Von "Driving Miss Daisy" über "Black Robe" bis zu "Double Jeopardy": Über 20 Autor:innen bieten in der im Fenomena Filmbuch Verlag erschienenen ersten deutschsprachigen Monographie zu Bruce Beresford einen vielschichtigen Einblick in das Werk des australischen Regisseurs.
Nachdem vor zwei Jahren mit "John Badham: Blick und Bewegung" bei Fenomena Filmbücher die Buchreihe "Directors" gestartet wurde, erfährt sie nun mit einer 300-seitigen Monographie zum Australier Bruce Beresford ihre Fortsetzung.
Auf einen Abschnitt mit großteils filmübergreifenden Essays lassen die beiden Herausgeber Michael Flintrop und Ivo Ritzer dabei auf jeweils drei bis rund 12 Seiten die Vorstellung nicht nur von Beresfords über 30 Kinofilmen, sondern auch seiner vier TV-Filme folgen.
Nach kurzen englischen Statements von Beresford selbst und Sue Milliken, die mehrere seiner Filme produzierte, führen Essays von Fritz Göttler und Co-Herausgeber Ivo Ritzer in das Werk des Porträtierten ein. Beide Autoren arbeiten dabei die große Vielfalt von Beresfords Œuvre heraus, die aus seinen vielfältigen Interessen resultiert, die ihn sich nie wiederholen, sondern immer neue Genres wählen ließen. Ritzer fokussiert dabei vor allem auf den Weg des Australiers von seiner Heimat über England nach Nigeria und Hollywood und sein Interesse an indigenen Kulturen und Außenseitern, was ihn für den Autor zu einem Kosmopoliten des Kinos macht.
Im Gegensatz zu diesen Überblicken konzentriert sich Markus Spöhrer ganz auf die Darstellung der australischen Indigenen in "The Fringe Dwellers" (1986). Detailliert arbeitet der Autor die Grenzüberschreitungen von indigener Wohnsiedlung (fringe camp) in die bürgerlich-weiße Welt, die Darstellung von sozialer Mobilität und einem unterschwelligen Rassismus sowie der sozialen und kulturellen Differenzen heraus, die eine Unvereinbarkeit der weißen und der indigenen Bevölkerung verursachen.
Lukas Foerster analysiert in seinem spannenden Essay zu Beresfords sieben zwischen 1983 und 1996 entstandenen US-Südstaatenfilmen die Inszenierung von Häusern. Diese drücken hier nicht durch die Fassade Status und Macht aus, sondern sollen vielmehr durch ihre innere Ausstattung etwas über die psychische Verfassung und Persönlichkeit der Bewohner:innen vermitteln.
Nicht weniger interessant ist ein Beitrag von Herausgeber Michael Flintrop über die Justizfilme von Beresford. Flintrop, der selbst Rechtsanwalt und Strafverteidiger ist, unterscheidet dabei zunächst zwischen Filmen, in denen der Prozess nur als Initialzündung dient – gewissermaßen ein Hitchcock´scher McGuffin ist -, Filmen, bei denen das Gerichtsverfahren im Zentrum steht ("Breaker Morant", 1980; "Evelyn", 2002), und solchen, die auf dem Strafvollzug fokussieren ("Last Dance", 1996; "Double Jeopardy", 1999). Der Autor analysiert dabei die beiden Gerichts- und Strafvollzugsfilme nicht nur detailliert, sondern arbeitet auch heraus, wie der kunstaffine Beresford immer wieder Bezüge zu Musik, Literatur und Malerei einbaut.
Dazu kommen im ersten Abschnitt des Buches ein englischsprachiges Interview mit der Produzentin Sue Milliken, die Einblick in ihre Zusammenarbeit mit dem australischen Regisseur bietet, sowie ein Werkstattgespräch mit Beresford, in dem chronologisch seine filmische Laufbahn nachgezeichnet wird. Zudem vermittelt Sue Milliken in einem eigenen Beitrag (englisch) einen sehr anschaulichen Eindruck von den Nerven aufreibenden Verhandlungen mit Dino De Laurentiis und seiner Firma DEL bei der Planung des Science-Fiction-Films "Total Recall" und dem Scheitern des Projekts nach einjähriger Vorbereitung.
Auf diesen gut 80-seitigen ersten Teil folgt auf 150 Seiten, chronologisch angeordnet, die Vorstellung von Beresfords Kino- und TV-Filmen. Während bei den meisten Beiträgen, bei denen die vorgegebene Länge von drei Seiten eingehalten wurde, über Inhaltsangaben hinaus nur kurz auf die Produktionsgeschichte geblickt und der jeweilige Film in den Kontext des Gesamtwerks gestellt werden kann, bestechen die ausführlicheren, zumeist auch durch Quellenangaben unterstützten und abgesicherten Beiträge durch ihre Differenziertheit und Vielschichtigkeit.
