Kate Winslet brilliert als Kriegsfotografin Lee Miller, doch in seiner biederen Inszenierung wird Ellen Kuras´ Biopic, das sich auf die Erfahrungen Millers im Zweiten Weltkrieg konzentriert, der schillernden Persönlichkeit nicht gerecht.
Die Amerikanerin Lee Miller (1907 – 1977) zählt zu den bedeutendsten Kriegsfotograf:innen. Ikonisch ist das Bild, für das sie sich von ihrem Kollegen David E. Sherman in Hitlers Badewanne in dessen Münchner Wohnung fotografieren ließ, und mit ihren Fotos aus den befreiten Vernichtungslagern hat sie das Bild vom Schrecken der NS-Herrschaft mitgeprägt.
Die Schweizerin Luzia Schmid rückte zuletzt unter anderem Millers Arbeit und Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs in ihrem Dokumentarfilm "Trained to See – Three Women and the War" (2023) ins Zentrum. Auch Ellen Kuras fokussiert in ihrem Spielfilm auf der Kriegszeit. Millers Karriere als Fotomodell und ihre Beziehung zum Fotografen Man Ray spart sie in ihrem Regiedebüt ebenso aus wie die psychischen Folgen der Kriegserfahrungen, die Millers späteres Leben prägten.
Ausgehend von einem Interview, das Miller kurz vor ihrem Tod 1977 einem jungen Journalisten gibt, werden in Rückblenden ihre Kriegserfahrungen aufgerollt. Diese Rahmenhandlung dient dabei in erster Linie dazu, berühmte Bilder Millers ins Bild zu rücken, aber auch mit einer überraschenden Schlusswende eine sehr persönliche Komponente ins Spiel zu bringen, wirkt insgesamt aber notdürftig angeklebt und überflüssig.
Mit der ausgelassenen Urlaubsstimmung mit Freunden auf einem südfranzösischen Landgut im Jahr 1938 wird knapp ein Bild der selbstbewussten Amerikanerin gezeichnet, die das Leben mit Alkohol, Rauchen und Sex genießt, bietet aber auch die Möglichkeit, sie mit ihrem späteren Ehemann Roland Penrose (Alexander Skarsgård) zusammenzuführen. Schon hier wird die Kriegsgefahr mit Wochenschauen von Auftritten Hitlers spürbar, ehe der Film mit einem Schnitt ins London des Jahres 1940 springt.
Hier fotografiert Miller bald für die Zeitschrift Vogue den Alltag in der von Nazi-Deutschland zerbombten britischen Metropole, doch eine Akkreditierung als Kriegsfotografin in Frankreich erhält sie nur durch ihre amerikanische Staatsbürgerschaft.
Vom Kampf um Saint Malo, bei der man durch die zupackende und hautnahe Inszenierung unmittelbar ins Geschehen versetzt wird, über die Befreiung von Paris bis zur Fahrt mit dem Life-Fotografen David E. Sherman (Andy Samberg) ins befreite Deutschland, wo das Fotos in Hitlers Münchner Wohnung ebenso wie die Bilder von Leichenbergen in einem Todeszug der Nationalsozialisten entstehen, spannt sich der Bogen des Films.
Solide ist das inszeniert, aber kein Aspekt wird wirklich verdichtet. Mit Leidenschaft spielt Kate Winslet, die sich seit 2016 um den Film bemühte und auch als Produzentin fungierte, doch Regisseurin Ellen Kuras lässt ihre Hauptdarstellerin mehr oder weniger im Stich. Mehr als Arrangeurin, denn als den Film wirklich gestaltende Regisseurin wirkt die erfahrene Kamerafrau, die immerhin schon mit so renommierten Regisseuren wie Spike Lee, Sam Mendes oder Jim Jarmusch zusammenarbeitete.
Kaum einen Eindruck bekommt man davon, wie schwer es für Miller gewesen sein muss, sich in der männlich dominierten Militär- und Kriegswelt zu behaupten. Nur ansatzweise werden auch bei Aufnahmen der Leichenberge oder in einem Feldlazarett Fragen nach Grenzen und Ethik der Kriegsfotografie aufgeworfen. Deutlich zu Tage tritt dafür Millers Engagement für unterdrückte und ausgebeutete Frauen, wenn sie gegen die Vergewaltigung einer Pariserin durch einen US-Soldaten einschreitet oder die Demütigung der wegen Kollaboration geschorenen und bloß gestellten Französinnen publik macht.
Doch weitgehend ausgespart wird, welche schweren psychischen Folgen diese erschütternden Erfahrungen für Miller hatten. Nur ansatzweise wird spürbar, dass die Ereignisse nicht spurlos an ihr vorübergingen, wenn sie nach ihrer Rückkehr nach England in Tränen ausbricht, als sie erkennen muss, dass zumindest in der englischen Ausgabe der Vogue ihre verstörenden Bilder "zum Schutz der Leserschaft" nicht publiziert wurden.
Erst nach ihrem Tod wurde durch ihren Sohn Antony Penrose, der ihren Nachlass verwaltet und dessen 1985 erschienene Biographie "The Lives of Lee Miller" auch als Vorlage für den Film diente, ihr umfangreiches Werk durch Bildbände publik gemacht.
Gerade angesichts des schillernden und kraftvollen Charakters der realen Lee Miller bleibt Kuras´ Film viel zu bieder und oberflächlich. Brav werden die Ereignisse bebildert und nachgezeichnet, aber tieferen Einblick in den Charakter der Protagonistin und die Belastung ihrer Arbeit, bei der sie als Kriegsfotografin konsequent dort hinblicken wollte oder musste, wo die meisten lieber wegblicken, gewinnt man kaum. Mag "Lee – Die Fotografin" auch ein Herzensprojekt der Hauptdarstellerin Kate Winslet sein, so hätte Lee Miller doch einen deutlich komplexeren und entschlosseneren Film verdient.
Lee – Die Fotografin Großbritannien / USA 2023 Regie: Ellen Kuras mit: Kate Winslet, Alexander Skarsgård, Andrea Riseborough, Marion Cotillard, Josh O’Connor, Noémie Merlant Länge: 116 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn, Kinok St. Gallen und Skino Schaan.
Trailer zu "Lee - Die Fotografin"
Comments