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Die Theorie von Allem

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 10. Dez. 2023
  • 4 Min. Lesezeit

Mehr visuell und akustisch beeindruckende Stilübung als fesselndes Kino: Timm Kröger spielt in seinem Spielfilm kunstvoll mit dem klassischen Film noir und Alfred Hitchcock-Filmen, doch entwickelt der in brillantem Schwarzweiß gedrehte Thriller letztlich wenig Eigenleben und bleibt blutleer.


Im Grunde hat der Thriller des 1985 geborenen Timm Kröger drei Anfänge. Zunächst gibt es eine durch ein Insert 1974 situierte farbige TV-Sendung, in der der Schriftsteller Johannes Leinert (Jan Bülow) zu seinem Buch "Die Theorie von Allem" befragt wird. Weil seine Gedanken zu Parallelwelten aber nicht ernst genommen werden, verlässt er bald das Studio – oder wie der Moderator meint diese Welt, um wieder in seine eigene Welt zurückzukehren.


Mit einem Schnitt und dem Insert "Graubünden 1962" wechselt Kröger in Schwarzweiß und in eine winterlich-verschneite Berglandlandschaft, in der zwei etwa zehnjährige Kinder in eine Berghütte gelangen, in der sie eine Leiter in unterirdische Gänge entdecken. – Erst jetzt folgen die Vorspanninserts.


So genau Timm Kröger und seine Ausstatter in der TV-Szene mit Kostümen, Frisuren und Farben die deutsche TV-Welt der 1970er Jahre treffen, so beeindruckend wird in der zwölf Jahre zuvor spielenden Haupthandlung die Stimmung des klassischen amerikanischen Film noir der 1940er Jahre beschworen.


Mit einem Schnitt springt "Die Theorie von Allem" dabei von den Kindern in der Schweizer Bergwelt zum Physikstudenten Johannes Leinert, der mit seinem Doktorvater Julius Strathen (Hanns Zischler) mit dem Zug nach Graubünden reist, wo bei einem Kongress ein persischer Physiker eine bahnbrechende Theorie von Allem präsentieren soll. Schon auf der Fahrt gesellt sich zu dem Duo der Physiker Blumberg (Gottfried Breitfuß), den Strathen seit seiner Jugend kennt, mit dem er aber nichts zu tun haben will.


Zwei gegensätzliche Charaktere treffen hier mit dem nüchternen und wortkargen Skeptiker und dem leutseligen Blumberg, der auch dem Alkohol nicht abgeneigt ist, aufeinander. Die Reibungen, die sich daraus aber entwickeln könnten, entwickelt Kröger nicht wirklich weiter, auch wenn die beiden Physiker eine unterschiedliche Position zu Leinerts Theorie von Parallelwelten einnehmen. Während nämlich Strathen die Ausführungen seines Studenten als absurd zerreißt, sieht Blumberg darin bahnbrechende Gedanken.


Bald verläuft sich auch der Kongress im Nichts, als der mit Spannung erwartete Stargast aufgrund von Problemen am Zoll nicht eintrifft. Johannes ist dafür fasziniert von der Pianistin Karin (Olivia Ross), die überraschendes Detailwissen über seine Kindheit an den Tag legt. Irritiert ist er aber auch von der plötzlichen Abreise Blumbergs, der wenig später tot aufgefunden wird, bald darauf aber wieder von Johannes lebendig gesehen wird.


Zunehmend vertrackter oder auch absurder wird so die Handlung. Wirklich Spannung will sich aber kaum entwickeln. Denn obwohl Kröger konsequent aus der Perspektive von Johannes erzählt, bleibt diese Figur zu blass, als dass sie als Identifikationsfigur, um die man bangt und zittert, fungieren könnte.


Dem Schauspieler Jan Bülow kann man dabei keinen Vorwurf machen, vielmehr mangelt es an Figurenzeichnung und Zugriff auf die Figur. Statt die Zuschauer:innen ins Geschehen zu ziehen, werden sie durch einen kühl-distanzierten Blick in die Beobachterposition versetzt. Doch nicht nur Johannes, sondern auch die anderen Figuren wie Professor Strathen, der mit Hanns Zischler von einem Star des Neuen deutschen Films gespielt wird, gewinnen zu wenig Profil und bleiben blutleer.


