und schließlich beim Trinity-Atombombentest ein. Gleichzeitig kann man darin aber auch eine Metapher für die Kreise sehen, die jede Handlung mit sich zieht.
Parallel erzählt Nolan nämlich in seinem auf 65mm IMAX und analogem 65mm-Film gedrehtem Biopic von zwei Anhörungen. Einerseits wird 1954 Oppenheimer vernommen, um zu entscheiden, ob die Sicherheitsfreigabe für den Physiker, der des Kommunismus verdächtigt wird und die Weiterentwicklung des US-Atomwaffenprogramms immer wieder öffentlich kritisiert, verlängert werden soll. Andererseits muss sich 1958 sein früherer Chef Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) bei seiner Bewerbung um das Amt des Handelsministers vor einer Kommission Fragen zu seiner Beziehung zu Oppenheimer stellen.
Eingeschoben in diese beiden Rahmenhandlungen, die Einblick in die Kommunistenjagd der McCarthy-Ära ebenso wie in politische Ränkespiele und skrupellose Machtgier bieten, ist die Entwicklung Oppenheimers vom Studium in Cambridge über seinen Aufenthalt in Göttingen bis zum Manhattan-Projekt, das unter seiner Leitung in der in New Mexiko gelegenen Wüstenregion von Los Alamos die Atombombe entwickelte.
Sind die Szenen von der Anhörung von Strauss, in denen Oppenheimer nicht vorkommt, in Schwarzweiß gehalten, so ist der Rest des Films, der komplett aus der Perspektive der in jeder Szene präsenten Titelfigur erzählt wird, farbig. Weit über das Porträt Oppenheimers hinaus, entwickelt sich der Film dabei zu einer Auseinandersetzung mit der Verantwortung des Wissenschaftlers. Verfolgt Oppenheimer nämlich das Ziel mit der Entwicklung der Atombombe den Zweiten Weltkrieg möglichst rasch zu beenden, so muss er nach dem erfolgreichen Trinity-Test erkennen, dass nun die Militärs und Politiker seine Erfindung übernehmen und seinen Einwänden kein Gehör geschenkt wird.
So erzählt "Oppenheimer" mit dem Anbruch des Atomzeitalters auch von einer zentralen Zeitenwende in der jüngeren Menschheitsgeschichte. Eindrücklich vermittelt Nolan diesen Wendepunkt in der Inszenierung des Trinity-Tests, bei dem echte Sprengstoffe eingesetzt wurden, um auf Computereffekte verzichten zu können. Dominieren im restlichen Film weitgehend die Dialoge, so beweist Nolan in dieser Szene seine Meisterschaft im filmischen Erzählen, wenn auf den Countdown der Lichtblitz folgt und dann die Wucht der Bombe durch die sich mit einem Feuerball füllende Leinwand und den anschließenden mächtigen Knall spürbar wird.
Bewusst wird sich hier auch Oppenheimer, was er erfunden hat, wenn er im Voice-over das ihm zugeschriebene Bhagavad Gita-Zitat "Now, I am become Death, the destroyer of worlds" spricht. Sein eigenes Erschrecken über seine Erfindung wird aber auch spürbar, wenn er bei einem Auftritt anlässlich des Atombombenabwurfs von Hiroshima Bombengeräusche hört, auf eine verkohlte Leiche tritt und verbrannte Menschen sieht.
Unterstützt von einem fulminanten, treibenden Soundtrack von Ludwig Göransson und einem brillanten Schnitt von Jennifer Lame, durch den auch immer wieder frühere Szenen aus anderer Perspektive wiederholt werden, entwickelt Nolan die Handlung dicht. Nicht zu übersehen ist aber auch die Dialoglastigkeit und eine Überkomplexität, die die Zuschauer:innen bei einer Länge von drei Stunden förmlich erschlägt.
Eindrücklich beschwört Kameramann Hoyte van Hoytema, unterstützt von perfekter Ausstattung, zwar die Atmosphäre der 1940er und 1950er Jahre und großartig spielt Cillian Murphy, dessen Gesicht in den zahlreichen Großaufnahmen gleichsam zu einer Landschaft wird, in der man lesen muss, den genialen Physiker, doch die Faktenlastigkeit und die Überfülle an teilweise nur kurz auftretenden Figuren wie den Physikern Werner Heisenberg (Matthias Schweighöfer), Niels Bohr (Kenneth Branagh) oder Albert Einstein (Tom Conti) machen "Oppenheimer" auch zu einer anstrengenden Angelegenheit: Man bewundert die Perfektion und Vielschichtigkeit des Films, doch Nolans nüchterner und kalter Blick hält immer auch auf Distanz und lässt kaum Emotionen aufkommen.
Oppenheimer USA / Großbritannien 2023 Regie: Christopher Nolan mit: Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Josh Hartnett, Casey Affleck, Benny Safdie, Kenneth Branagh Länge: 180 min.
Läuft derzeit in den Kinos
Trailer zu "Oppenheimer"
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