Mit dem Feuer spielen – Jouer avec le feu
- Walter Gasperi

- vor 17 Stunden
- 3 Min. Lesezeit

Ein Vater kämpft verzweifelt um seinen Sohn, der zunehmend in die rechtsextreme Szene abdriftet: Die Schwestern Delphine und Muriel Coulin verhandeln ein brennend aktuelles gesellschaftliches Problem im Rahmen eines packenden Familiendramas, das von großartigen Schauspielern getragen wird.
Der auf die 60 zugehende Pierre (Vincent Lindon) hat nach dem Tod seiner Ehefrau die beiden Söhne Fus (Benjamin Voisin) und Louis (Stefan Crepon) allein großgezogen. Jetzt sind sie junge Erwachsene. Während der 19-jährige Louis vor einem Studium an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Pariser Sorbonne steht, sieht der 22-jährige Fus mit seiner Ausbildung in Metallurgie wenig Berufschancen in der von hoher Arbeitslosigkeit belasteten ehemaligen Kohle- und Stahlhochburg Lothringen.
Während der Bahnarbeiter Pierre sich zwar nicht mehr an Demonstrationen beteiligen will, aber sichtlich politisch links steht, gleitet Fus zunehmend in rechtsradikale Kreise ab. Will Pierre diese Tatsache noch verdrängen, als ihm ein Kollege berichtet, dass er Fus bei einer rechten Schmieraktion gesehen hat, muss er sich doch der Tatsache stellen, als sein Sohn sichtlich rechtsextreme Glatzköpfe freundschaftlich umarmt, brutale illegale Cage-Fights besucht, bei denen Gewalt verherrlicht wird, und sich offensichtlich allabendlich mit seinen rechten Freunden trifft.
Verzweifelt versucht der Vater ihn aus diesem Kreis herauszuziehen, doch Diskussionen enden rasch im Streit. Bald haut Fus aus dem Einfamilienhaus ab, kehrt dann aber doch wieder zurück, hält sich aber nicht an die Vorgaben des Vaters. Eine Zwischenposition nimmt Louis ein, der zwischen Vater und Fus vermitteln soll, aber hinsichtlich der politischen Einstellung auch keinen Zugang zu seinem älteren Bruder findet.
Im visuellen Off finden die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsradikalen und Antifaschisten statt, doch die äußerlich sichtbaren Folgen werden ins elterliche Haus getragen. Der Zugang, den Pierre zu Fus zwischendurch immer wieder zu finden glaubt, erweist sich als trügerisch. All seine Fürsorge und Liebe führt zu nichts und schließlich geht es für den Vater nur noch darum zu verhindern, dass auch sein jüngerer Sohn in diese Kreise abgleitet.
Geschickt brechen die Schwestern Delphine und Muriel Coulin das Problem des grassierenden Rechtsextremismus auf ein intimes Familiendrama herunter. In Kauf nehmen muss man dafür, dass die gesellschaftlichen Hintergründe bestenfalls angedeutet werden, Nebenfiguren kaum Profil gewinnen und auch die rechte Gruppierung diffus bleibt. Auch das Thema einer zwischen Fürsorglichkeit und Aggressionslust zerrissenen Männlichkeit wird dabei mit der Opposition von liebevollem Umgang in der Familie und gewaltbereiter radikaler Masse bei einem Fußballspiel oder dem Cage-Fight zwar angeschnitten, aber nicht weiterentwickelt.
Stark ist "Mit den Feuer spielen" so vor allem in den Begegnungen zwischen dem Vater und seinen beiden Söhnen. Intensive Szenen gelingen den Coulins hier dank eines großartigen Schauspielertrios. Ideal besetzt ist Pierre mit Vincent Lindon, der schon oft und zuletzt vor allem in Stéphane Brizés "La loi du marché" ("Die Würde des Menschen", 2015) und "En guerre" ("Streik", 2018) Männer aus der Arbeiterklasse spielte.
In jeder Szene überzeugend ist der 2024 bei den Filmfestspielen von Venedig für seine Leistung als bester Darsteller ausgezeichnete 66-jährige Franzose als Streckenwärter der Bahn, bewegt aber vor allem als fürsorglicher Vater, der an der Einstellung und den Aktionen seines Sohnes zunehmend verzweifelt und zerbricht. Eindringlich vermittelt er die Liebe des Vaters und gleichzeitig seine Ohnmacht, aber auch seine Schuldgefühle bei der Erziehung Fehler gemacht zu haben und seine Scham über die Entwicklung von Fus.
Stark ist aber auch Benjamin Voisin, der den Frust Fus über fehlende Zukunftsperspektiven und die Wut über die gesellschaftlichen Verhältnisse intensiv erfahrbar macht, dessen Abdriften in die rechten Kreise damit aber letztlich nicht völlig erklärt wird. Plastisch vermittelt das Regie-Duo in den Auseinandersetzungen mit dem Vater, wie sich die Gräben zwischen den Generationen durch die Unfähigkeit zur echten Kommunikation sukzessive vergrößern.
Etwas im Hintergrund bleibt dagegen Stefan Crepon als jüngerer Sohn, besticht aber mit seiner Zurückhaltung und dem Feingefühl, mit dem er die Zwischenposition Louis´ und dessen Liebe sowohl zu Vater als auch Bruder spürbar macht.
Intensität gewinnen die Szenen dieses Trios auch durch die zupackende Inszenierung. Nah dran ist die Kamera von Frédéric Noirhomme an den Figuren. Mit schnellem Schnitt und dem Einsatz einer unruhigen Handkamera werden die Zuschauer:innen ins Geschehen hineingezogen und nehmen unmittelbar daran teil. Auffallend ist freilich auch, dass, obwohl zwei Frauen für die Regie verantwortlich zeichnen, dieses Drama weitgehend ein Männerfilm ist, Frauen nur in kleinen Nebenrollen als Uni-Professorin und Richterin vorkommen.
Mit dem Feuer spielen (Jouer avec le feu)
Belgien / Frankreich 2024
Regie: Delphine und Muriel Coulin
mit: Vincent Lindon, Benjamin Voisin, Stefan Crepon, Sophie Guillemin, Denis Simonetta, Hugo Bariller, Thomas Arnaud
Länge: 118 min.
Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mi 26.11., 20 Uhr + Mo 1.12., 18 Uhr (franz. O.m.U.)
Trailer zu "Mit dem Feuer spielen - Jouer avec le feu"




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