So analysiert Willem Strank auf fünf Seiten detailliert Beresfords nur 10-minütige Opernarie aus Erich Korngolds "Die tote Stadt" für den Opernfilm "Aria" (1987). Zwölf Seiten gönnt sich sogar Heiko Nemitz, um sich ebenso spannend wie ausführlich mit der Frage des Rassismus und Antirassismus in "Driving Miss Daisy" (1989) auseinanderzusetzen und diesen Oscar-Sieger in Bezug zum 26 Jahre zuvor entstandenen "Lilien auf dem Felde" zu stellen.
Ebenso sorgfältig analysiert Nemitz aber auch "Mr. Church" (2016), in dem ein Afroamerikaner als Koch für eine krebskranke Frau und ihre Tochter angestellt wird. Der Autor untersucht dabei nicht nur die Rolle von Kochen, Kunst und Literatur im Film sondern auch die Figur des "Magical Negro", der immer nur Gutes für die weißen Protagonist:innen tut, aber selbst kein Profil gewinnt.
Beeindruckend ist aber auch Nemitz´ Beitrag zu "Evelyn" (2002), in dem ein irischer Vater um das Sorgerecht für seine Kinder kämpft. Anschaulich arbeitet Nemitz hier die vielfache Bezugnahme des Films auf die Heilige Familie heraus, blickt auf die Lösung Irlands von den harten Kinderheimen und entdeckt in der Dichotomie, die sich hier in der Kontrastierung der institutionellen Kirche mit ihren restriktiven Doktrinen mit der individuellen, von Humanismus bestimmten Spiritualität der Protagonistin findet, ein wiederkehrendes Motiv im Werk des Australiers.
Mit Wieland Schwanebecks Beitrag zu "A Good Man in Africa" (1994) fehlt auch ein fulminanter Verriss nicht, während Michael Flintrop "Paradise Road" (1997), der vom Schicksal von Frauen in einem japanischen Gefangenenlager erzählt, gegen den Vorwurf der Verharmlosung verteidigt.
Lars R. Krautschick wiederum nützt "Last Dance" (1996) um am Beispiel der Besetzung Sharon Stones als zum Tode verurteilte Doppelmörderin spannend allgemein Castingfragen zu diskutieren und Nils Bothmann untersucht anhand von "Double Jeopardy" (1999) die Veränderung des Actionfilms und der Frauenrollen in den 1990er Jahren.
Auch bei den vier TV-Filmen "…And Starring Pancho Villa as Himself" (2003), "Bonnie & Clyde" (2013), "Roots" (2016) und "Flint" (2017) wird nicht nur Einblick in den Inhalt geboten, sondern auch historische Hintergründe oder die vielfältige filmische Bearbeitung des Stoffes von "Bonnie & Clyde" sowie die Unterschiede zwischen dem Original von "Roots" und dessen Remake detailliert und immer nah am konkreten Film herausgearbeitet.
Wermutstropfen bleibt angesichts dieser zahlreichen großartigen Beiträge einzig, dass beispielsweise "Black Robe – Am Fluss der Irokesen", der immerhin als ein Hauptwerk des Australiers gilt, sehr knapp abgehandelt wird. Eher klein sind auch die ausnahmslos schwarzweißen Fotos, aber treffend gewählt und informativ.
Abgerundet wird die beeindruckende Monographie, die einen umfassenden Einblick in das Œuvre von Bruce Beresford bietet, durch eine 25-seitige Bibliographie zu Büchern und Essays von und über den Porträtierten sowie zu allgemeinen im Buch behandelten Themen und zu deutschen und englischen Texten und Rezensionen zu den einzelnen Filmen.
Dazu kommt eine mustergültige 35-seitige Filmographie, die sämtliche Credits nicht nur zu den Kino- und TV-Filmen, sondern auch zu Beresfords Kurzfilmen und seinen Arbeiten als Produzent auflistet. Aber auch ein Index zu Namen und Filmtiteln, der ein problemloses Nachschlagen ermöglicht, fehlt nicht.
Schon jetzt darf man so auf die angekündigten folgenden Bände, die sich unter anderem Michael Winner, John Schlesinger, Richard Fleischer, Brian de Palma und John Landis widmen sollen, gespannt sein.
Michael Flintrop, Ivo Ritzer (Hg.), Bruce Beresford. Kosmopolit des Kinos, Directors 2, Fenomena Filmbücher, Braunschweig 2024, 302 S., € 39, ISBN 978-3-00-073407-6
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