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  • AutorenbildWalter Gasperi

Materielle Fülle, innere Leere: Zum 50. Geburtstag von Sofia Coppola


Sofia Coppola (geb. am 14.5. 1971)

Verführerisch ist die elegante Oberfläche der Filme der am 14. Mai 1971 geborenen Sofia Coppola, doch hinter der Fassade werden Einsamkeit und innere Leere sichtbar. Die fünf Schwestern in Coppolas Debüt "The Virgin Suicides" sind in ihrer Wohlstandswelt ebenso verloren wie zwei Amerikaner in Japan in "Lost in Translation", der Hollywood-Star in "Somewhere" oder die französische Königin im Kostümfilm "Marie Antoinette".


Im wahrsten Sinne in die Wiege gelegt war Sofia Coppola der Bezug zum Filmgeschäft. Gerade mal zehn Wochen war sie alt, als ihr Vater Francis Ford Coppola die kleine Sofia als Baby in einer Taufszene in seinem Meisterwerk "The Godfather" (1971) einsetzte. Als Teenager spielte sie in den 1980er Jahren in weiteren Filmen ihres Vaters ("The Outsiders", 1983; "Rumble Fish", 1983; "Cotton Club", 1984) aber auch in Tim Burtons Kurzfilm "Frankenweenie" (1984).


Eine größere Rolle übernahm sie nach dem krankheitsbedingten Ausfall von Winona Ryder in "The Godfather III" (1990), bekam dafür aber vernichtende Kritiken und zwei Goldene Himbeeren als "Schlechteste Nebendarstellerin" und "Schlechteste Newcomerin". Dass sie sich in der Folge von der Schauspielerei zurückzog, lag aber nach ihrer eigenen Aussage nicht an dieser Häme, sondern vielmehr daran, dass sie nie wirklich eine Karriere als Schauspielerin angestrebt habe.


In den 1990er Jahren studierte sie Kunst und Fotografie und gründete mit Freundinnen in Japan das Modeunternehmen MilkFed. Sie spielte in einigen Musikvideos wie dem zu "Mildred Pierce" von Sonic Youth (1990), "Deeper and Deeper" von Madonna (1992) oder "Elektrobank" von The Chemical Brothers (1997), das ihr erster Mann Spike Jonze inszenierte, und begann auch selbst Musikvideos zu drehen. 1996 entstand mit "Bed, Bath and Beyond" ihr erster, 1998 mit "Lick the Star" ihr zweiter Kurzfilm.


Mit einer Gruppe von einsamen und gelangweilten Teenagern an einer Highschool nimmt dieser 14-minütige Schwarzweißfilm schon Themen von Coppolas Langfilmen vorweg. Wollen vier Mädchen darin, angeführt von ihrer "Chefin", ihre Mitschüler langsam vergiften, so richten die fünf Schwestern in ihrem Langfilmdebüt "The Virgin Suicides" (1999) die Gewalt gegen sich selbst.


Coppola führt in der in den 1970er Jahren spielenden Verfilmung von Jeffrey Eugenides Roman eine mustergültige amerikanische Familie vor. Die glatten, in Pastellfarben getauchten Bilder verstärken ebenso wie der Synthie-Pop der französischen Band Air das Bild einer heilen Welt, doch wird rasch hinter der Fassade innere Leere und Einsamkeit spürbar.


Weil dieses Gefühl der Verlorenheit aber immer durch warme Bilder, sanfte Musik und einen gewissermaßen schwebenden Stil aufgefangen wird, entwickeln die Filme Coppolas nie Beklemmung, sondern strahlen vielmehr sanfte Melancholie aus. Mehr als die äußere Handlung bestimmt vielfach dieser Look, zu dem auch die Kostüme und blendend aussehende jungen Protagonistinnen gehören, die Filme der Amerikanerin.


Meisterhaft gelingt ihr mit diesen Mitteln in "Lost in Translation" (2003) eine Evokation der Leere und Verlorenheit, die dabei noch dadurch verstärkt wird, dass die Protagonisten aus ihrer gewohnten Umwelt herausgehoben sind. Auf sich zurückgeworfen sind ein US-Filmstar (Bill Murray) und eine vernachlässigte junge Ehefrau (Scarlett Johansson) bei einem Japan-Besuch, können mit der Umwelt kaum kommunizieren und hängen vorwiegend im Hotel herum. Blicke durch die Fenster auf die nächtliche Großstadt signalisieren immer wieder ihre Trennung vom Leben.


