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  • AutorenbildWalter Gasperi

Diagonale ´21: Hauptpreise für "Hochwald" und "Aufzeichnungen aus der Unterwelt"


Hochwald (Evi Romen) (c) Flo Rainer, Amour Fou

Die heurige Diagonale (8. - 13.6. 2021) brachte eine ansprechende Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilmen, bei der es einige Newcomer zu entdecken gab.


Rund 30 Jahre war die aus Südtirol stammende Evi Romen schon als Cutterin präsent, ehe sie mit 50 beschloss, einmal einen eigenen Film zu drehen. Von Wien kehrte Romen dafür in ihre Heimat zurück und realisierte mit "Hochwald" nicht zuletzt durch die Verwendung des Südtiroler Dialekts auf der einen Seite und Italienisch auf der anderen Seite ein atmosphärisch starkes Drama. Nach dem Golden Eye beim Zurich Film Festival im letzten September wurde die Regiedebütantin nun auch mit dem mit 19.000 Euro dotierten Großen Diagonale Preis des Landes Steiermark für den besten Kinospielfilm ausgezeichnet.


Konzentriert und mit präziser Bildsprache erzählt Romen von Mario (Thomas Prenn), der in seinem Südtiroler Bergdorf ein Außenseiter und bunter Vogel ist. Eine Konditorlehre hat dieser von Andreas Prenn mit Leidenschaft gespielte Protagonist abgebrochen, schlägt sich nun mit Gelegenheitsjobs in der Metzgerei und in der Winzerei seines Heimatdorfes durch, doch seine Leidenschaft gehört dem Disco-Tanz à la John Travolta. Stellt schon der Umstand, dass er seine Homosexualität in diesem dörflich-konservativen Milieu verleugnen muss, eine extreme Belastung dar, so steigert sich seine Zerrissenheit noch, als sein Jugendfreund bei einem islamistischen Anschlag im Rom ums Leben kommt, während er unverletzt überlebt.


Nicht nur durch die Präsenz Prenns, sondern auch durch ein vielschichtiges Spiel mit Gegensätzen vermittelt Romen eindringlich die Zerrissenheit Marios. Wie sein Gesicht immer wieder zur Hälfte ins Licht und zur Hälfte in Dunkel getaucht wird, so pendelt er auch immer wieder mit der Seilbahn zwischen der Enge seines Bergdorfs und der modernen Stadt, zwischen gesellschaftlichen Vorgaben und der Sehnsucht nach einem freien Leben.


Visuell wird dieses Spannungsfeld auch im Gegenüber von engen Einstellungen im dörflichen Ambiente und weiten Landschaftstotalen der Bergwelt der Dolomiten spürbar, aber Romen stellt auch dem einengenden katholischen Milieu einerseits einen radikalen Islamismus und andererseits auch einen weltoffenen und toleranten Islam gegenüber, in dem Mario schließlich eine Stütze finden wird. Und schließlich spielen auch unterschiedliche soziale Milieus herein, wenn Mario aus einfachen Verhältnissen stammt, sein Freund dagegen der begüterten Oberschicht angehört.


Viel scheint Romen damit in ihr Debüt zu packen, doch ganz selbstverständlich ist das in die stringent und präzis erzählte Geschichte inszeniert. Nichts wirkt hier aufgesetzt oder prätentiös, sondern in der ebenso dichten wie unaufgeregten Inszenierung packt dieses Drama einer verzweifelten Identitätssuche.


Neben diesem Debüt, das im Herbst in den österreichischen Kinos anlaufen soll, war bei den Spielfilmen auch Sebastian Brauneis´ "1 Verabredung im Herbst" eine schöne Entdeckung. Ein Vergnügen ist es zuzusehen, wie der 43-jährige Wiener in seinem mit einem minimalem Budget gedrehten Film leichthändig rund ein halbes Dutzend Figuren und Geschichten, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, sukzessive zusammenführt und einen Reigen der Beziehungen, des Verliebens und sich Trennens entwickelt.


Ansteckend wirkt "1 Verabredung im Herbst" durch seine unbekümmerte Inszenierung, bei der Brauneis auch immer wieder einen Hanf-Züchter das Geschehen direkt in die Kamera kommentieren lässt oder Musiknummern wie eine deutsche Cover-Version des Springsteen-Hits "Born in the USA" einbaut und mit Erwartungshaltungen und Klischees überraschend bricht.


Mit dem ebenfalls mit 19.000 Euro dotierten Großen Diagonale Preis des Landes Steiermark für den besten Kinodokumentarfilm wurde dagegen Tizza Covis und Rainer Frimmels "Aufzeichnungen aus der Unterwelt" ausgezeichnet, der schon bei der letzten Viennale seine Premiere feierte. Auch in diesem Bereich konnte man aber daneben und auch neben den schon besprochenen Filmen wie "Ein Clown I Ein Leben", "Motorcity" und "Wenn es Liebe wäre" oder Fabian Eders "Der schönste Tag", der mit dem Publikumspreis ausgezeichnet machte, beispielsweise mit "Der Soldat Ahmet" von Jannis Lenz eine vielversprechende Entdeckung machen.


Zurückhaltend folgt Lenz in dem im Rahmen seines Studiums an der Wiener Filmakademie entstandenen Film einem Sohn türkischer Einwanderer, der nicht nur Sanitäter beim österreichischen Bundesheer und ein erfolgreicher Boxer ist, sondern auch seine jugendliche Leidenschaft fürs Schauspiel wieder aufnimmt.


Das Spannungsfeld von harter Männlichkeit, das bei Bundesheer und Boxen zur Schau gestellt wird, und Emotionalität, die Ahmet, der erklärt seit seiner Kindheit nicht mehr weinen zu können, bei Proben für eine Inszenierung von "Endstation Sehnsucht" entwickeln soll, kehrt Lanz dabei in seinem kommentarlosen Film auch durch die formale Gestaltung nach Außen. So vermitteln lange statische Totalen und Halbtotalen, die von metallener Musik begleitet werden, die Emotionslosigkeit beim Militär und beim Boxen, während in den Schauspielszenen, aber auch in Szenen in seiner Wohnung durch eine nah geführte und bewegte Kamera eine Zartheit hinter der harten Schal sichtbar wird. Gleichzeitig wirft Lenz aber auch in Szenen, in denen beim Bundesheer österreichische Heimatlieder gesungen werden, die Frage auf, wie der türkische Migrant diese wohl empfinden wird.


Es sind solche Newcomer wie Lenz und Romen, die dieser Diagonale den Stempel aufdrückten und die nach einem Jahr Corona bedingter Pause beim Grazer Filmfestival wieder dafür sorgten, dass sich der österreichische Film vielfältig und bunt präsentierte und optimistisch in die Zukunft blicken lässt.


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