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  • AutorenbildWalter Gasperi

Ferrari

Michael Manns erster Kinofilm seit acht Jahren ist kein Biopic über Enzo Ferrari, sondern ein auf das Jahr 1957 fokussiertes Psychogramm eines unter Druck stehenden Mannes, der nicht nur den Bankrott seiner Firma zu vermeiden versucht, sondern auch mit Eheproblemen zu kämpfen hat.


Nach grobkörnigen schwarzweißen Archivaufnahmen aus der frühen Zeit des Automobilrennsports und Inserts über die Gründung von Ferrari 1947 sowie dem Zeitinsert 1957 vermitteln schon die ersten Szenen unter welchem Druck Enzo Ferrari (Adam Driver) steht: Auf seinen stillen morgendlicher Abschied von seiner Geliebten Lina Lardi (Shailene Woodley) folgt ein heftiger Konflikt mit seiner Frau Laura (Penélope Cruz). Aber auch die ungebrochene Trauer über den Verlust seines 24-jährigen Sohnes ein Jahr zuvor wird beim Besuch des mausoleumartigen Grabes spürbar.


Geschäftszahlen über spärlichen Verkauf von Autos im Vorjahr und der Besuch der Arbeitermesse in der Kirche werden unterschnitten vom Versuch des Konkurrenten Maserati einen Streckenrekord zu brechen und Kirchenmusik und Motorengeheul gehen ineinander über.


Der neue Streckenrekord soll Maserati sogleich entrissen werden, doch dabei verunglückt der Fahrer von Ferrari tödlich. Spürbar wird die Kälte von Enzo Ferrari, wenn ihn das Schicksal dieses Mannes nicht interessiert, sondern er sofort einen zuvor abgewiesenen anderen Fahrer zu einem Besprechungstermin bestellt.


Eine Schutzwand hat der Firmenchef sichtlich seit dem Tod von zwei Freunden aufgebaut. Nur so kann er wohl ein Unternehmen im Automobilrennsport leiten. Dringend müssen nun aber Erfolge her, um eine mögliche Fusion mit Ford zu verhindern. Eine Kooperation mit Fiat kommt für ihn nicht in Frage, hat man ihn dort doch 1917 abgewiesen und auch 40 Jahre später hat der Commendatore diese Demütigung nicht vergessen.


Doch Enzo hat keine freie Hand für Verhandlungen, da seine Frau die Hälfte der Anteile besitzt und ihn so unter Druck setzen kann. Gleichzeitig versucht er vor ihr zu verheimlichen, dass er seit Kriegstagen eine Beziehung zu Lina Lardi und mit ihr auch ein etwa achtjähriges Kind hat. Als sie doch dahinterkommt, fliegen die Fetzen.


Wieder auf Spur will er Ferrari mit einem Sieg im Rennen Mille Miglia (Link enthält Spoiler) bringen und lässt gleich fünf Fahrer und Wagen daran teilnehmen. So rahmen die Testfahrten um den Streckenrekord am Beginn und dieses hochriskante Rennen auf Landstraßen durch halb Italien am Ende "Ferrari".


Kritisiert hat man zwar den starken Akzent der englischsprachigen Besetzung, aber dennoch spielt ein hier ergrauter Adam Driver eindrücklich den Firmenchef. Er lässt die Kälte ebenso spüren, wie den Druck unter dem er steht, macht aber auch den Schmerz über den Tod des Sohnes und die Liebe zu seinem unehelichen zweiten Sohn und seiner Geliebten spürbar.


Driver ist das Zentrum des Films, neben ihm gewinnen fast nur noch Penélope Cruz als seine Frau und Shailene Woodley als seine Geliebte Profil. Diese familiären Beziehungen erinnern zusammen mit Hauptdarsteller Driver und dem italienischen Ambiente in gewissem Maße an Ridley Scotts "House of Gucci", doch auf Scotts karikaturistische Überzeichnung und Inszenierung als Groteske verzichtet Mann. Er inszeniert durchgängig ernst und nüchtern und entwickelt durch die Verknüpfung des Beziehungsdreiecks mit der angeschlagenen Geschäftslage und dem Rennsport durchgängig Spannung.


Dabei erweist sich der 80-jährige Amerikaner ("Heat", "Insider") wiederum als großer Stilist, der die roten Flitzer ebenso bestechend ins Bild zu setzen weiß wie seinen Protagonisten. Mit schnellem Schnitt erzeugen er und sein Editor Pietro Scalia hohes Tempo, verschränken mit spielerischer Leichtigkeit die verschiedenen Ebenen.


Meisterhaft werden die Zuschauer:innen beim finalen Rennen mit spektakulären Kameraperspektiven und rasantem Schnitt direkt ins Geschehen versetzt. Da wechselt die Kamera von Erik Messerschmidt zwischen hautnahen Blicken auf Gas- und Bremspedalen sowie Schaltknüppeln und Flugaufnahmen, ist bald auf Asphalthöhe und lässt die Boliden vorbeirasen und blickt dann wieder aus Fahrerperspektive auf die langen Geraden und engen Kurven: Dieses virtuos inszenierte Finale ist furioser Höhepunkt eines nie zur Ruhe kommenden, hochenergetischen Films.


Ferrari

USA 2023

Regie: Michael Mann

mit: Adam Driver, Shailene Woodley, Sarah Gadon, Patrick Dempsey, Penélope Cruz, Jack O'Connell, Gabriel Leone, Valentina Bellè, Tommaso Basili, Massi Furlan 

Länge: 130 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Skino Schaan, im Kinotheater Madlen, Heerbrugg und im Kino Scala in St. Gallen.



Trailer zu "Ferrari"



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