Spielte "The Virgin Suicides" noch in einem bürgerlichen Heim, so gibt es diesen privaten Raum in den folgenden Filme Coppolas nicht mehr. Auf das Hotel in Tokio folgt im Kostümfilm "Marie Antoinette" (2006) das Schloss Versailles, in dem die französische Königin am Vorabend der französischen Revolution zwar in Saus und Braus lebt, mit dem Materialismus aber doch nur Langeweile und innere Leere zu verdrängen versucht. In Bonbonfarben beschreibt Coppola dieses Leben im goldenen Käfig, bricht aber gleichzeitig durch Anachronismen wie Converse-Turnschuhe im Schuhschrank oder Popsongs wie Bow Wow Wows 1982er Hit "I Want Candy" die historische Ebene auf.


Im 18. Jahrhundert mag dieser Film spielen, doch unübersehbar meint Coppola damit auch die Partywelt der Gegenwart, die die in diesem Milieu aufgewachsene Regisseurin bestens kennt. Sie übt zwar in ihren Spielfilmen elegant Kritik an dieser Gesellschaft, ist aber auch selbst Teil davon, designt Taschen für Louis Vuitton und drehte Werbefilme für Dior und H & M. Gefahr läuft vor allem "Marie Antoinette" freilich in der Schilderung eines hohlen, von Wiederholungen bestimmten, monotonen und der reinen Oberfläche verpflichteten Lebens selbst etwas hohl zu werden, nicht nur Langweile, Einsamkeit und Sinnentleerung zu schildern, sondern selbst zu langweilen.


Wie Marie Antoinette im Schloss, die Amerikaner in "Lost in Translation" im Hotel in Tokio und die Schwestern in "The Virgin Suicides" in der elterlichen Vorstadtvilla so ist der Hollywood-Star in "Somewhere" (2010) in Hollywoods legendärem Hotel Chateau Marmont verloren, vegetiert mehr dahin als zu leben. Wie Michelangelo Antonioni oder Federico Fellini in "La dolce vita", der in "Lost in Translation" explizit zitiert wird, beschwört die Amerikanerin meisterhaft eine Stimmung der Melancholie, der Verlorenheit und des Stillstands. Erst wenn sich der Protagonist um seine elfjährige Tochter zu kümmern und Verantwortung zu übernehmen beginnt, scheint Bewegung in sein Leben zu kommen und an die Stelle der endlosen Kreisbewegung, mit der der Film begann, tritt eine Vorwärtsbewegung, die eine Befreiung und einen Neubeginn andeutet.


Wiederholungen und Kreisbewegungen bestimmen aber auch Coppolas Werk. So kehrte sie mit "The Bling Ring" (2013), in dem sie nach einem wahren Fall von einer Gruppe von Teenagern erzählt, die in Hollywood in Villen von Prominenten einbrechen, zur Schilderung des gelangweilten und sinnentleerten Lebens einer materiell sorgenfreien jungen Oberschicht zurück.


Das Mädcheninternat in ihrem Remake von Don Siegels / Clint Eastwoods "The Beguiled – Die Verführten" (2017), in dem während des Amerikanischen Bürgerkriegs ein verwundeter Nordstaaten-Soldat aufgenommen wird, erinnert dagegen wieder an die Schwestern in "The Virgin Suicides". Doch gleichzeitig entwickelt Coppola ihre Themen weiter und variiert sie ebenso wie die Vorlage. Der männlichen Perspektive von Siegel / Eastwood stellt sie so eine weibliche gegenüber und erzählt in betörend schönen Bildern, wie das Eindringen des Mannes in diese Frauengemeinschaft Sehnsüchte und Begehrlichkeiten und damit auch Eifersüchteleien und Rivalitäten weckt.


Und mit ihrem bislang letzten Films "On the Rocks" (2020) knüpft die Amerikanerin, die zwischen ihren Spielfilmen auch Musikvideos und 2016 in Rom die Oper "La Traviata" inszenierte, an ihren größten Erfolg "Lost in Translation" an. Denn hier wie dort spielt Bill Murray die Hauptrolle und im Zentrum steht die Beziehung eines – hier sind es Vater und Tochter – älteren Mannes zu einer jüngeren Frau. Das Milieu ist wie in allen Filmen Coppolas das gehobene Bürgertum, in dem materielle Sorgen fern sind, doch an die Stelle der Einsamkeit Jugendlicher tritt in dieser leichthändig inszenierten lakonischen Komödie der Blick auf die Schwierigkeiten des Familienlebens.


Fortzusetzen scheint Coppola auch die Pendelbewegung zwischen in der Gegenwart spielenden und historischen Filmen, denn derzeit bereitet sie für den Streamingdienst Apple TV+, der schon "On the Rocks" produzierte, eine Verfilmung – eventuell als TV-Serie - von Edith Whartons Roman "The Custom of the Country" vor. Im Zentrum wird dabei eine junge Frau aus dem Mittelwesten stehen, die Anfang des 20. Jahrhunderts nach New York reist, um dort gesellschaftlich aufzusteigen.


Eine Sammlung von Rezensionen zu Filmen Sofia Coppolas finden Sie hier.




Trailer zu "Lost in Translation"



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