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  • AutorenbildWalter Gasperi

Golda


Guy Nattiv zeichnet nicht das ganze Leben der israelischen Premierministerin Golda Meir nach, sondern konzentriert sich ganz auf die wenigen Wochen des Jom-Kippur-Kriegs: Ein gerade durch seine Nüchternheit fesselndes Porträt der von Helen Mirren großartig gespielten, körperlich schwer angeschlagenen Politikerin.


Knapp verankert der Israeli Guy Nattiv, der zuletzt im Spielfilm "Skin" (2018) einen packenden Einblick in die Neo-Nazi-Szene der USA bot, mit kurzem Archivmaterial zum Palästinakrieg von 1948/49 und zum Sechstagekrieg von 1967 "Golda" im historischen Kontext, um sogleich auf seine Protagonistin zu fokussieren.


Nur eine Zigarette sieht man zunächst – und immer wieder wird sich die israelische Premierministerin (1969 – 1974) eine Zigarette anstecken –, dann ihre Augen, von denen die Kamera langsam zurückfährt, wobei das anfängliche Schwarzweiß auch in Farbe übergeht. Im Wagen ist sie unterwegs zu einem Untersuchungsausschuss, vor dem sie sich für ihre Entscheidungen während des Jom-Kippur-Kriegs, dem mehr als 2600 israelische und über 8500 arabische Soldaten zum Opfer fielen, rechtfertigen muss.


Indem die Anhörung den Rahmen des Films bildet, ist die Erzählperspektive vorgegeben. Konsequent aus Golda Meirs (1898 – 1978) Sicht werden die Ereignisse erzählt. Keine um Objektivität bemühte Geschichtslektion wird so geboten, denn ausgespart bleibt nicht nur die arabische Perspektive, sondern auch andere israelische oder globale Beurteilungen ihrer Person und des Jom-Kippur-Kriegs.


Mit der israelischen Premierministerin werden die Zuschauer:innen vom Geheimdienst Mossad vom wahrscheinlich bevorstehenden ägyptisch-syrischen Angriff informiert, mit ihr nimmt man an den Sitzungen des abgesehen von ihr rein männlich besetzten Kabinetts teil. Sie begleitet man auch ins Krankenhaus, wo sie wegen einer Krebserkrankung untersucht und mit Chemotherapie behandelt wird, oder in ihre Wohnung.


Nicht nur ganz auf die 20 Tage des Jom-Kippur-Kriegs fokussiert Nattiv, sondern auch ganz auf die politisch-militärischen Ereignisse. Große Dichte entwickelt der nüchtern erzählte Film dadurch, ebenso wie durch die Anlage als Kammerspiel, das weitgehend in den Regierungsräumen und Meirs Wohnung spielt. An einen Kriegsschauplatz führt "Golda" nur einmal, wenn Verteidigungsminister Mosche Dayan mit dem Hubschrauber das Kampfgebiet in den Golanhöhen überfliegt und immer wieder aufflammende Feuerblitze Granateinschläge und schwere israelische Verluste signalisieren.


Völlig überrascht war die israelische Regierung nämlich von diesem Angriff am höchsten jüdischen Feiertag. Während ägyptische Truppen über den Suez-Kanal vorstießen, drangen syrische Panzer in die Golanhöhen vor. Schwere Verluste mussten die Israelis zunächst hinnehmen, doch schließlich wendete sich das Blatt aufgrund eines taktischen Fehlers der Ägypter.


Eindrücklich vermittelt Nattiv, unterstützt von einer nicht wiederzuerkennenden Helen Mirren in der Titelrolle, welchen Belastungen die israelische Premierministerin ausgesetzt ist. Schwer tut sie sich, bei den fieberhaften Besprechungen ihres Stabs eine Entscheidung zu finden, und sichtlich hat sie auch schwer mit ihrer Krankheit zu kämpfen. Auch im Schlaf holen sie die Kriegsereignisse ein, wenn sie Kriegslärm zu hören glaubt und die Kamera zu Telefonen, die in verschiedenen Zimmern klingeln, in spektakulärer Plansequenz durch die Wohnung fährt.