Gewissen Witz generiert Kröger zwar durch den Blick aufs Schweizer Hotelpersonal, das einerseits nicht besonders zuvorkommend, andererseits scheinbar immer auf ein Trinkgeld aus ist, aber mehr wird daraus auch nicht gemacht.


Originell sind auch die beiden Kommissare, von denen der von David Bennent gespielte in Aussehen und Auftreten mit Schlapphut an Robert Mitchums Figur in "Die Nacht des Jägers" erinnert. Diese Assoziation bringt "Die Theorie von Allem" auch in die Nähe eines Traums, als den man diesen Thriller vielleicht spätestens dann ansehen sollte, wenn sein Protagonist in eine unterirdische Parallelwelt abtaucht.


Für eine traumartige Atmosphäre sorgen vor allem die kunstvollen Schwarzweißbilder von Kameramann Roland Stuprich, die mit dem Gegensatz von weißer Schneelandschaft, schwarzen Mänteln und Bäumen für starke Kontraste sorgen. Dazu kommt der aufdonnernde symphonische Soundtrack von Diego Ramos, der immer wieder Erinnerungen an klassisches Hollywood-Kino und Bernard Hermanns Arbeiten für Alfred Hitchcock weckt.


Während dabei die Skiszene mit offensichtlichen Rückprojektionen sich unübersehbar an Hitchcocks "Spellbound" orientiert, erinnert die zentrale Handlung von Johannes´ obsessiver Liebe zu Karin, die vielleicht nur ein Geist ist und nur in seiner Einbildung existiert, an den Klassiker "Vertigo". Wie Jimmy Stewart an Kim Novak so geht auch Johannes an dieser Karin fast zugrunde, wenn im Finale plötzlich an die Stelle der direkten Erzählung ein auktorialer Off-Erzähler tritt, der, unterstützt von Bildern, das weitere Leben von Johannes gerafft referiert.


Film noir-Stimmung erzeugen aber auch durch Milchglasscheiben gefilmte Silhouetten, ein scheinbar Toter, der wieder auftaucht oder ein unterirdischer Tunnel, der hier an die Stelle des Wiener Kanals in "Der dritte Mann" tritt.


Aber nicht nur voller filmgeschichtlicher Verweise ist Krögers zweiter Spielfilm, sondern auch inhaltlich wird die Zeitgeschichte von den Physikern mit Nazi-Vergangenheit über den Holocaust bis zu den Kalten Kriegs-Ängsten vor einer atomaren Katastrophe ins Spiel gebracht. Noch deutlicher wird die reale Historie eingebunden, wenn gegen Ende auch mit Found-Footage der Studentenruhen von 1968, einem Auftritt Willy Brandts, der Mondlandung und der RAF gespielt wird.


Doch wie das formale Spiel mit filmischen Vorbildern nicht vertieft wird, so bleibt es auch bei den historischen Verweisen beim oberflächlichen Spiel. Wirklich Leben entwickelt "Die Theorie von Allem" so nicht, sondern wirkt wie ein zwar in seiner Brillanz beeindruckendes, aber letztlich inhalts- und blutleeres Spiel mit Versatzstücken, bei dem die Spannungskurve mit zunehmender Dauer verflacht.



Die Theorie von Allem Deutschland / Österreich / Schweiz 2023 Regie: Timm Kröger mit: Jan Bülow, Olivia Ross, Hanns Zischler, Gottfried Breitfuß, Philippe Graber, David Bennent, Imogen Kogge, Emanuel Waldburg-Zeil, Ladina Carla von Frisching, Dirk Böhling Länge: 118 min.


Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos

Kinothek Lustenau: Mo 11.12., 20 Uhr; Mi 13.12., 18 Uhr; Mo 18.12., 20 Uhr, Mi 20.12., 18 Uhr FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 13.12., 18 Uhr + Do 14.12., 19.30 Uhr


Trailer zu "Die Theorie von Allem"


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