Thomas Napper zeichnet das Porträt Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardins, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts in der männerdominierten Weinherstellung zu behaupten versucht: Ein solide inszeniertes, mit großartigen Bildern und starken Schauspieler:innen beeindruckendes, wenn auch etwas kurzatmiges Biopic.
"Veuve Clicquot Ponsardin" ist heute eine der bekanntesten Champagnermarken. Doch was hat es mit dem Namen, speziell mit der "Veuve" ("Witwe") auf sich? – Wie Peter Webber in "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" (2003) eine fiktive Geschichte über die auf Vermeers berühmtem Gemälde dargestellte junge Frau erzählte, so widmet sich Thomas Napper in seiner Verfilmung von Tilar J. Mazzeos 2008 erschienenen Biographie "Im Rausch der Zeit. Das temperamentvolle Leben der Witwe Clicquot" der historischen Geschichte der Witwe Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin (1777 - 1866). Wie andere Biopics der letzten Jahre von "Marie Curie" (2016) bis "Lee - Die Fotorgrafin" (2023) legt der Brite dabei den Fokus auf der Selbstbehauptung einer Frau in einem von Männern dominierten Umfeld.
Am Beginn steht mit dem frühen Tod von Barbe-Nicoles (Haley Bennett) Mann François (Tom Sturridge) ein Ende. Allein steht sie mit ihrer sechsjährigen Tochter da, der Schwiegervater will die Weinberge verkaufen, doch die junge Witwe stellt sich dagegen und will die fortschrittlichen Ideen in der Weinproduktion, die sie gemeinsam mit ihrem Mann entwickelt hat, umsetzen.
Den zunächst in die dunklen Farben der Trauer getauchten Gegenwartsszenen stehen in helle Farben getauchte, zumindest zum Kitsch tendierende Rückblenden von der romantischen Liebe des Paares gegenüber. Durch den ganzen Film verschränkt Napper diese beiden Erzählstränge und öffnet dabei auch sukzessive den Blick auf dunklere Aspekte in der Ehe Barbe-Nicoles.
Gleichzeitig wird auf der Gegenwartsebene Einblick in ihren schwierigen Kampf um Selbstbehauptung in einer zudem von Napoleons Handelsembargo gegenüber ausländischen Mächten geprägten Zeit gezeichnet. Da muss sich Barbe-Nicole einerseits gegenüber ihren Arbeiter:innen behaupten und sich mit ihren Vorstellungen von gemeinsamen Beschlüssen gegen das streng hierarchische Denken ihres Verwalters durchsetzen. Andererseits sorgen der Verlust eines Jahrgangs durch Hitze für finanzielle Probleme und auch die Umgehung des Handelsembargos birgt Gefahren.
Großartig verkörpert Haley Bennett, die auch den Film koproduzierte, diese Frau, die entschlossen an ihrem Traum festhält und auch mit ihrem letzten Satz, mit dem der Film endet, ihre Selbstständigkeit behauptet. Spannender Gegensatz zu ihrer Rationalität und ihrer Entschlossenheit ist in den Rückblenden Tom Sturridge als ihr hochemotionaler, aber auch psychisch schwer angeschlagener Mann.
Im Wechsel von großartigen Landschaftstotalen der bald in leuchtende Herbstfarben, bald winterlich verschneiten und dann wieder in kräftiges Grün getauchten Weinberge und - vielfach von Kerzenlicht erhellten - Innenszenen entwickeln Napper und seine Kamerafrau Caroline Champetier sicher die Handlung. Ein Augenschmaus sind diese Bilder, wirken andererseits aber doch auch etwas zu aufgeräumt.
So stark das aber auch gespielt und gefilmt ist, so ist doch auch eine gewisse Kurzatmigkeit nicht zu übersehen, auch wenn sich der Film auf der Gegenwartsebene nur etwa auf das Jahrzehnt von 1805 bis 1815 konzentriert. Nur kurz angeschnitten werden Szenen, wie der Kampf gegen den gefährlichen Frost mittels Feuer oder die Bedrohung durch die nahenden russischen Truppen, aber in der nächsten Einstellung sind diese Aspekte auch schon wieder ad acta gelegt. Nur kurz sieht man Barbe-Nicole auch mehrmals beim Experimentieren mit Wein und Champagner, bekommt aber kaum einen tieferen Einblick in dessen Produktion.
Im Versuch ein möglichst komplexes Bild zu zeichnen, verliert sich Napper so teilweise in Szenen, die man entweder breiter ausformulieren oder auf die man ganz verzichten hätte müssen. Dennoch beeindruckt dieses Porträt durch seine visuelle Kraft und das starke Spiel Bennetts, auch wenn deren Barbe-Nicole mit ihrer Entschlossenheit, ihrem Einsatz für Bezahlung der Arbeiter:innen, ihrem Geschäftssinn und ihrem Gespür für Innovation bei der Weinherstellung insgesamt doch allzu verklärt gezeichnet wird. Noch stärker und glaubwürdiger wäre diese Figur und der Film sicher geworden, wenn Napper und sein Drehbuchautor Erin Dignam ihr auch Schwächen und negative Seiten zugestanden hätten.
Die Witwe Clicquot – Widow Clicquot USA 2023 Regie: Thomas Napper mit: Haley Bennett, Tom Sturridge, Sam Riley, Natasha O’Keeffe, Ben Miles, Cecily Cleeve Länge: 90 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Kinok St. Gallen.
TaSKino Feldkirch im Kino GUK: 22.11. bis 24.11. 2024
Trailer zu "Die Witwe Clicquot - Widow Clicquot"
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