Man spürt, wie sie der Tod jedes israelischen Soldaten zutiefst bedauert, gleichzeitig wandelt sie sich im Laufe des Films. Ist sie zunächst so wie ihr Land schwer angeschlagen durch den Überraschungsangriff und die schweren Verluste, so zeigt sie sich bald entschlossen und kompromisslos, als sich eine Chance bietet Ägypten eine Niederlage zuzufügen und Präsident Sadat eine Handlung von großer symbolischer Kraft abzuringen.


Als entschlossen und unerschrocken zeigt sie sich dabei auch in den Gesprächen mit US-Außenminister Henry Kissinger, verliert aber auch in der angespannten Situation ihren trockenen Humor nicht. Dem Druck der Großmacht, die sich auch Sorgen wegen der drastischen Drosselung der Ölförderung und -lieferung durch die arabischen OPEC-Staaten macht, gibt sie nicht so leicht nach, sondern stellt immer Israel an erste Stelle. Gleichzeitig wird hier auch sichtbar, wie die Großmächte in den Nahost-Konflikt involviert sind, die USA sich zwar prinzipiell hinter Israel stellen, aber auch auf keinen Fall riskieren wollen, dass der Konflikt, bei dem die Sowjetunion Ägypten und Syrien unterstützt, eskaliert.


Nattiv zeichnet Golda Meir, die auch die Beinamen "eiserne Lady" und "Großmutter Israels" erhielt, als große Frau, die alles für Israel gibt und vor allem einen Frieden im Nahen Osten anstrebt. Nicht nur in Israel gelang ihr als erste Frau der Weg zur Premierministerin, sondern weltweit stand sie damit in den frühen 1970er Jahren neben Indira Gandhi ziemlich singulär da. Spürbar ist die Begeisterung des Regisseurs für seine Protagonistin, sodass man keinen kritischen Blick auf die vielfach kontrovers gesehene Politikerin erwarten darf, doch der trocken-sachliche Erzählton, die Vielschichtigkeit und die Genauigkeit im Detail lassen nie das Gefühl einer hagiographischen Verklärung aufkommen.


Untrennbar verbunden ist Golda Meir dabei immer mit dramatischen Besprechungen, in die auch immer wieder der Kriegsverlauf hineinspielt. Mal bekommt man hier zusammen mit dem Stab via Funkverkehr nur über die Tonspur das mit schweren Verlusten verbundene Scheitern eines israelischen Gegenangriffs mit, dann wird man wieder per schwammigen schwarzweißen Videobildern Zeuge einer erfolgreichen Abwehr eines ägyptischen Panzerangriffs.


Geschickt baut Nattiv in seinen Film mehrfach kurze Schnipsel von Archivmaterial ein, die die Historizität des Films verstärken. Andererseits evozieren ein variantenreicher Soundtrack, der mit metallenen Klängen immer wieder Verunsicherung verbreitet, und das Sounddesign eine beklemmende Atmosphäre. Mag die Darstellung von Kampfhandlungen auch ausgespart bleiben, so erinnern doch nicht nur die Särge, die Golda Meir am Ende am Flughafen betrachtet, an die schweren Verluste, sondern auch über eine Sekretärin, deren Sohn als Panzerfahrer dient, macht bewusst, welch persönliches Leid ein Krieg immer mit sich bringt.

Golda Großbritannien 2023 Regie: Guy Nattiv mit: Helen Mirren, Liev Schreiber, Camille Cottin, Ellie Piercy, Rami Heuberger, Lior Ashkenazi, Rotem Keinan, Dvir Benedek, Dominic Mafham, Ed Stoppard Länge: 100 min.



Läuft jetzt in den Schweizer Kinos


Trailer zu "Golda"


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